Die fetten Jahre sind vorbei. Klima, Krisen, Kriege setzen neue Agenden. Politik und Gesellschaft durchleben einen Paradigmen-Wechsel. Das geht an der Kultur in Deutschland nicht spurlos vorüber, selbst wenn es sich dabei um ein Weltkulturerbe von der Dimension des Goethe-Nationalmuseums in Weimar handelt.

Für den 1885 gegründeten Prototypen der Dichtergedenkstätte als nationalkultureller Symbolort ist die Klassik Stiftung Weimar verantwortlich. Herzstück ist Goethes Wohnhaus am Frauenplan, das saniert werden muss. Hier wirkte der Dichter, Naturforscher und Staatsmann über 50 Jahre lang und entfaltete seine Netzwerke in die ganze Welt. Fast 200.000 Menschen sind jährlich zu Gast, die Hälfte davon Schulklassen und Jugendgruppen. Sie sollen künftig nicht etwa eine weihevolle Nationalgedenkstätte vorfinden, sondern – ganz im Geist Goethes – ein lebendiges Ideenlabor. Mit dem physischen Denkmal soll also zugleich dessen gesellschaftliche Wirkung im 21. Jahrhundert zukunftsfest gemacht, das Denkmal zum Denkort werden.

Die 2021 begonnene Sanierungsplanung und museale Neukonzeption sollten über eine paritätisch von Bund und Land getragene Sonderinvestition im zweistelligen Millionenbereich realisiert werden. Ein entsprechender Bundestagsbeschluss zur Finanzierung lag Ende 2023 vor. Im Frühjahr 2024 wurde bekannt, dass Sondermittel in der geschätzten Größenordnung nicht zur Verfügung stehen. Die daraufhin notwendige Neujustierung des Projekts kann als Praxisbeispiel für die Herausforderungen im Kulturmanagement der Gegenwart und Zukunft gelten.

Die Klassik Stiftung Weimar entschied gemeinsam mit ihren Zuwendungsgebern, eine Kerninstandsetzung aus dem regulären Investitionshaushalt zu finanzieren. Geplante andere Baumaßnahmen mussten demzufolge depriorisiert und die Maßnahmen im Goethehaus auf die Substanzbereiche Dach, Fassade, Fenster und Brandschutz reduziert werden. Um wesentliche Probleme im Weltkulturerbe-Ensemble dennoch anzugehen, wurden drei weitere Teilprojekte definiert. Für diese konnten bei privaten Stiftungen Spenden in Höhe von zehn Millionen Euro eingeworben werden. Damit sind durch private Unterstützung nun auch die Rekonstruktion von Goethes Hausgarten, Sanierung und museale Neukonzeption der Gartenpavillons sowie Oberflächenrestaurierungen im Wohnhaus abgesichert. Daneben bleiben schmerzhafte Einschnitte in der Ursprungsplanung eine Herausforderung im operativen Geschäft. So wird ein Aufzug in Goethes Beletage und der Ausbau des Mansardengeschosses für Literaturausstellungen auf die nächste Generation übertragen. Für die museale Neukonzeption heißt es: Abschiednehmen vom ganz großen Wurf, intelligentes Planen in Modulen und Schritten, Aktivierung von Haushaltsmitteln für essenzielle Kernbereiche wie der digitalen Vermittlung oder der Restaurierung von Goethes Sammlungsmöbeln sowie fortgesetzte Finanzierungsanstrengungen durch Projektanträge und Fundraising.

Im Prozess der Neujustierung formte die Klassik Stiftung Weimar ein echtes Public-Private-Partnership-Projekt. Positiv gesehen ermöglicht der Schulterschluss von öffentlicher und privater Hand im Ringen um die Erhaltung des materiellen Goethe-Erbes eine breite Aktivierung der geistigen Impulse dieses zentralen Dichters und Denkers der deutschen Spätaufklärung. So wird Weltkulturerbe nicht als fester Besitzstand, sondern als inspirierende Ressource für das Heute und Morgen begriffen.

Aus der Weimarer Praxis des Krisenmanagements während einer Zeitenwende können sechs Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen für die Kulturpolitik abgeleitet werden:

 

  1. In Umbruchszeiten muss der gesellschaftliche Stellenwert von Kultur in der Politik auf allen Ebenen zukunftsfest verankert sein. Dafür braucht es eine Verantwortungsallianz zwischen gestaltenden Politikern und verantwortlichen Kulturinstitutionen.
  2. Priorisieren heißt immer auch Depriorisieren. Wandel statt Wachstum im Kultursektor bedeutet strukturelle Transformation. Sie braucht starke politische Signale und Steuerung.
  3. Tragfähige Zukunftsstrategien für den öffentlichen Kultursektor können nur im Schulterschluss von politischen Entscheidungsträgern und praktizierenden Institutionen entwickelt werden. Institutionen müssen in die Lage versetzt werden, selbstbestimmte Schrumpfungsprozesse auch managen zu können.
  4. Depriorisierung und Verzicht dürfen nicht in den Kulturkampf führen. Kulturinstitutionen sind angewiesen auf souveräne Kulturpolitik, die das Umrüsten von Ansprüchen und Projekten flankiert und Verantwortung für Resultate und Risiken mitträgt.
  5. Ressourcenmangel muss durch Entbürokratisierung und Verwaltungsvereinfachung oder auch durch alternative Geschäftsmodelle aufgefangen werden. In der Zusammenarbeit der Institutionen mit ihren Trägern muss die Kultur der Kontrolle durch eine Allianz des Vertrauens abgelöst werden.
  6. Da Entbürokratisierung und Flexibilisierung im Kulturmanagement die Umgestaltung von Eigenlogiken, Verhaltensgewohnheiten und Verwaltungsprozessen auf allen Seiten bis hin zu Gesetzesänderungen umfassen werden, sollten Modellprojekte mit überschaubaren Rahmenbedingungen konfiguriert, durchgeführt und evaluiert werden.

 

Diese Verallgemeinerungen führen auf die kulturpolitische Strategie- und Steuerungsebene, der in Umbruchszeiten eine erhöhte Verantwortung zukommt. Neue Prioritäten in öffentlichen Haushalten und Verschiebungen im Wertesystem der Gesellschaft erzeugen den Bedarf an intelligenten Konzepten und Praktiken für strukturelle Transformation und alternative Ansätze im Management des öffentlichen Kultursektors durch Träger, Zuwendungsgeber und die Institutionen selbst. Packen wir es gemeinsam an.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2025.