Im Koalitionsvertrag von 2021 hatten sich SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP geeinigt, eine »Bundesstiftung industrielles Welterbe« zu schaffen. Die Planungen für diese Bundesstiftung öffentlichen Rechts waren sehr weit fortgeschritten, ein entsprechender Gesetzentwurf in Abstimmung, die parlamentarischen Beratungen terminiert. Und dann kam leider das Aus der Ampelkoalition. Somit ist eine Verabschiedung des Gesetzentwurfes und damit die Errichtung einer »Bundesstiftung Industriekultur« in dieser Wahlperiode nicht mehr möglich. Doch es braucht eine solche Stiftung!
Das Industriezeitalter vom beginnenden 19. Jahrhundert und durch das gesamte 20. Jahrhundert hindurch hat deutschlandweit beeindruckende Bauwerke und Anlagen hinterlassen. Industriekultur beschäftigt sich mit der gesamten Kulturgeschichte des industriellen Zeitalters. Aber nicht nur Steine und Mauern der Industriebauten haben unser Land geprägt, auch die dazugehörige Arbeits- und Sozialgeschichte, die Geschichte der Menschen, der Landschaften, der Technik, der Industriearchitektur und der Gründerzeitvillen, der Arbeiterwohnungen und Siedlungen überall in Deutschland. All das ist Teil unserer Erinnerungskultur.
Und das industrielle Erbe prägt das Bild von Deutschland bis heute. Stillgelegte Fabriken und umgenutzte Produktionshallen, zum Teil komplette Industriestandorte, Arbeitersiedlungen, Zechen und Bergbaufolgelandschaften sind überall zu finden.
Aktuell befindet sich unsere Gesellschaft in einer tiefgreifenden Transformation, in der die Industriekultur mit ihren materiellen und immateriellen Zeitzeugnissen ein Schmelztiegel für die Fragen von heute und morgen ist. Industriekulturelle Stätten entwickeln sich vielerorts zu Zukunftslaboren für künftige Arbeits- und Lebenskonzepte. Sie stehen deswegen für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Umwelt im postfossilen Zeitalter, und sie sind zentrale Orte der Auseinandersetzung der Zivilgesellschaft mit gesellschaftlicher Transformation, Nachhaltigkeit, Diversität und Klimaschutz bzw. -anpassung. Diesen Prozess wollen wir aktiv begleiten und mit unserer industriellen Vergangenheit das Leben von heute und morgen mitgestalten.
Bisher fördert der Bund nur in Ausnahmefällen die Sanierung und Umnutzung von alten Industrieanlagen durch das Programm »Nationale Projekte des Städtebaus«. Auch gibt es in einigen Bundesländern Programme, die solche Projekte fördern. Viele regionale Akteurinnen und Akteure stemmen solche Vorhaben ehrenamtlich. Ihnen gilt es zu helfen, denn sie gestalten unser aller Zukunft.
Wenn von Industriekultur die Rede ist, kann es nicht nur um die Welterbestätten der Industriekultur gehen. Denn Industriekultur ist überall. Gerade auch die Erhaltung und Umnutzung von kleineren stillgelegten Industriestätten hält die Industriegeschichte Deutschlands lebendig und belebt den Strukturwandel in den Regionen. Es gibt bereits einige beeindruckende Projekte. Doch was es braucht, ist eine gezielte und einheitliche Förderbasis und eine Vernetzung der Akteurinnen und Akteure.
Gemeinsam mit den Berichterstattern von Bündnis 90/Die Grünen und FDP im Kulturausschuss habe ich dazu eine vierteilige Gesprächsreihe mit Akteurinnen und Akteuren der Industriekultur ins Leben gerufen, um von ihnen zu erfahren, was eine solche Stiftung leisten soll. Themen der Gespräche waren unter anderem die wirtschaftliche Neunutzung von industriekulturellen Stätten, die gesellschaftliche Transformation und die Zukunft der Arbeit, Nachhaltigkeit, Migration und Klimawandel, regionale Entwicklungen sowie Erinnerungskultur und Industriekulturtourismus.
Auch wenn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gespräche aus den unterschiedlichsten Bereichen der Industriekultur kamen, so waren sich alle über die Aufgaben der Stiftung einig: Es soll eine Förderstiftung sein, die vor allem in die Fläche fördert. Noch wichtiger war es ihnen aber, dass die Stiftung ein Kompetenzzentrum wird. Sie soll Ansprechpartnerin für alle Fragen rund um die Industriekultur sein, beraten, vernetzen und Wissen bündeln, Tagungen und Workshops anbieten, Modellprojekte vorstellen und eine Datenbank rund um alle Fragen der Industriekultur aufbauen. Auch sollte die Stiftung das touristische Marketing für die industriekulturellen Stätten koordinieren.
Doch leider wird es nun noch dauern, bis die Stiftung errichtet werden kann.
Deshalb fordere ich die Mitglieder des Ausschusses für Kultur und Medien der nächsten Wahlperiode auf, sich dieses Themas zügig anzunehmen und die Stiftung auf den Weg zu bringen. Viel Arbeit wird es nicht sein, denn der Gesetzentwurf liegt vor und ist mit den Akteurinnen und Akteuren besprochen und geeint.
Ich bin mir sicher, dass wir mit einer solchen Stiftung nicht nur unser industriekulturelles Erbe erhalten können, sondern damit auch viel für die Entwicklung der Regionen tun können, denn Industriekultur ist auch touristisch relevant und somit ein Wirtschaftsfaktor für die Regionen im Umbruch.