Kulturpolitik in Zeiten multipler Krisen muss sich auf Verluste vorbereiten. Sie muss mit Experten, Verantwortlichen und Politik Strategien für die Zukunft unseres kulturellen Erbes entwickeln. Die Entscheidung, was wir erhalten wollen und was wir loslassen können, setzt einen gesellschaftlichen Diskurs voraus. Es ist an der Zeit, diesen zu starten.

Unser kulturelles Erbe ist Teil unserer Identität. Der Bergpark Wilhelmshöhe, seit 2013 UNESCO Weltkulturerbe, prägt meine Kasseler Heimat. Die Menschen aus der Region sind stolz auf dieses Ensemble: das Schloss, den Park, die Wasserspiele, den Herkules, die alten Meister. Doch als Fachminister habe ich auch einen genauen Blick hinter die Kulissen und auf das, was nicht glänzt: Ich sehe die Dauerbaustelle Herkules und den enormen Sanierungsbedarf vieler Monumente und Museen.

Im zurückliegenden Jahr des Hessischen Vorsitzes der Kulturministerkonferenz haben wir uns den Schwerpunkt gesetzt, über Konzepte und politische Strategien für die Zukunft von Kulturerbe zu sprechen. Es sind zuvorderst die Erfahrungen aus der Praxis, die zeigen, dass wir mitten in der Veränderung stehen. Die Krise ist jetzt. Der Klimawandel fordert jetzt, Museen so umzurüsten, dass ihre größten Schätze in ihren Vitrinen vor massiven Feuchtigkeits- und Temperaturschwankungen geschützt werden. Der Klimawandel fordert, dass in historischen Gärten klimaresiliente Pflanzen zum Einsatz kommen und dass die historischen Wege in Parks starkregensicher werden. Die angespannten öffentlichen Haushalte und steigenden Unterhalts- und Baukosten machen Prioritätensetzungen nötig. Wir müssen uns darauf vorbereiten, auszuwählen. Dafür müssen wir jetzt wissenschaftliche Kriterien und Konzepte entwickeln. Archive müssen darüber nachdenken, was sie im Original erhalten wollen und was nur digital. Verantwortliche müssen Sanierungsvorhaben den finanziellen Mitteln anpassen. So, wie es gerade die Klassik Stiftung Weimar tut, der plötzlich Sondermittel für die Generalsanierung des Goethe-Nationalmuseums mit Goethes Wohnhaus und Hausgarten in einer immensen Größenordnung weggebrochen sind. Wir müssen der Wahrheit ins Auge sehen: Priorisieren heißt heute auch Depriorisieren, so eine Erkenntnis unserer Fachtagung. Es geht nicht mehr alles. Wir müssen besonnen handeln, auswählen, was wir mit unseren Mitteln erhalten wollen, damit wir nicht von den vielfältigen Krisen unserer Zeit überrascht und überrollt werden und am Ende der Zufall entscheidet, was bleibt.

Um das, was wir erhalten wollen, zu schützen, brauchen wir Notfallpläne. Museen und Archive müssen ihre Bestände vor Überschwemmungen durch Starkregen schützen. Notfälle, die sich in kürzester Zeit zu Katastrophen entwickeln können, gilt es frühzeitig zu identifizieren, um schnellstmöglich handeln zu können. In Hessen sind dazu in den vergangenen Jahren eine Reihe von Notfallverbünden entstanden.

Und: So bitter das ist, wir brauchen auch einen Plan für den Katastrophenfall Krieg. Er ist Realität in Europa. Die Zeitenwende fordert auch einen Wandel der Vorbereitungen zum Schutz unseres Kulturerbes. Denn so wie das Hessische Landesarchiv bereits ein internes Papier vorgelegt hat, das Handeln bei Bedrohungslagen in bewaffneten Konflikten vorgibt, müssen wir auch anderswo darüber nachdenken, wie wir Kunstwerke und Schätze in Sicherheit bringen können, wenn Krieg droht.

Das Wichtigste aber ist vielleicht, dass wir unsere Denkmäler, Bibliotheken und Archive, unsere historischen Gärten und Schlösser nicht nur resilient machen gegen Klimakrise, Krieg und knappe Kassen, sondern dass wir ihre gesellschaftliche Relevanz stärken. Erfolgreiche Kulturerbe-Strategien setzen bei den Menschen an. Je größer die Relevanz des kulturellen Erbes, desto höher seine Resilienz. Das hebt unsere politische Verantwortung auf eine weitere Ebene: Wir müssen Bildung, Forschung und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse fördern. Menschen müssen erleben können, dass Kulturerbe Teil ihrer Identität sein kann. Dazu müssen Museen und Monumente für viele zugänglich, verstehbar, interessant und wertvoll sein. Dazu müssen wir überdenken, ob wir mit der bisherigen Art des Erinnerns möglichst viele Bevölkerungsgruppen erreichen oder ob wir Menschen abschrecken. Denn die Gesellschaft ist heute eine andere als vor 50 Jahren. Wir müssen das Kulturerbe für die Menschen von heute zugänglich machen. Und dabei die Vielfalt unserer Gesellschaft abbilden. Denn auch das gehört zur Wahrheit: Kulturerbe ist nicht gefeit vor populistischer Vereinnahmung durch extremistische und nationalistische Kreise. Die Geschichte lehrt uns: Kultur ist nicht per se gut. Deshalb müssen wir mit einer klugen Kulturerbepolitik auch die gesellschaftlichen Werte unserer zivilisierten Demokratie verteidigen und für eine offene, diverse, freie Gesellschaft streiten. Wir haben im vergangenen Jahr begonnen, uns zu vernetzen und miteinander über die Zukunft des Kulturerbes zu reden. Das neue Vorsitzland der Kulturministerkonferenz Sachsen wird das Thema weiterführen. So haben die Konzepte für die Zukunft des Kulturerbes eine nahe Zukunft.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2025.