Die ethnografische Museumslandschaft hat sich in den letzten zehn Jahren radikal verändert. Eine neue Generation von Direktorinnen und Direktoren sowie Kuratorinnen und Kuratoren brachte neue Leitbilder, Schwerpunkte und Arbeitsweisen in die Institutionen und reagierte auf tiefgreifende Kritik, mit der sie sich konfrontiert sahen. Sie beschäftigen sich mit dem kolonialen Erbe in ihren Sammlungen, legen die Rolle der Museen im Kolonialismus offen, adressieren seine globalen Nachwirkungen und Rassismus in der Gesellschaft. Bis in die rezente Gegenwart fußten die Programme der Museen auf unreflektierter Exotisierung und Folklorisierung von Menschen in einer Konstruktion des vermeintlich Anderen, nun sehen wir es als unsere wichtige Aufgabe an, ein breites Publikum kritisch für diese Fragen zu sensibilisieren und bieten Räume an für Austausch, Beteiligung sowie gesellschafts- und kulturpolitische Diskurse.

Das Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (MARKK) wurde 1871 als »Culturhistorisches Museum« gegründet und 1879 im Kontext der deutschen kolonialen Ambitionen in »Museum für Völkerkunde« umbenannt und von Georg Thilenius, dem Gründungsdirektor des 1912 eröffneten Museumsgebäudes, zum damals zweitgrößten ethnografischen Museum Deutschlands ausgebaut. Dafür gewann er die Unterstützung der mächtigen Hamburger Handelsdynastien und Finanzwelt. Der Hamburger Hafen war Schnittstelle für den deutschen kolonialen Welthandel, die ökonomischen Interessen der Stadt spielten eine zentrale Rolle bei der Transformation des Deutschen Reichs in einen Kolonialstaat. Die Namen vieler Handelsfirmen und ihrer Profiteure sind in goldenen Lettern als Förderer des damaligen Museums für Völkerkunde an den Marmorsäulen des prunkvollen Eingangsfoyers verewigt. Sie zeugen von der engen historischen Verflechtung des Museums mit diesen Initiatoren des kolonialen Projektes Deutschlands.

Mit seinen weltumfassenden Sammlungen zur Kunst- und Kulturgeschichte ist das MARKK heute das einzige Museum in Hamburg, das sich mit transkulturellen Fragestellungen befasst und das westliche Kulturverständnis erweitert, in dem alle Welt- und Kunstsichten einen gleichwertigen Stellenwert einnehmen. Als Museum mit ethnografischen Wurzeln maßt es sich nicht mehr an, aus europäischer Sicht »andere Völker« zu beschreiben. Auf Grundlage der Sozial- und Kulturanthropologie legt das MARKK einen Schwerpunkt auf die gesellschaftliche Verankerung des Menschen, auf kulturelle Verflechtungsgeschichten und Kooperationen.

Im Rahmen des vor sechs Jahren eingeleiteten und noch lange nicht abgeschlossenen Prozesses der Neupositionierung und Dekolonisierung, haben wir das Museum 2018 umbenannt und zeitgleich eine neue Corporate Identity entwickeln lassen. Beides sandte starke Signale nach außen und war in der traditionsverbundenen Hansestadt anfänglich umstritten; genießt in der Zwischenzeit allgemein Anerkennung und wird von vielen wichtigen Vereinigungen oder Entscheidungsträgern der Stadt mitgetragen und unterstützt.

Der neue Name verweist nicht nur auf den prägenden Einfluss der Hafenstadt und ihrer Geschichte auf die Konstitution des Museums, sondern auch auf den Standort in Hamburg-Rothenbaum. Gleichzeitig legt er den Fokus auf die Bedeutung der globalen Kultur- und Kunstbestände. Die ehemals als »völkerkundlich« oder »ethnografisch« bezeichneten Sammlungen hinterfragen und bereichern eine auf Europa fokussierte Kultur- und Kunstgeschichte. In unserer Arbeit dekonstruieren wir das Ethnografische als ein Konzept der Kolonialzeit. Es reduzierte außereuropäische Gegenstände auf eine Funktion des »Völkerbeschreibens«, wobei die Sammlungen in den neu geschaffenen ethnografischen Museen konzentriert und ohne Rücksicht auf ihre eigentliche Qualität und Funktion nicht auf die gleichzeitig entstandenen Fachmuseen verteilt wurden. Heute wollen wir dieser Vielfalt in den Sammlungen durch transdisziplinäre und transkontinentale Zusammenarbeit, aber auch durch Abgabe der Deutungshoheit gerecht werden. Unserem Publikum vermitteln wir, dass es kein ethnografisches Objekt per se gibt und eine kulturbeschreibende nur eine Perspektive von vielen auf die Sammlungsobjekte darstellt. Vielmehr umfasst die Sammlung alte und neue Kunst, historische Gegenstände, die unter anderem auch an koloniale Gewalt oder wichtige Persönlichkeiten erinnern, religiöse oder spirituell aufgeladene Objekte, Alltagsgegenstände, Belegstücke für Fertigkeiten, Praktiken, Moden oder kulturelle Verflechtungen und vieles mehr. Die kulturellen Objekte sind einem kontinuierlichen Wandel unterworfen und gelten für die Nachfahren ihrer ursprünglichen Besitzerinnen und Besitzer heute als materielle Zeugnisse kolonialer Gewalt, aber haben auch identitätsstiftende Bedeutung oder dienen als Wissensreservoir für kulturelle Erinnerung oder Erneuerung.

Die Sammlungsobjekte und ihre Geschichte sprechen von Weltoffenheit und europäischer Arroganz zugleich, von der Wertschätzung des kulturellen Reichtums der Erde und gleichzeitig seiner kolonialen Ausbeutung und Aneignung. Ein umfassender Wandel unserer Institutionen war notwendig, um mit diesem schwierigen Erbe verantwortungsvoll umzugehen. Dazu gehören die Aufarbeitung des Kolonialismus, die Anerkennung des durch gewaltvolle Praktiken und Allianzen in der Museumsgeschichte verursachten Schmerzes, Restitutionen, Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten oder Künstlerinnen und Künstlern von Ursprungsgemeinschaften, Herkunftsländern und Diasporas, Diversifizierung, Transparenz und ein Bekenntnis zu den immanenten Widersprüchen in unserer Museumsarbeit genauso wie die Wertschätzung der wertvollen Sammlungen und die Würdigung des in ihnen gespeicherten Wissens.

Nun steht das MARKK dank einer großzügigen Förderung des Bundes und der Freien und Hansestadt Hamburg vor einer umfassenden Modernisierung seines Museumsgebäudes und der Neukonzeption seiner Dauerausstellungen. Es ist eine große Chance und Verantwortung zugleich, in dem 110 Jahre alten Kolonialdenkmal von deutschlandweiter Bedeutung ein zukunftsfähiges, selbstreflexives und charismatisches Museum der Kulturen und Künste zu entwickeln, auf das auch seine Kritikerinnen und Kritiker stolz sein können.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2023.