Das Gutenberg-Museum in Mainz ist nicht nur ein Ort des kulturellen Erbes, sondern auch ein eindrucksvolles Beispiel für den Balanceakt zwischen Tradition und Innovation. Als eine der weltweit bedeutendsten Institutionen zur Geschichte des Buchdrucks symbolisiert es den Beginn der modernen Kommunikation und stellt sich zugleich den Herausforderungen einer sich wandelnden Gesellschaft. Die Diskussion um den Museumsneubau und die innovative Interimsausstellung »Gutenberg-Museum MOVED« zeigt, wie die Institution ihre Geschichte bewahrt und sich gleichzeitig für die Zukunft öffnet – auf dem Weg vom historischen Museum zu einem modernen, interaktiven Erlebnisraum.
Tradition als Fundament
Das »Weltmuseum der Druckkunst« bewahrt das Erbe eines der größten Erfinder der Menschheitsgeschichte: Johannes Gutenberg, dessen Entwicklung des Buchdrucks die Welt für immer veränderte. Im Mittelpunkt steht die Gutenberg-Bibel, ein Meisterwerk der Buchkunst und Symbol für den kulturellen Reichtum dieser bahnbrechenden Errungenschaft. Doch diese Bibeln sind weit mehr als historische Kostbarkeiten. Sie markieren den Beginn der modernen Wissensvermittlung und den Aufbruch in Bildung und Demokratie. Gerade in einer Zeit, in der Information und Bildung eine zentrale Rolle spielen, ist Gutenbergs Erbe aktueller denn je. Die Herausforderung für das Museum besteht jedoch nicht nur darin, dieses Erbe zu bewahren, sondern auch darin, es für ein heutiges Publikum lebendig zu machen. Die Entscheidung, das Museum vorübergehend in das Naturhistorische Museum zu verlegen, und die Planung eines innovativen Neubaus sind mutige Schritte in eine zukunftsorientierte Museumslandschaft. Bei allen Veränderungen bleibt der Respekt vor der Tradition ein zentraler Grundsatz.
Wandel als Chance
Die Interimsausstellung ist eine »Zwischenstation«, so Direktor Ulf Sölter, »auf dem Weg der Erneuerung«. Seit mehr als einem Jahrzehnt arbeitet das Museum an der Modernisierung und Neuinterpretation seiner Tradition. Trotz des gescheiterten »Bibelturm-Projekts« – der geplante Bau dieses Turms neben dem Museumsgebäude war durch einen Bürgerentscheid verhindert worden – wurde die Entwicklung vorangetrieben. Unter breiter Bürgerbeteiligung entstand ein neues Konzept – ein Beispiel für demokratische Prozesse, wie Sölter betont, um erneute Kontroversen zu vermeiden. »Das Museum ist nach wie vor ein Amt der Stadt Mainz«, erklärt er, versteht sich aber weit über die lokale und regionale Bedeutung hinaus als Einrichtung von nationaler Relevanz.
Die Ausstellung verbindet Geschichte mit moderner Technik. Ihre Themen – »Zeit vertreiben«, »Wissen schaffen«, »Welt beschreiben«, »Pracht entfalten«, »Image pflegen« und »Meinung machen« – greifen aktuelle Fragen der Medienwelt auf und reflektieren die Entwicklung der Kommunikation im digitalen Zeitalter. Innovative Vermittlungsmethoden wie Chipkarten, Bewegtbilder und interaktive Selfies machen die Geschichte des Buchdrucks vor allem für junge Besucher greifbar. Moderne Technologien eröffnen neue Zugänge und verdeutlichen die weitreichende Wirkung der Druckkunst. »Auf den beiden Buchmessen in Frankfurt und Leipzig sind wir immer mit einem großen Stand vertreten. Dort generieren wir viel Aufmerksamkeit«, sagt Ulf Sölter. »Das Buch in guter Ausstattung, und das ist auch unser Anliegen, wird eine Zukunft haben. Das hat man auch auf der Frankfurter Buchmesse gesehen. Die Haptik ist etwas ganz Wichtiges. Ein schönes Buch hat Zukunft.« Das Gutenberg-Museum entwickelt sich von einem klassischen Wissensspeicher zu einem lebendigen, interaktiven Ort des Entdeckens und Diskutierens in einer sich wandelnden Wissensgesellschaft.
Kulturpolitische Dimension: Tradition bewahren – Zukunft gestalten
Museen wie das Gutenberg-Museum sind zentrale Orte der Aushandlung kultureller Identität und gesellschaftlicher Werte. Sie bewahren nicht nur Tradition, sondern fördern auch den Dialog zwischen Vergangenheit und Zukunft. Die Ausstellung »Gutenberg-Museum MOVED« zeigt, wie das Erbe Johannes Gutenbergs nicht nur historische Bedeutung hat, sondern auch für aktuelle gesellschaftliche Fragen relevant bleibt. »Tradition ist nichts Starres, sondern ein lebendiger Prozess«, betont Museumsdirektor Ulf Sölter. »Wir verstehen uns nicht als Museum, das Gutenberg auf einen Sockel stellt und that’s it. Vielmehr zeigen wir die Folgen seiner Erfindung und stellen sie in einen größeren gesellschaftlichen Zusammenhang.«
Darüber hinaus können Museen als Orte der Demokratie fungieren, indem sie gesellschaftliche Konflikte aufgreifen und Raum für kritischen Dialog bieten. Sie sind mehr als Wissensspeicher – sie sind Foren für den Austausch unterschiedlicher Perspektiven. Gerade in Zeiten politischer und gesellschaftlicher Spannungen können sie dazu beitragen, Diskussionen respektvoll zu führen. Dazu bedarf es der Offenheit von Institutionen und Besuchern gleichermaßen. Nur so können Museen ihre Rolle als lebendige, zukunftsorientierte Orte im öffentlichen Diskurs behaupten und zur Stärkung einer offenen Gesellschaft beitragen