Sexuelle Belästigung im Arbeitsleben ist ein weitverbreitetes Problem. Eine Studie des Forschungsteams um Monika Schröttle aus dem Jahr 2019 zeigt, dass etwa jede elfte erwerbstätige Person in den letzten drei Jahren von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz betroffen war. Sexualisierte Kommentare, Blicke und Gesten sind dabei die häufigsten Belästigungsformen, zumeist handelt es sich um wiederholte Belästigungen, am häufigsten sind Frauen betroffen. Was viele nicht wissen: Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wird sexuelle Belästigung als Form der Diskriminierung erfasst (§ 3 AGG, Abs. 4). Arbeitgeber müssen für wirksame Beschwerdemechanismen sorgen, sie müssen über Schutzmechanismen informieren und präventiv tätig sein.
Dennoch treten noch zu viele Betriebe sexueller Belästigung nicht entschlossen entgegen. Sie kennen teils ihre Pflichten nicht gut genug und zögern, sich mit sexueller Belästigung zu befassen. Zu viele gehen noch davon aus, dass ihre Beschäftigten nicht betroffen sind, zu viele tabuisieren das Thema oder bagatellisieren Vorfälle. Häufig setzen sich Betriebe und Organisationen mit dem Thema sexuelle Belästigung erst zu spät auseinander, nämlich wenn es aufgrund von konkreten Vorfällen zu Arbeitsausfällen und Kündigungen kommt.
Aber in den letzten 30 Jahren hat sich auch bei vielen Betrieben etwas getan. Mitte der 1990er Jahre wurden erste Betriebsvereinbarungen zum Schutz vor sexueller Belästigung in der Automobilindustrie abgeschlossen, Ende der 1990er Jahre zogen Universitäten nach und verabschiedeten Richtlinien zum Schutz vor sexueller Belästigung. Wichtige Impulse gingen von gesellschaftlichen Kontroversen über sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen und von der Metoo-Debatte aus.
Umgekehrt nutzen Betroffene bestehende Beschwerde- und Beratungsmöglichkeiten häufig nicht. Hier spielt teils Unkenntnis der Rechte und Möglichkeiten eine Rolle. Aber viel gewichtiger sind Scham und Unsicherheiten – ob es sich bei dem Erfahrenen um einen ausreichend relevanten Vorfall sexueller Belästigung handelt, die Sorge, nicht ernst genommen zu werden und negative Konsequenzen tragen zu müssen oder dass andere von der Beschwerde erfahren könnten. Betroffene Frauen haben vielfach Schuldgefühle wegen möglicher Konsequenzen für die beschuldigte Person und die Zusammenarbeit im Team. Selbst wenn die Schuld eindeutig bei der belästigenden Person zu suchen ist, ist das Empfinden in der Realität vielschichtiger.
Erst wenn sexuelle Belästigung in den Betrieben und Organisationen enttabuisiert wird, kann die Hemmschwelle gesenkt werden, sexuelle Belästigung anzusprechen, sich dagegen zur Wehr zu setzen, Hilfe in Anspruch zu nehmen und den Rechtsanspruch auf Schutz auch auf dem Beschwerdeweg geltend zu machen. Eine klare Haltung der Leitungsebene ist vor allem deshalb wichtig, weil es immer noch Stimmen in den Betrieben gibt, die problematische Vorfälle negieren oder bagatellisieren, Opfer nicht ernst nehmen oder beschuldigen und vor allem um den Ruf des Unternehmens fürchten.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat auf ihrer Homepage Beispiele Guter Praxis veröffentlicht, was Organisationen und Unternehmen tun, um sexuelle Belästigung zu verhindern, Betroffene zu unterstützen und Grenzüberschreitungen zu sanktionieren. Dabei wird deutlich: Vieles ist möglich. Beispiele gibt es in Betrieben unterschiedlicher Größe und aus vielen verschiedenen Branchen.
In der Praxis sind Gesamtstrategien wirksamer als Einzelmaßnahmen. Außerdem müssen die Maßnahmen zu dem Unternehmen oder der Organisation passen. Schließlich kann sexuelle Belästigung in verschiedenen Konstellationen auftreten – nur zwischen Mitarbeitenden oder auch im Kontakt mit Kund*innen, Patient*innen oder Auftraggeber*innen. Auch die Ausprägung von Hierarchien, Abhängigkeiten und die Prekarität der Arbeitsverhältnisse sowie die Tätigkeiten in den Unternehmen unterscheiden sich. Beispiele für eine gründliche Reflexion der besonderen Risiken ihrer Branche finden sich unter anderem in der Bühnen- und Filmbranche, im Rundfunk, bei der Polizei, der Pflege, bei Verkehrsbetrieben und unternehmensbezogenen digitalen Dienstleistungen.
Leitbilder, Leitlinien oder Verhaltenskodizes sollen vor allem präventiv wirken. Sie beschreiben – häufig als Teil von Dienst- und Betriebsvereinbarungen sowie Dienstanweisungen – Grundsätze der Zusammenarbeit und setzen ein klares Statement gegen sexuelle Belästigung. So entwickelte z. B. der Deutsche Bühnenverein einen wertebasierten Verhaltenskodex der Theater und Orchester zur Prävention von sexuellen Übergriffen und Machtmissbrauch, der inzwischen an vielen Spielstätten übernommen oder weiterentwickelt wurde.
Fortbildungen, Workshops und Schulungen sind häufige Maßnahmen zur Prävention von sexueller Belästigung. Sie sensibilisieren für das Thema, regen Debatten an und befähigen Betroffene, Zeug*innen und Zuständige, mit konkreten Vorfällen angemessen umzugehen. Hier spricht viel für Teilnahmeverpflichtungen, da ansonsten nur die ohnehin schon Sensibilisierten teilnehmen.
Informations- und Sensibilisierungsaktivitäten können von der Entwicklung und Verbreitung von Informationsbroschüren, Flyern und Informationen im Intranet, über Aufkleber-Aktionen und Filme bis hin zu umfassenden Kampagnen reichen. Wesentliches Ziel ist, sexuelle Belästigung besprechbar zu machen und Debatten über grenzverletzendes Verhalten anzuregen.
Die Thematisierung von sexueller Belästigung in Dienstbesprechungen oder Betriebsversammlungen dient dem Austausch in den Unternehmen. Gerade nach der Metoo-Debatte hat es vor allem auch in vielen Kultur- oder Medieneinrichtungen eine Serie von Veranstaltungen gegeben, in denen die Situation im eigenen Haus oder der eigenen Branche gemeinsam reflektiert wurde.
Weitere Präventionsmaßnahmen sind anonyme Mitarbeiter*innenbefragungen, Gefährdungsbeurteilungen oder Risiko-Assessments. Sie ermöglichen eine Einschätzung, wie häufig Beschäftigte mit Vorfällen sexueller Belästigung konfrontiert sind und welche Angebote genutzt werden. Solche Befragungen signalisieren zugleich, dass das Unternehmen an dem Problem der sexuellen Belästigung und an der Rückmeldung der Mitarbeiter*innen dazu interessiert ist.
Prävention ist wichtig, für Betroffene ist aber entscheidend, wie Unternehmen auf konkrete Vorfälle reagieren.
Von vielen Unternehmen wird extern oder intern Beratung und Unterstützung von Betroffenen angeboten – und zwar unabhängig von einer offiziellen Beschwerde. Betroffene sind häufig unsicher, wie sie einen Vorfall bewerten sollen, sie haben Angst vor der Reaktion von Kolleg*innen und Vorgesetzten und davor, für den Vorfall verantwortlich gemacht zu werden. Außerdem fürchten sie, den Belastungen eines Verfahrens nicht gewachsen zu sein. Daher sind die Niedrigschwelligkeit und Vertraulichkeit einer Beratungsstelle wesentlich, auch die Unabhängigkeit vom eigenen Arbeitsbereich. Größere Unternehmen und Organisationen können leichter eine eigene Beratungsstelle oder eine Ansprechperson (z. B. Gleichstellungs- oder Chancengleichheitsbeauftragte, Vertrauenspersonen, Ombudspersonen, betriebliche Gesundheits- oder Sozialberatung) benennen. Kleinere Unternehmen oder Einrichtungen haben vereinzelt konkrete Vereinbarungen mit externen Beratungsstellen, z. B. spezialisierten Fachstellen zum Thema häusliche oder sexualisierte Gewalt. Eine Besonderheit ist die branchenspezifische Beratungsstelle Themis in Berlin, die für Einrichtungen aus den Bereichen Film, Fernsehen, Medien und Musik ihre Dienste anbietet. Sie berät Betroffene und begleitet und unterstützt im Falle einer Beschwerde. Beratungsangebote richten sich nicht nur an Betroffene, sondern auch an Führungskräfte und andere, die solche Vorfälle miterleben oder davon erfahren. Die Stelle berät und unterstützt auch Einrichtungen und vermittelt Fachwissen.
Im formalisierten Beschwerdeverfahren nach § 13 AGG müssen Arbeitgeber festlegen, bei welcher Stelle Beschwerden eingereicht werden können, wie diese dokumentiert werden und welche Prozesse im Anschluss durchgeführt werden, um den Vorfall zu untersuchen und Konsequenzen zu ziehen. Mögliche Konsequenzen reichen von Ermahnungen, Entschuldigungen für ein Verhalten über die Umsetzung von Mitarbeiter*innen bis hin zur Kündigung der Täter*innen. Beschwerdeverfahren können nur funktionieren, wenn die Verfahren bekannt sind. Zudem darf die Einleitung von formalen Beschwerdeverfahren nur erfolgen, wenn die betroffene Person es wünscht. Dafür muss die von sexueller Belästigung betroffene Person die Gelegenheit haben, sich im Vorfeld über die Möglichkeiten zu informieren, die Folgen abzuwägen. Diese vorgelagerte Beratung und die Begleitung bei Beschwerdeverfahren müssen absolut vertraulich sein. Und schließlich muss im Fall, dass sich Vorwürfe bestätigen, konsequent gehandelt werden, sonst wird die Akzeptanz aller Maßnahmen schnell sinken. Der Schutz der Betroffenen muss immer vorrangig sein.
Manche der in der Beispielsammlung beschriebenen Maßnahmen dienen sowohl der Prävention als auch der Intervention; so legen Dienst- oder Betriebsvereinbarungen Maßnahmen in beiden Bereichen fest. Auch die Verankerung von Maßnahmen im Qualitätsmanagement, in Auditierungsverfahren und der Einsatz von Verfahren der Evaluierung und Optimierung bestehender Maßnahmen beziehen sich sowohl auf präventive Ansätze wie auf Interventionen. Der Austausch mit anderen Betrieben in Netzwerken, übergreifende Koordinierungsstellen und externe Fachstellen sind Möglichkeiten, durch Austausch und externe Expertise die Arbeit der Betriebe zu verbessern.
Alle Beispiele zeigen: Es gibt Möglichkeiten, gegen sexuelle Belästigung im Arbeitsleben vorzugehen. Das muss aber wirklich gewollt, von der Leitung konsequent unterstützt, der Schutz der Betroffenen garantiert werden, und es muss ebenso sichergestellt werden, dass Beschwerden auch zu Konsequenzen führen.
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