Es ist unmöglich, die jetzt endgültig vorliegende GEMA-Reform nicht mit den aktuellen Geschehnissen in den USA zu vergleichen. Denn für ein vermeintliches Problem wird wider alle Vernunft ein Vorschlaghammer als Lösung genommen.
Der Hammer der GEMA heißt unschuldig »Antrag 22a« und ist eine in jeder Beziehung unausgegorene Reform des Verteilungsplans mit desaströsen Konsequenzen für das gesamte Musikleben Deutschlands. Auf den Hammerschlag folgen würde nicht nur ein katastrophaler Börsensturz (E-Komponierende, Verlage, Stiftungen und Rechtenachfolger werden die größten Teile ihres GEMA-Einkommens verlieren), sondern auch ein böses Erwachen für alle GEMA-Mitglieder. Diese fänden sich in den nächsten Jahren einem halbgaren Reformplan unterworfen, dessen wesentlichste Details noch gar nicht ausgearbeitet sind.
»Run, you fools«, würde Gandalf sagen. Aber man darf nicht wegrennen, sondern muss nach München fahren, wenn dort in wenigen Wochen über den Antrag bei der Mitgliederversammlung am 14./15. Mai entschieden werden wird. Der Widerstand wird schwierig, denn nur ordentliche Mitglieder dürfen abstimmen, und davon hat die GEMA im Bereich E in den letzten Jahren immer weniger. Nicht etwa, weil E »in der heutigen Musiklandschaft an Relevanz« verloren hat (Zitat GEMA-Antrag), sondern weil es in den vergangenen Jahren Satzungsänderungen gab, die das E-Aufkommen innerhalb der GEMA reduzierten, z. B. die Chormusik betreffend, die massiv abgewertet wurde. Nun fragt man sich, ob auch die schrittweise Reduzierung von E-Komponierenden in den Kurien der GEMA über die letzten Jahre planvoll geschah, um ungestörter reformieren zu können. Und man fragt sich, wem diese Reform eigentlich am meisten nützt. Denn je mehr sich die GEMA bei denen anbiedert, die sie überzeugen will, desto mehr wächst das Unbehagen über mögliche Interessenskonflikte im Aufsichtsrat.
Man hat fast das Gefühl, als Noten schreibender Komponist nicht mehr erwünscht zu sein, denn der GEMA wird es zukünftig zu anstrengend sein, in ihren Datenbanken zwischen einer Improvisation für Didgeridoo solo und einem Werk für Symphonieorchester mit 100 Mitwirkenden zu unterscheiden. »Inkassobezug für mehr Leistungsprinzip« nennt die GEMA dies, und es klingt fast wie Gewerkschaftsslang der ehemaligen DDR. »U« und »E« sollen abgeschafft, alles soll gleich abgerechnet werden. Aber dann auch wieder nicht, denn »E« wird nun zur kümmerlichen »KUK«-Kategorie (Kunstmusikkonzertförderung), die ein Gnadendasein fristet und dennoch eine komplexe, von zahllosen Ausnahmen und Spezialregelungen geprägte Sonderbehandlung genießen soll. Vermeintliche Ungerechtigkeiten werden nur scheinbar beseitigt, stattdessen mehr neue Ungerechtigkeiten geschaffen. Die GEMA wird in einem Wust aus Gremien ersticken, um die zahlreichen neuen Geschäftsmodelle in Schach zu halten, für die der Antrag 22a geradezu eine Steilvorlage ist.
Die zum größten Teil momentan ahnungslosen und indifferenten GEMA-Mitglieder – die seit Monaten mit einer beispiellosen Kampagne aus schönen Worten, geheuchelter »Mitbestimmung« und Schautäfelchen eingelullt wurden – könnten nach der Abstimmung in einer anderen GEMA aufwachen. Aus einer Verwertungsgesellschaft würde dann über Nacht eine Institution, die darüber wacht, was ein »Kunstmusik«-Konzert ist, und wie »Leuchtturmförderung« aussieht. Veranstalter werden sich umschauen müssen, ob sie ein »Kulturort« sind, denn nur an »Kulturorten« gibt es die »Kulturpunkte«, die die GEMA nun für ihre Förderung verteilen will. Natürlich nur an »professionelle KUK-Komponierende«, die dann gnädig an einer im Vergleich zu vorher krass gekürzten Förderung nach dem Gartenschlauchprinzip teilnehmen dürfen. Die GEMA nennt das elegant »abschmelzen«, um uns nicht zu sehr mit dem Wort »abwickeln« zu erschrecken.
Komponierende müssen dann darüber nachdenken, ob sie »deutschsprachig« genug komponieren, oder genügend »Mundart« verwenden (hierfür wird es Applaus von der falschen Seite geben), ob sie »Nische« und »Nachwuchs« sind, oder eher das, was die GEMA fortan ignorieren und ausbluten will: den Mittelstand. Die GEMA wird uns dann sagen, was »Innovation« ist (bei einem Durchschnittsalter von um die 60+ in den GEMA-Gremien darf man schon gespannt sein). Sie wird in Zukunft auch beurteilen, ob – mein Favorit – in einer Komposition genügend »Verzahnung von Musik und Text« stattfindet, eine schmerzhaft klingende Kategorie, über die weder Udo Jürgens noch Schubert jemals nachdenken mussten. Alle von mir in Anführungszeichen verwendeten Begriffe stammen tatsächlich aus den offiziellen Schautafeln der GEMA. Kann man sich gar nicht ausdenken.
Nein, man braucht die Begriffe »U« und »E« nicht unbedingt. Aber es wäre sehr wohl möglich, auf dem bestehenden System sanft etwas aufzubauen, das dauerhaft funktioniert und Positives bewirkt. Die GEMA ist Opfer ihrer eigenen Bürokratie, ihrer komplexen Satzung und ihrem leider oft auch selbstverschuldeten schlechten Image. Man könnte viel verbessern. Es wäre jederzeit möglich, dass sich alle an einen Tisch setzen, und diese Aufgabe gemeinsam lösen. Dazu müsste man Türen öffnen, Zahlen transparenter machen und auf das Solidarprinzip setzen, das die GEMA in ihren besten Zeiten stets ausgezeichnet hat. Doch jetzt weht scheinbar ein anderer Wind: Die GEMA hat genau diejenigen nicht in die Reformgedanken einbezogen, die nun durch sie marginalisiert werden. Dass man sich dagegen wehren würde, war abzusehen, hätte aber vermieden werden können.
Wie auch immer es im Mai ausgehen wird, die Reform hat schon jetzt unnötige Spaltung betrieben, nicht nur innerhalb der GEMA, sondern auch im Deutschen Komponist:innenverband. Es wird vielleicht Jahre dauern, diese Wunden zu heilen, da es ein Verspielen von Vertrauen ohne Vorbild ist.
Oder vielleicht hat es doch ein Vorbild, in diesen verrückten Zeiten.