Die Museumslandschaft in Deutschland ist riesig. In der jährlichen Statistischen Gesamterhebung für die Museen in Deutschland, die das Institut für Museumsforschung seit 1981 unternimmt, ist die Zahl von anfänglich etwa 1.200 Häusern auf inzwischen knapp 7.000 angestiegen. Innerhalb der Statistik ist es für die Auswertung und Analyse von Daten relevant, diese Größen herunterzubrechen. Dies geschieht unter anderem, indem die Häuser durch ihre Sammlungsschwerpunkte unterschieden werden. Dabei fallen zwei große Sammlungsgattungen auseinander: die naturhistorischen und die kulturhistorischen Sammlungen. Eine dritte Gruppe lässt sich grob formuliert als Kunstsammlungen benennen. Ausgehend von dem Wissen, dass Museen in der Regel maximal objektfokussierte Institutionen sind, lohnt es sich, einige weitere Gedanken über diese Sammlungsgattungen anzuschließen und zu überlegen, was trennende, aber auch, was verbindende Aspekte ausgehend vom Umgang mit Objekten in den Sammlungen sein können.

Im Jahr 2014 habe ich als ausgebildete Prähistorikerin am Botanischen Garten und Botanischen Museum Berlin begonnen. Ich war durch mein Studium und durch die jahrelange Tätigkeit in kulturhistorischen Einrichtungen bereits geprägt. Daher war für mich in der ersten Zeit der Umgang mit dem Objektbegriff und den Objekten in einer naturwissenschaftlichen Forschungseinrichtung als solches besonders bemerkenswert. Man kann es vielleicht so beschreiben, dass im Botanischen Garten ein angstfreier Umgang mit den Objekten – in der Regel Herbarbelege – im Vordergrund steht und die absolute Priorität bei der Forschungserkenntnis durch die Objekte liegt. Moderne botanische Forschung arbeitet auch mit genetischen Fragestellungen, was unter Umständen eine Beprobung von Herbarbelegen nötig macht. Diese Beprobung ist zwar minimal invasiv, aber sie ist invasiv. Es wird etwas Pflanzenmaterial vom Herbarbeleg benötigt. Der Umgang mit Sammlungen in kulturhistorischen Einrichtungen ist ein anderer. Die Einzigartigkeit des Objektes und damit sein Erhalt im Originalzustand steht im Vordergrund und bestimmt die Arbeit damit. Materialproben werden nur in Ausnahmefällen genommen.

Hintergrund für diese sehr unterschiedlichen Haltungen gegenüber dem »Objekt« könnte aus meiner Sicht die Entstehung der Sammlungen sein. Dabei steht im Fokus der Betrachtung vor allem der Funktionswechsel der Dinge: Krzysztof Pomian hat bei seinen Betrachtungen zu Museumsobjekten viel beachtet auf diesen Funktionswechsel von Alltagsobjekten zu Museumsobjekten hingewiesen. Das heißt, dass der Wert der Dinge durch ihre Integration in eine Museumssammlung nicht mehr nur in ihrem materiellen Wert liegt, sondern dieser angereichert wird durch das Zeugnis, das sie abgeben. Inwiefern spielt aber gerade die Entstehung der Sammlungen eine Rolle bei der Frage, wie genau dieses Zeugnis definiert und für wie fragil dieses Zeugnis gehalten wird.

Bei der Entstehung von naturhistorischen Sammlungen ist die Rolle der Sammlerinnen und Sammler enorm wichtig. Die Unternehmung einer Sammelreise ist getragen von dem Ziel, die Biodiversität der Erde besser kennenzulernen und durch Wissen zu bewahren, sowohl durch (GPS-)Kartierung der Vegetation vor Ort als auch durch das Aufsammeln von Belegen, wie Herbarbelegen, DNA-Proben etc., als auch durch die Mitnahme von Saatgut für Erhaltungskulturen in botanischen Gärten. Der Forschungsaspekt steht also im Mittelpunkt der Unternehmung und prägt das Handeln der Sammlerin und des Sammlers, die oder der schon deshalb in der Regel und vor allem in jüngerer Zeit eine ausgebildete Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler ist. Dabei ist die Situation im Feld entscheidend: Pflanzen haben in ihrem natürlichen Habitat keinen direkt erkennbaren Zweck. Sie wachsen dort und übernehmen im natürlichen System eine bestimmte physiologische Rolle. Die Sammlerin oder der Sammler entnimmt sie ihrer natürlichen Umgebung und macht sie damit zum Objekt. Dabei gibt es meist mehrere Pflanzen-Individuen zur Auswahl. Die Auswahl, welches dieser Individuen am »passendsten« ist für die Anfertigung eines Herbarbelegs – am besten gewachsen, besonders »typisch« bzw. »untypisch«, besonders ausgeprägte Merkmale –, trifft die Sammlerin oder der Sammler vor Ort. Erst mit dem Akt des Aufsammelns durch die Sammlerin oder den Sammler werden die Dinge, hier: Pflanzen, zu (Museums-)Objekten. Der Bruch wird noch deutlicher bei den sogenannten Lebendsammlungen. Es handelt sich dabei um lebend gesammelte Pflanzen oder um Pflanzensamen, die vom Originalstandort in Botanische Gärten gelangen und dort entweder ausgepflanzt oder in Saatgutbanken konserviert werden. Auch diese Pflanzenindividuen werden zu (Museums-)Objekten, sobald sie im Bestand eines Botanischen Gartens landen. Dabei ist keineswegs sichergestellt, dass sie auch überleben. Wie prägend ist es für die eigene Arbeit und den Sammlungsbegriff, wenn Sammlungen im wahrsten Sinne des Wortes einfach wegsterben können?

Bei Sammlungen in Kunstmuseen stellt sich die Sache wiederum anders dar: Die Objekte werden in der Regel für ihre Betrachter geschaffen und transportieren die Idee und Intention der Künstlerin oder des Künstlers. Ihr Zweck ist demnach bereits bei ihrer Entstehung auf eine Betrachterin bzw. einen Betrachter gerichtet und könnte grob gesagt museal genannt werden, was neben der Betrachtung auch die Sammlung, Erforschung und Bewahrung einschließt. Ungeachtet, ob die Kunstwerke schließlich auf dem Kunstmarkt oder im Museum landen. Doch auch hier ist das Moment des Sammelns entscheidend: Zwar hängt die Entscheidung, welche dieser Kunstwerke in Museen gesammelt werden, von Konjunkturen und Themen ab, die hier nicht näher beleuchtet werden können. Aber ihr Weg ins Museum kann als einigermaßen natürlich bezeichnet werden. Ihre Funktion ändert sich nicht völlig durch ihre Aufnahme in eine Museumssammlung.

Wiederum anders ist die Sache bei kulturhistorischen Sammlungen, wo das Beispiel der archäologischen Objekte vielleicht das Sprechendste ist. Grabungen sind Unternehmungen, die der Sicherung dienen, die aber auch geleitet sind von einem wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse. Baubegleitende Grabungen werden beispielsweise unternommen, um Befunde, die sonst buchstäblich unter den Bagger kämen, zu sichern und sie gleichzeitig für die Forschung verfügbar zu machen. In einem Grabungskontext verhält es sich so, dass alles, also wirklich jedes Detail von Interesse ist und in die Sammlung Eingang findet. Die Grabungsleitung entscheidet nicht. Während bei naturhistorischen Objekten der Sammler sozusagen der Geburtshelfer für das Objekt ist, handelt es sich bei archäologischen Objekten um aus dem Alter und dem Kontext »geborene« Objekte. Und das gilt auch, wenn ihre ursprüngliche Funktion eine völlig profane, andere war.

Aus diesen diversen Herkunfts- und Sammlungskontexten leitet sich aus meiner Sicht die sehr unterschiedliche Umgehensweise mit den Objekten ab. Sie hängt darüber hinaus eng mit der ursprünglichen Funktion der Objekte und ihrer Rolle als Semiophoren im pomianschen Sinn zusammen. Im musealen Kontext dienen die Objekte dem Erkenntnisgewinn und werden als Anschauungsmaterial genutzt.

Trotz der genannten Divergenzen scheint es gewinnbringend, Natur und Kultur stärker zusammenzudenken. Die unterschiedlichen Denk- und Arbeitsweisen, die sich auch aus den Sammlungskontexten und Ursprungsfunktionen erklären, machen deutlich, dass diese sich gegenseitig bereichern können. Zunächst ganz allgemein über die Frage, was eigentlich ein Museumsobjekt ist und was es ausmacht. Darüber hinaus ist es wichtig, sich aus den starren Grenzen, wie sie durch Fachdisziplinen vorgegeben werden, herauszubewegen. Es ist sehr bereichernd, aus unterschiedlichen Perspektiven auf die Dinge zu gucken und die Auswertung damit umfassender zu machen.

Sie zeigen ebenso, wie wichtig das Verständnis von der Entstehung von Sammlungen ist. Auch um die Arbeit mit ihnen richtig einzuordnen, Funktionen abzuleiten und die Zukunft der Sammlungen konkreter mitbestimmen zu können.
Nicht zuletzt resultiert aus den diversen Sammlungshistorien auch eine unterschiedliche Umgehensweise mit den Sammlungsobjekten bzw. ein sich unterscheidender Wertbegriff. Steht der Wert, den das Objekt für die Forschung hat, im Vordergrund, oder ist es die Einzigartigkeit, die hier im Vordergrund steht.

Nichts davon ist richtig. Wahr ist, dass in Sammlungen die Funktion der Objekte, ihre wissenschaftliche Einordnung und ihr symbolischer Wert zwar changieren und selten gleich bleiben und dass gattungsspezifische Unterschiede im Umgang mit den Objekten bestehen, die auch durch die Art ihrer Aufsammlung begründet sind. Damit wird überdeutlich, dass die Untersuchung von Sammlungen, Objekten, Kontexten und Museen äußerst facettenreich ist und nicht nur die Arbeit mit Sammlungen als solchen, sondern auch mit Museen die Grenzen der Fachdisziplinen verlassen muss, um den Erkenntnisgewinn weiter zu erhöhen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2023.