Seit der Erfindung des Buchdrucks sind alle politischen und kulturellen Entwicklungen von der Verbreitung gedruckter Schriften beeinflusst worden. Der Erfolg der Reformation ist untrennbar mit dem Buchdruck und der Zirkulation von Flugschriften verbunden. Ebenso konnten die Ideen der Aufklärung ihre Wirkung erst durch Bücher und Zeitschriften entfalten. Innovationen und die Alphabetisierung haben diese Entwicklung beschleunigt. Das führte über die Jahrhunderte zu exponentiellem Wachstum von Buchdruck und Buchhandel. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verzehnfachte sich die Anzahl der jährlich erscheinenden Bücher, aber zugleich stieß der expandierende Buchhandel in der deutschen Kleinstaaterei buchstäblich an Grenzen: Die Königreiche und Fürstentümer hatten eigene Währungen und erhoben Zölle. Nachdrucke außerhalb der Landesgrenzen schädigten Autoren und Verlage. Es wurde dringend notwendig, sowohl eine Handelsordnung als auch ein praktikables gemeinschaftliches Abrechnungssystem einzurichten.
Am Schnittpunkt der wichtigsten europäischen Handelsrouten gelegen, war Leipzig auch ein Zentrum des Buchhandels. Deshalb ergriff der Leipziger Buchhändler Philipp Erasmus Reich 1764 die Initiative zur Gründung einer »Buchhandelsgesellschaft«. Zwar scheiterte der erste Versuch zur Errichtung einer Handelsbörse für Bücher, aber das Ziel war nun vorgegeben.
1825 – Die Gründung des Börsenvereins
Am 30. April 1825 versammelten sich während der Leipziger Ostermesse 101 Buchhändler und unterzeichneten das Gründungsdokument für einen gemeinschaftlichen Abrechnungsverein, den »Börsenverein der Deutschen Buchhändler«. Der Initiator, Friedrich Campe, diesmal ein Nürnberger Buchhändler, wurde zum ersten Vorsteher gewählt.
Hier begann aber keineswegs eine gradlinige Erfolgsgeschichte des ältesten deutschen Wirtschafts- und Berufsverbandes. Seine vordringlichen Ziele waren vereinfachte Abrechnungsmodalitäten, Vereinbarungen über Frachtkosten, das Vorgehen gegen die geschäftsschädigenden Nachdrucke sowie das Unterbinden der »Schleuderei«, des Buchverkaufs zu wettbewerbsschädigenden Dumpingpreisen. Darüber hinaus gelang es den Mitgliedern aber nicht, sich über politische und berufsethische Grundsätze zu verständigen. Der Verein repräsentierte in der Mitte des 19. Jahrhunderts kaum mehr als ein Drittel der ständig wachsenden Zahl buchhändlerischer Firmen. Schon früh zeigten sich Interessenkonflikte sowohl zwischen Verlagen, Buchhandel und Zwischenbuchhandel als auch zwischen den jeweiligen geografischen Standorten mit ihren unterschiedlichen politischen Rahmenbedingungen. Es gelang dem Börsenverein noch nicht, sich als starke Interessenvertretung gegenüber den staatlichen Instanzen zu etablieren.
1871 – Gründerzeit: Das Buch als Massenmedium
Erst mit den buchhändlerischen Reformbestrebungen im ausgehenden 19. Jahrhundert, deren wichtigste die Vereinbarung einheitlicher Verkaufspreise (Preisbindung) und einheitliche Rabattkonditionen waren, wuchs dem Börsenverein größere Kompetenz zu. Die politischen Entwicklungen, allen voran die Reichsgründung von 1871, verbesserten die Voraussetzungen für einen nationalen Verband. Dazu gehörte vor allem, dass sich das Urheberrecht etablierte, wodurch geistiges Eigentum geschützt und es den Urhebern ermöglicht wurde, mit Verlagen ein ausschließliches Vermarktungsrecht zu vereinbaren. In dieser Zeit wurde das Buch zum Massenmedium.
Eine Phase der Prosperität begann, deren sinnfälliger Ausdruck der Bau des 1888 eingeweihten prächtigen Buchhändlerhauses in Leipzig war. Eine herausragende kulturpolitische Initiative des Börsenvereins war die Errichtung einer zentralen Bibliothek für die deutsche Buchproduktion. Es kam zur Gründung der Deutschen Bücherei, deren Bau 1914 fertiggestellt wurde. Der Börsenverein, das Königreich Sachsen und die Stadt Leipzig gründeten eine Bibliothek mit dem noch heute bestehenden Auftrag, die gesamte deutsche Buchproduktion seit 1913 zu sammeln. Nach der Wiedervereinigung wurden die Standorte Frankfurt am Main und Leipzig 2006 schließlich per Gesetz zur Deutschen Nationalbibliothek zusammengeführt.
1933-1945 – Der Börsenverein im Nationalsozialismus
Der Börsenverein schien sich von der nationalsozialistischen Machtübernahme eine Neuordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse zu versprechen und biederte sich den neuen Machthabern an. Ein bereits am 12. April 1933 beschlossenes »Sofortprogramm« sollte den Verband als »Zwangsorganisation« etablieren und jegliche buchhändlerische oder verlegerische Tätigkeit unter staatliche Konzessionierung stellen. Dass Firmen in jüdischem Besitz oder unter der Leitung politisch missliebiger Personen keine Konzessionen erlangen würden, lag auf der Hand. Enteignung, Flucht und Vertreibung waren die Folge.
Man kann das Agieren des Börsenvereins daher nur als eine Selbstgleichschaltung in vorauseilendem Gehorsam bezeichnen. Auch machte sich der Verband die fatalen Aktivitäten »wider den undeutschen Geist« zu eigen, benannte im Börsenblatt jene Autoren, deren Werke nicht mehr verkauft werden sollten und wirkte an Verbotslisten mit. Wenige Tage nach den Bücherverbrennungen sprach Propagandaminister Goebbels am 14. Mai 1933 unter »stürmischem Beifall« im Leipziger Buchhändlerhaus. Bald darauf wurde der Börsenverein in die Reichsschrifttumskammer eingegliedert. Der bisherige Verein wurde nun zu einer verpflichtenden Körperschaft öffentlichen Rechts. Mit Kriegsbeginn veränderte sich die wirtschaftliche Lage des Buchhandels und der Verlage. Unter den Bedingungen der Kriegswirtschaft erfolgte ab 1941 eine Papierzuteilung, die zum verlängerten Arm der ohnehin bestehenden Zensurmaßnahmen wurde. Wie ein Schlussakkord wirkte der Bombenangriff auf Leipzig am 4. Dezember 1943, bei dem das Graphische Viertel und das prächtige Buchhändlerhaus zerstört wurden.
1945-1989 – Neugründung in Ost- und Westdeutschland und Wiedervereinigung
Mit der Gründung der beiden deutschen Staaten und ihren unterschiedlichen Wirtschaftssystemen nahmen der Buchmarkt und die Verbandsorganisation jeweils eine eigene Entwicklung. Während in der Bundesrepublik private Verlage und Buchhandlungen fortbestanden oder aus der sowjetischen Besatzungszone im Westen angesiedelt wurden, wurde der Buchhandel in der DDR der »Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel« im Ministerium für Kultur unterstellt. Unter politischer Ausrichtung entwickelte sich ein staatlich gelenkter Buchhandel. Und dennoch gab es parallele Strukturen, die nach der Wiedervereinigung eine vergleichsweise reibungslose Fusion der Verbände ermöglichten.
2025 – Wo steht der Börsenverein heute?
In der Geschichte des Börsenvereins sind die Fragen dieselben geblieben. Die Buchpreisbindung ist zwar seit 2002 durch ein Gesetz geregelt, aber dennoch birgt sie Konfliktstoff. So ist z. B. festgelegt, dass Händlern, die an Endkunden verkaufen, kein höherer Rabatt eingeräumt werden darf als dem Zwischenbuchhandel. Dagegen wird jedoch durch die Rabattansprüche des größten Versandhändlers verstoßen, was jedoch wegen dessen Marktmacht hingenommen wird. Dem Börsenverein scheinen die Hände gebunden. Einerseits ist jener Versandhändler kein Verbandsmitglied, und zugleich wirkt der Verband nicht auf seine Mitglieder ein, diese Praktiken einzustellen.
Seit Jahren vollziehen sich Konzentrationsprozesse in der Buchbranche: Aus der überwiegend mittelständischen Verlags- und Buchhandelslandschaft ragen Medienkonzerne heraus, die mit der Einkaufsmacht der Buchhandelsketten auf Augenhöhe kooperieren können, während gegenüber den mittelständischen Verlagen und den unabhängigen Sortimentsbuchhandlungen asymmetrische Beziehungen entstanden sind. Stand zuvor die Vielfalt mittelständischer Verlage und Buchhandlungen für die Vielfalt des Buchangebots, so wirken sich die Konzentrationsprozesse nun negativ auf die Vielfalt aus.
Hatte das Urheberrecht lange den Schutz des geistigen Eigentums und die Leistungen der Verlage immer wirksamer geschützt, so wird dies zunehmend vom Gesetzgeber durch Schrankenregelungen und Vorschriften für kostenlose Nutzungen (open access) ausgehöhlt. Selfpublishing eröffnet ein Marktgeschehen abseits von Verlagen und Buchhandel, während zugleich KI-generierte Produkte an Bedeutung gewinnen und herkömmliche Geschäftsmodelle infrage stellen.
Neben der allgemein abnehmenden Lesefähigkeit sind auch der dramatische Verlust an Sozialprestige der gesamten Buchbranche und ein zunehmend schwieriger Arbeitsmarkt bedrohliche Herausforderungen.
Ein rapider Mitgliederschwund durch Geschäftsaufgaben, fehlende Nachfolgeregelungen oder Insolvenz schwächen den Börsenverein ebenso wie die sinkende Ertragskraft seiner Wirtschaftsbetriebe.
Um diesen Entwicklungen entgegenzutreten, bedarf es großer Anstrengungen, für die sich der Börsenverein, wie so oft in seiner Geschichte, durch Reformen ertüchtigen muss.
200 Jahre Börsenverein
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels wird 200 Jahre alt. Gegründet 1825 in Leipzig, hat er heute seinen Sitz in Frankfurt am Main. Als Dachverband der deutschen Buchbranche vereinigt der Börsenverein drei Branchensparten unter einem Dach: die Verlage, die Buchhandlungen und den Zwischenbuchhandel. Gemeinsam handeln diese politische Forderungen, inhaltliche Schwerpunkte, Markt- und Branchenfragen und Verbandsinterna miteinander aus. Das Jubiläum dieses ältesten Branchenverbandes in Deutschland nehmen wir zum Anlass für einen Fokus in Politik & Kultur. Herzlichen Glückwunsch, Börsenverein!