In den öffentlichen Debatten ist sehr oft von einer Spaltung der Gesellschaft die Rede. Als ein wesentlicher Indikator werden Wahlen gesehen, in denen die AfD deutliche Stimmengewinne zu verzeichnen hat. Das allzu einfache Erklärungsmuster lautet sehr oft:

 

  • Auf der einen Seite gibt es schrumpfende Mittel.
  • Auf der anderen Seite gibt es die Ränder, also die AfD und Die Linke, die nach der alten »Hufeisentheorie« sehr oft gleichgesetzt und gleichermaßen als extremistisch angesehen werden.

 

Der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel machte bereits 2021 ein anderes Deutungsangebot. Er verwies auf den sozioökonomischen Konflikt von Kapital und Arbeit, der die westeuropäischen Nachkriegsgesellschaften bis 1989 prägte. Dieser Konflikt – Arbeit gegenüber Kapital – wurde durch den Steuer- und Sozialstaat abgemildert und entschärft.

1989 markiert einen deutlichen Bruch. Der Kapitalismus hat tatsächlich oder vermeintlich gesiegt. In Folge der Ereignisse des Jahres 1989 zerbrachen oder änderten sich zumindest grundlegend die Länder, die das Gegenbild zum Kapitalismus bildeten, also Polen, die DDR, die Sowjetunion usw. Die Polarisierung der Welt, wie sie im gesamten Kalten Krieg präsent war, fand ein Ende. Manche sprachen seinerzeit sogar vom Ende der Geschichte. Gleichwohl entstand hieraus keine gleiche Gesellschaft, sondern neue Konfliktlinien bildeten sich in der Folge, die sich ihrerseits am Kapital, und zwar am Humankapital, festmachen; darunter lauern letztlich ökonomische Unterschiede.

Grob lassen sich, laut Wolfgang Merkel, zwei Gruppen unterscheiden:

 

  • Die einen sind mit hohem Humankapital ausgestattet. Sie sind zumeist akademisch gebildet, leben urban, sind sehr oft ökonomisch privilegiert, legen Wert auf offene Grenzen, bevorzugen eine liberale Migrationspolitik, treten für die Gleichstellung der Geschlechter ein und sind offen für das Ausleben geschlechtlicher Differenz; Klimapolitik ist für sie wichtig. Sie werden auch als Kosmopoliten bezeichnet.
  • Die anderen haben oft einen geringeren formalen Bildungsgrad, sprechen sich für einen starken Nationalstaat aus, erwarten eine strikte Migrationspolitik, Ökologie ist ihnen weniger wichtig als eine prosperierende Wirtschaft, Geschlechterfragen spielen eine untergeordnete Rolle und werden als »Gender-Gaga« disqualifiziert. Die Angehörigen dieser Gruppe gehören oft zu den weniger Begünstigten der Gesellschaft. Sie neigen autoritären Systemen zu. Sie werden als Traditionalisten bezeichnet.

 

Diese beiden Idealtypen unterscheiden sich zwar grundlegend in ökonomischer Hinsicht, die Unterscheidung wird aber nicht anhand der Ökonomie, sondern mit Blick auf kulturelle Unterschiede getroffen. Vereinfacht könnte man auch sagen, Kultur, der Zugang zu Kultur, kulturelle Ausdrucksformen werden zu wesentlichen Unterscheidungsmerkmalen, weshalb auch Kultureinrichtungen und Kulturorte in ganz anderer Weise in den Fokus rücken.

Kulturelle Experten neigen ebenso wie technische oder Management-Experten eher zum progressiven Milieu der Kosmopoliten, das einen gesellschaftlichen Führungsanspruch erhebt. Sie gehören oftmals zu den Entscheidern oder auch Meinungsführern. Insofern war die Diskreditierung des Kulturbereichs durch den vormaligen kulturpolitischen Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion Marc Jongen als »links-grün versifft« in Bezug auf ein typisches Kulturmilieu wahrscheinlich gar nicht so unzutreffend. Eines beherrscht insbesondere die AfD perfekt: die Polarisierung auszuschlachten. Richard Münch spricht von Polarisierungsunternehmern. Die Polarisierung ist ihr Geschäftsmodell. Man konnte dies in den letzten zwei Wahlperioden sehr gut im Deutschen Bundestag verfolgen.

Als die AfD im Jahr 2017 das erste Mal in den Deutschen Bundestag gewählt wurde, bestand noch großes Erstaunen, als ein erheblicher Teil der zur Verfügung stehenden Ressourcen für ein perfektes Fernsehstudio und nicht etwa für wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter genutzt wurde. Inzwischen wurde perfektioniert, dass in zugespitzten Redebeiträgen und Gesten Empörung und Polarisierung gesteigert werden, um dann sofort im Youtube-Kanal »auf Sendung zu gehen«.

Aber nicht nur die AfD versteht das Polarisierungsgeschäft. Auch von Seiten progressiver Kräfte werden Positionen, die über Jahrzehnte als konservativ bezeichnet wurden, inzwischen als »rassistisch«, »fremdenfeindlich« oder »transphob« gebrandmarkt. Dies trägt ebenfalls zur Polarisierung der Gesellschaft bei. Allgemein bekannt ist, dass durch die sozialen Medien diese Polarisierung verschärft und angetrieben wird.

Ich möchte auf einen anderen Sachverhalt eingehen, und zwar das Schwinden der Lokalpresse. Das Wissenschaftszentrum Berlin hat bereits 2019 in einer Langzeitstudie herausgearbeitet, dass das Sterben von Lokalzeitungen entscheidend zur Polarisierung der Wählerschaft beigetragen hat. Es wurde dafür die Polarisierung in einzelnen Wahlkreisen von 1980 bis 2009 untersucht. Die Polarisierung der Wählerschaft wurde mit dem Vorhandensein einer Lokalzeitung korreliert. In der Studie wurde herausgearbeitet, dass mit dem Rückzug einer Lokalzeitung die Polarisierung der Wählerschaft zunimmt. Hinzukommt, dass Lokalzeitungen sich besonders aus dünn besiedelten Gebieten zurückziehen. Gebieten, die sich oftmals in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage befinden.

Was leisten Lokalzeitungen in den Regionen, in denen sie noch vorhanden sind? Gerade auf der lokalen Ebene ist das Streben nach parteiübergreifendem Konsens oftmals viel bedeutender als auf der bundespolitischen Ebene. Gefragt sind oftmals pragmatische Lösungen. Lokalzeitungen machen Aushandlungsprozesse und deren Gelingen transparent. Wenn allerdings diese Berichterstattung fehlt, erodiert auch das Zutrauen in die Kommunalpolitik.

In die Lücke von wegfallenden Lokalzeitungen treten eben nicht die großen Tageszeitungen wie FAZ oder Süddeutsche, sondern von Polarisierung lebende Boulevard-Medien wie die Bild-Zeitung oder aber zunehmend Angebote in den sozialen Medien.

 

Die Rolle von Museen im gesellschaftlichen Diskurs

Die Studie zum »Vertrauen in Museen« des Instituts für Museumsforschung ist im April 2024 erschienen und beruht auf einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage. Sie wurde in der Ausgabe 12/24-1/25 von Politik & Kultur ausführlich vorgestellt. Ein wesentliches Ergebnis: Nach Familie und Freunden genießen Museen das zweithöchste Vertrauen, erst danach folgen Wissenschaft und Medien. Museen haben also mit dem Vertrauensvorschuss, der ihnen entgegengebracht wird, ein Pfund, mit dem sie wuchern können.

 

Herausforderungen für Museen

Die Herausforderung für Museen besteht darin, diesem Vertrauensvorschuss auch tatsächlich gerecht zu werden. Museen haben hier große Chancen, aber auch eine ebenso große Verantwortung. Sie können einen wichtigen Beitrag im Aufbrechen von Dichotomien leisten. Die Wirklichkeit und auch unsere Vergangenheit sind nicht schwarz oder weiß; zwischen diesen beiden Polen liegt eine große Menge an Grau in verschiedenen Schattierungen. Dieses Grau zu heben, es anschaulich zu machen, unterschiedliche Zugänge und Interpretationen zu Themen oder auch Artefakten zu bieten: Das können Museen leisten.

 

  • Sie können, insbesondere wenn sie aus der Vergangenheit schöpfen, Interpretationen und unterschiedliche Forschungsstände anbieten.
  • Sie sollten eine klare Haltung haben.
  • Sie sollten wissenschaftlich fundiert arbeiten.
  • Sie sollten sich vor Moralisierungen hüten.

 

Besonders wichtig ist, dass die Museen das Publikum im Blick haben. Die meisten tun dies ohnehin. Mit fällt in Berlin allerdings oft auf, dass Museen für sich den Anspruch erheben, die Stadtgesellschaft erreichen zu wollen. Dabei wird »Stadtgesellschaft« sehr oft eher eng als offen verstanden und eigentlich vor allem ein progressives Milieu adressiert, das zu einem erheblichen Teil wahrscheinlich ohnehin zu den Museumsbesuchern gehört.

Meines Erachtens kommt gerade den Museen in der Fläche bzw. dem ländlichen Raum eine sehr große Bedeutung zu.

Gerade Museen können eine wichtige Funktion für den Zusammenhalt der Gesellschaft übernehmen:

 

  • Sie bieten Räume für Aushandlungsprozesse und Identifikation.
  • Dieses Identifikationspotenzial ist für die ganz verschiedenen Menschen, die in einem Ort, in einer Stadt leben, sehr bedeutsam und verbindend.
  • Das verlangt auch, mit offenem Visier und einer klaren Haltung mit denjenigen zu sprechen, deren Meinung nicht geteilt wird.

 

Die AfD ist nicht nur im Deutschen Bundestag, sondern auch in den Landtagen, Stadt- und Gemeinderäten präsent. Sie nutzt sehr oft das Feld der Kultur, um zu verunsichern, die Arbeit zu diskreditieren und die Rechtmäßigkeit von Förderung in Frage zu stellen. Hiervon zeugen die vielfachen parlamentarischen Anfragen und das Hinterfragen der Arbeit von Kulturinstitutionen. Davon sind auch Museen betroffen. Gerade jene Verantwortlichen, die nicht im Lichte der bundesweiten Öffentlichkeit stehen, sehen sich oft vor der Frage, wie stark sie sich öffentlich positionieren wollen und können.

 

Fazit

  • Die Polarisierung der Gesellschaft ist kein neues Phänomen. Sie wird nur schärfer wahrgenommen.
  • Die ökonomische Polarisierung wird durch eine kulturelle überdeckt, daher geraten Kultureinrichtungen stärker in den Blick bzw. werden stärker hinterfragt.
  • Museen wird ein hohes Vertrauen entgegengebracht. Daher können sie sich als Ort für Aushandlungsprozesse weiter etablieren und damit der Polarisierung einen Kontrapunkt entgegensetzen.
  • Museen können dabei auf eine Wertekanon, wissenschaftlich sauberes Arbeiten und eine klare Haltung zurückgreifen.

 

Museen haben damit eine große Chance, aber auch eine große Verantwortung, diese Chance im Einsatz gegen die Polarisierung zu nutzen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2025.