Im Frühjahr 2022 bekam der Bundesverband Theaterpädagogik den Zuschlag für das EU-Projekt #theatre.makes.politics. Grundlegende Fragestellung dabei ist: Wie können sich Akteure der kulturellen Bildung »einmischen« in die aufgeheizte gesellschaftliche Debatte, ihre Stimme und ihre Möglichkeiten nutzen, um einzustehen für eine offene, vielfältige Gesellschaft, die das »Andere«, das »Fremde« nicht als Bedrohung sieht, sondern als Chance zur Transformation und Weiterentwicklung? Eine Haltung, die Neugier, Veränderungswillen und Empathie an erste Stelle setzt und nicht Wut, Empörung und Abgrenzung gegen andere.
#theatre.makes.politics – ein europäisches Projekt
Seit April 2022 arbeiten sechs Organisationen aus fünf Ländern an einem mehrsprachigen Praxishandbuch und einer Online-Plattform für Theaterpädagoginnen und -pädagogen, die sich den oben genannten Zielen verpflichtet fühlen. Neben dem Bundesverband Theaterpädagogik, der zugleich Initiator und Projektleiter ist, sind freie Theater und Verbände aus Griechenland, Frankreich, Portugal, und Nordmazedonien mit im Boot, außerdem das Kinder- und Jugendtheater Dortmund, das zudem der Ausrichter der nächsten Bundestagung des Verbandes sein wird: alles Organisationen, die schon seit vielen Jahren theaterpädagogisch mit Jugendlichen arbeiten oder theaterpädagogische Projekte organisieren. Im Laufe der Jahre entstand ein spannender Austausch von Kolleginnen und Kollegen aus ganz Europa.
Zugleich war das aber auch eine große Herausforderung: Die Projektgruppe hatte es nicht nur mit drei unterschiedlichen Zeitzonen zu tun, sondern auch mit Kolleginnen und Kollegen aus fünf verschiedenen Ländern, in denen sich die gesellschaftliche und politische Situation zum Teil erheblich von denen der anderen unterscheidet. All das musste zumeist in Videokonferenzen ausgehandelt werden, in englischer Sprache, für keinen der Partner die Muttersprache. Missverständnisse allerlei Art waren dabei vorprogrammiert, konnten aber zum Glück immer wieder ausgeräumt werden.
Antidemokratische Bewegungen als thematische Schwerpunkte
Die Schwerpunkte des Projekts sind: Rechtspopulismus und Rechtsextremismus, Fake News und Verschwörungstheorien und religiös begründeter Fundamentalismus. Wie sich in der Zusammenarbeit herausgestellt hat, gibt es in den Ländern wichtige Unterschiede, die bedacht werden mussten – und das fing schon bei den Bezeichnungen an.
»Rechtsextremismus« zum Beispiel ist in Griechenland ein politisch umkämpfter Begriff und ganz anders konnotiert als in Deutschland. Er bedeutet dort etwas wie »sehr konservativ«. Die Bezeichnung »far right extremism« (englisch übersetzt) entspricht schon eher unserem Verständnis von «rechtsextrem«. In Frankreich ist die Thematisierung von islamischem Fundamentalismus so heikel, dass die meisten das Thema vermeiden oder lieber nur indirekt ansprechen. Ganz direkt machen das dort nur die Rechtsextremen Marine Le Pen und Eric Zemmour, die die politischen Debatten zu diesem Thema kräftig aufheizen. Sie machen keinen Unterschied zwischen Islam und (gewaltbereitem) Islamismus, was zu einer weit verbreiteten Muslimfeindlichkeit geführt hat und zur Radikalisierung aller Seiten beiträgt. Aber auch in Deutschland heizt sich die Debatte zunehmend auf.
Das Projekt ist im Rahmen der Prävention angesiedelt, nicht der Deradikalisierung, richtet sich also eher an mögliche Sympathisanten von Extremisten als an diese selbst. Angesprochen werden sollen Jugendliche aller Regionen, Herkünfte und Bildungsschichten wie auch Kolleginnen und Kollegen, die mit diesen Jugendlichen arbeiten: Seien es Lehrerinnen, Sozialpädagogen oder eben Medien-, Tanz- oder Theaterpädagoginnen.
Suche Jugendlicher nach Identität als zentraler Fokus
Vier Workshopkonzepte wurden vorgestellt; in einigen steht die Suche nach Identität im Vordergrund: Gerade verunsicherte Jugendliche auf der Suche nach Identität finden einfache Antworten bei den Fundamentalisten, die ihnen damit ein Stück (falsche) Sicherheit bieten können. In einem der Workshops werden zwei Formen des Fundamentalismus in den Vordergrund gerückt, die einander gegenüberstehen und komplementär ergänzen: Rechtsextremismus und islamischer Fundamentalismus mit besonderem Fokus auf Salafismus. Dabei wird deren scheinbare Attraktivität nachvollziehbar dargestellt – gleichzeitig auch ihre Menschenfeindlichkeit. In einem anderen Workshop geht es um christlichen Fundamentalismus, der in Südeuropa eine große Rolle spielt, in einem weiteren um Verschwörungstheorien und Desinformation. Die Jugendlichen sollen ermutigt werden, trotz komplexer und herausfordernder gesellschaftlicher Krisen einen kühlen Kopf zu bewahren und zu einer kraftvollen, aufgeklärten und selbstbestimmten Identität zu kommen, ohne dabei andere zu entwerten.
Erste praktische Erfahrungen
Im September 2023 wurden die Workshopkonzepte auf der Insel Lesbos erstmalig ausprobiert, mit ca. 35 Jugendarbeiterinnen und -arbeitern aus ganz Europa. Manches wurde danach verworfen oder überarbeitet, vieles hat aber auch gut funktioniert: eine Bestätigung für die Gruppe, auf dem richtigen Weg zu sein. Hierzu zwei Beispiele:
Der Theaterworkshop zum Thema »Verschwörungstheorien und Desinformation« hat nicht nur ungeheuer viel Spaß gemacht, es wurde auch allen Teilnehmenden deutlich, wie unterschiedliche Spielarten von Fake News erzeugt werden können, wie sie medial funktionieren und wie man sie entlarven kann. Im Workshop zum Thema »Rechtsextremismus und Islamischer Fundamentalismus« wurde insbesondere die auf beiden Seiten praktizierte »Entmenschlichung« des politischen Gegners sichtbar. Tritt man einen Schritt zurück und nimmt andere auch als einzigartige und unverwechselbare »Individuen« wahr, geht der Radikalisierung sofort die Luft aus, und es entsteht eine ganz neue Perspektive.
Auf der Bundestagung Theaterpädagogik mit dem Titel »Spiel.Macht.Gesellschaft« vom 25. bis 27. Oktober am Theater Dortmund, die sich um Theaterpädagogik im Kontext der politischen Bildung drehen wird, soll eine erste Version des Handbuchs und der Onlineplattform vorgestellt werden. Die endgültige Veröffentlichung ist geplant für das Frühjahr 2025.
Das Handbuch kann ab Juni 2025 kostenfrei auf der Projektwebsite heruntergeladen werden. Des Weiteren sind Fortbildungsangebote geplant, um Akteure der kulturellen bzw. politischen Bildung zu befähigen, in diesem Gebiet zu arbeiten oder zu professionalisieren.
Mehr dazu
Weitere Informationen finden Sie online unter: theatermakespolitics.eu/