Die Coronapandemie liegt gefühlt glücklicherweise schon länger hinter uns. Ob in der Schule, der Universität und am Arbeitsplatz oder auch im Café, in der Buchhandlung oder gar beim Kino- und Konzertbesuch mit Hunderten anderen: Längst ist von den ehemaligen Einschränkungen heute nichts mehr zu spüren. Doch der Eindruck täuscht: Mögen auch kaum noch Menschen FFP2-Masken tragen, so sind die Folgen der Pandemie doch für viele noch sehr nah. Insbesondere Kinder und Jugendliche haben durch die Einschränkung sozialer Kontakte und die Schließungen der Schulen stark gelitten. Und auch die Kultur- und Kreativwirtschaft kämpft in vielen Bereichen weiterhin mit den Auswirkungen der Coronapandemie.

Gerade daher ist die Idee des KulturPasses von Bundesfinanzminister Christian Lindner und Kulturstaatsministerin Claudia Roth so richtig und so gut. Sie stärkt direkt zwei Bereiche, die unter den Folgen der Coronapandemie immer noch stark leiden: die Jugendlichen sowie die Kultur- und Kreativwirtschaft. Und es ist ein starkes Zeichen der Bundesregierung, dass für dieses neue Projekt Mittel in Höhe von 100 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Und das in diesen Zeiten, in denen der Bundeshaushalt aufgrund unterschiedlicher historischer Herausforderungen – von den Spätfolgen der Coronapandemie über die Inflation bis hin zum Ukraine-Krieg – sehr angespannt ist.

Aber so gut wie die Idee auch ist, so schwierig ist die Umsetzung – und das wird schnell bei den Details des KulturPasses deutlich. Welche Medien und Kulturgüter sollen von den 200 Euro pro Person profitieren? Wo lässt sich das Guthaben schnell und einfach einsetzen? Fragen, die sich nicht nur die 18-Jährigen stellen werden, sondern die bereits heute über den Erfolg dieser großartigen Idee entscheiden. Eigentlich scheint die Antwort auf diese Fragen recht einfach zu sein: Denn grundsätzlich sollte jedes Projekt der Bundesregierung – so auch der KulturPass – diskriminierungsfrei sein. Es sollte kein Medium und kein Kulturbereich ausgeschlossen werden. Und ganz wichtig: Es sollten alle Jugendlichen – unabhängig ihrer Herkunft, ihres Wohnortes und ihres Kulturverständnisses – von dem KulturPass profitieren. Doch genau an diesem Punkt, so selbstverständlich er auch wirken mag, wird es beim KulturPass schwierig: Denn so soll einerseits vor allem die Live-Kultur unterstützt werden, also beispielsweise Konzerte, Kinos oder auch ganze Festivals. Eine klasse Idee! Nur: Für die 18-Jährige auf dem Land fernab der Ballungszentren wird es dann schon deutlich schwieriger, ihr Guthaben von 200 Euro einzusetzen. Ihre Auswahlmöglichkeiten sind deutlich reduzierter als die der 18-Jährigen in Berlin, Hamburg oder Köln. Zum Glück sollen mit dem Guthaben aber auch Bücher und Vinylplatten gekauft werden können. Nur lauert hier bereits der nächste Stolperstein, denn online kann das Guthaben nicht ausgegeben werden. Und auch wenn Deutschland glücklicherweise mit einem weltweit einmaligen Netzwerk an Buchhandlungen aufwartet, wird dennoch klar: Der KulturPass bietet zwar mit seinen 200 Euro für alle 18-Jährigen denselben monetären Wert, aber der praktische kulturelle Wert ist nicht vergleichbar.

Doch nicht nur geografische Unterschiede führen zu Ungerechtigkeiten beim KulturPass: Auch das dahinterstehende Kulturverständnis schränkt die Nützlichkeit für viele 18-Jährige stark ein. Denn was ist, wenn man vor allem digitale Kulturgüter nutzt: Romane lieber als E-Books liest und Indie-Bands mag, die ihren Weg noch nicht auf Vinylplatten geschafft haben, oder Games ausprobieren möchte, die vielleicht sogar beim Deutschen Computerspielpreis der Bundesregierung ausgezeichnet wurden. Solche digitalen Kulturgüter ignoriert der KulturPass schlichtweg und damit einen immer stärker wachsenden Teil der heutigen Kulturlandschaft. Dabei scheint ja allen bewusst zu sein, wie groß der Stellenwert des Digitalen bei den 18-Jährigen ist. Immerhin soll der KulturPass ausschließlich als Webseite und App angeboten werden. Wie glaubwürdig aber kann Kulturpolitik für eine nachwachsende Generation sein, wenn sie die Lebens- und Medienrealität Jugendlicher nicht ernst nimmt und zudem nicht vom kulturellen Inhalt her denkt, sondern von dessen Distribution? Sind das Buch, die Ausstellung, der Film über Anne Frank per se wertvoller als das Spiel zum Thema? Die Zeiten, als manche Menschen das glaubten, sind in Deutschland, wo heute sechs von zehn Menschen spielen, glücklicherweise vorbei. Und dazu kommt: Welches Signal sendet der Ausschluss von Games-Entwicklerinnen und -Entwicklern aus, die die Geschichten unseres Landes ebenso erzählen wie die Kreativen in Büchern, Filmen oder Liedern?

Die Idee des KulturPasses ist großartig – und sie wird auch mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur Coronapandemie nicht weniger wichtig werden. In wohl kaum einem Alter ist die Auseinandersetzung mit der Welt, in der man lebt, so wichtig wie an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Und Kultur – ob Theaterbesuch und Buchlektüre oder gemeinsames Spielen von Games – bietet hierfür wichtige Perspektiven. Darum hoffe ich, dass der KulturPass ein großer Erfolg wird. Damit dies aber gelingt, darf er die jungen Erwachsenen nicht diskriminieren. Auch kann nicht das Kulturverständnis der Ministergeneration entscheidend sein, sondern vor allem das der heute 18-Jährigen. Ihnen müssen die Angebote gefallen, damit sie auch wirklich wahrgenommen werden. Sonst ist der KulturPass für Jugendliche kein wertschätzendes Geschenk zum 18. Geburtstag, sondern droht eher wie eine staatliche Erziehungsmaßnahme zu wirken. Und das wäre wirklich eine verpasste Chance – für die Kulturnation Deutschland, für den Buchladen vor Ort, aber eben auch für das Spielestudio und erst recht für alle 18-Jährigen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/2023.