Angeblich sind Plattformen keine Medien, sondern »nur« Intermediäre. Gilt das auch, wenn der Eigentümer die Plattform ganz offen für Wahlkampf instrumentalisiert?
Die Butler-Rally markierte den Wende-Punkt für den Vormarsch von Big Tech und Rechtspopulismus. Apokalyptisch war Elon Musks Auftritt bei Trump – denn diese Wahl, so Musk, sei womöglich »die letzte«. Die Gegner wollten nicht nur »freie Meinungsäußerung« abschaffen, sondern sogar das allgemeine »Recht, zu wählen«.
Damit betrieb er nicht nur Werbung für Trump als angeblichen Retter der Demokratie und der US-Verfassung, sondern zugleich auch Werbung für sich selbst, beziehungsweise X, denn seine Plattform, so das geläufige Narrativ Musks, zeichne sich ja von den Alternativen dadurch ab, dass sie nicht »zensiert« sei. Trump seinerseits spielte diese schöne Werbung gern zurück, als er Musk als denjenigen anpries, der »die freie Meinungsäußerung gerettet hat«.
Die endzeitliche Rhetorik der Rechtspopulisten scheint zunächst einmal ebenso verwirrend wie die Tatsache, dass so viele Menschen da draußen diesen Unsinn glauben – denn seit dem Beginn der Aufklärung und den verschiedenen Schüben zunehmender Publizität hatten die Menschen in demokratischen Ländern noch nie so viele Möglichkeiten und vor allem Kanäle, ihre Meinung frei zu äußern, wie heute.
Zugleich steckt hinter dem rechtspopulistischen Narrativ auch eine Medienkritik, die in ihrem Kern auf eine ebenso faszinierende wie auch beängstigende Medienmystik zurückgeht, und zwar den Aberglauben, die Plattformen seien gar keine Medien, sondern neutrale, transparente Mittler, die hierzulande etwa »Intermediäre« genannt werden.
In unterschiedlichen Wendungen haben die Plattformen seit jeher diesen Mythos gehegt – im Gegensatz zu den bloß fabrizierten Medien (Fernsehen, Radio, Zeitungen etc.) seien sie bloß neutrale Schnittstellen, die gar nichts mit den Inhalten zu tun hätten. Aus einer medienwissenschaftlichen Perspektive sollte uns diese Leugnung der Fabrikation doppelt hellhörig machen. Denn in der langen Geschichte der Medien taucht diese Figur immer wieder auf. Erinnern wir uns: Schon Moses stieg mit den Gesetzestafeln vom Sinai herab und erzählte allen, nicht er selbst habe diese Gesetze in den Stein gemeißelt, die habe ihm der liebe Gott dort oben auf dem Gipfel des Sinai übergeben.
Die Figur dieser Selbstleugnung von Medialität nennt man auch »Acheiropoieton«, was auf griechisch bedeutet: »nicht-von-Hand-gemacht«. Die Plattformen erzählen uns seit Jahrzehnten ganz ähnlich, sie seien im Gegensatz etwa zu den redaktionellen Medien »nicht-von-Hand-gemacht«, sondern »nur« neutrale Mittler. Der medienkritische Clou ist in etwa derselbe wie bei Moses – denn sie diffamieren dadurch die anderen, konkurrierenden Medien als »bloße Fabrikationen« durch dieselbe Figur, mit der Moses schon damals das goldene Kalb als »Irrglauben« zurückwies. Wer auf solche »bloße Fabrikationen« hereinfällt (so das Ideologem), der betet zu Baal, einem »falschen« Gott.
Das »Acheiropoieton« ist also ein Täuschungsmanöver – denn es suggeriert Legitimation, wo in Wirklichkeit keine ist. Und vor allem: Es ermöglicht, auf eine irrationale Weise jegliche eigene Verantwortung für das eigene Tun zurückzuweisen. Ist es nicht lustig, dass ausgerechnet gerade die frühen Zeitungsverleger im 17. Jahrhundert exakt dasselbe probiert haben wie heute die Plattformen? »Ich mache die Zeitungen nicht selbst / sondern communicire solche ohngändert / wie sie mir bald von diesem / bald von jenem mitgetheilet werden«, schreibt etwa ein Verleger über seine Tätigkeit im Jahr 1673 und bittet seine Leser, »mir solches [also Fehler und Unwahrheiten] nicht beyzumässen«.
Hier ging es im 17. Jahrhundert schon um dasselbe Problem wie heute bei den Plattformen: Die Verleger wollten damals nicht haften. Deswegen ist es für die Plattformen geradezu existenziell, den Voodoo-Glauben an den Intermediärs-Status unter allen Umständen aufrechtzuerhalten. Denn exakt dieser Figur verdanken sie das einzigartige Haftungsprivileg, das ihnen die sprudelnden Milliardengewinne sichert. Bis heute sind die Plattformen von der Verbreiterhaftung befreit, weil sie Regulierern seit Jahrzehnten mit der wundersamen Tricknummer des Acheiropoieton ebenso weismachten, sie hätten nichts mit den Inhalten zu schaffen, obwohl sie doch genau diese Inhalte auf dieselbe Weise zu Geld machen, wie dies etwa auch redaktionelle Medien tun. Erstaunlich ist, dass wir das so hinnehmen. Natürlich sind die Plattformen Medien, und die Nutzer nennen sie ganz richtig und unbekümmert etwa »Soziale Medien«. Es ist eine medienwissenschaftliche Binsenweisheit, dass Medien sowieso niemals »unschuldig« sind – sie filtern, formen, färben, prägen, modulieren die übermittelten Inhalte stets nach den jeweils spezifischen Möglichkeitsbedingungen des konkreten Mediums (wir erinnern uns: »the medium is the message«). Dies gilt wie für alle Medien auch für die aktuellen Plattformen, deren Algorithmen und Strukturen Auswahl und Filterung der Inhalte bestimmen.
Noch erstaunlicher ist jedoch, dass wir diesen Aberglauben sogar jetzt weiter aufrechterhalten, wenn der reichste Mensch der Welt sich eine Plattform kauft, darüber hinaus seine Mitarbeiter instruiert, die eigenen Posts um den Faktor 1.000 in der Sichtbarkeit zu verstärken, um dann gemeinsam mit Donald Trump Wahlkampf zu machen.
Müssten wir uns da nicht etwas die Augen reiben? Warum akzeptieren wir diese offensichtliche Instrumentalisierung der vermeintlich »neutralen« Plattform? Man sollte sowieso infrage stellen, warum wir es allen Plattformen bis heute erlauben, sogar kriminelle Inhalte (Diskriminierung, Verleumdung, Aufforderung zu Straftaten, Holocaustleugnung und so fort) zu Geld zu machen. Wer spezifische Inhalte zu Geld macht, sollte auch inhaltlich Verantwortung übernehmen. In Wirklichkeit ist das Haftungsprivileg ein Straftatenprivileg.
Der Name »Digitale Dienste Gesetz« (bzw. Digitale Services Act, DSA) zeigt also vor allem, dass wir nach dem Drehbuch von Big Tech regulieren – denn es sind ja keine Dienste oder Services, sondern Medien, um die es hier geht. Wer wirklich bei hellem Verstand vermeint, die Plattformen seien gar keine Medien, sondern »nur« Netzwerke, der soll dann bitte auch so konsequent sein und den Plattformen verbieten, Inhalte zu monetarisieren, was ohnehin ein reiner Selbstwiderspruch ist, wenn doch ausgerechnet die Plattformen immer wieder insistieren, sie seien gar keine Inhalteanbieter.
Aber auch in einem anderen Aspekt tanzen die Regulierer nach dem Taktstock von Big Tech. Denn wenn die Plattformen nun durch den DSA verpflichtet werden, »systemische Risiken« zu eliminieren, wird das postwendend von Big Tech und den verbündeten Rechtspopulisten als staatlich verordnete »Zensur« interpretiert werden. Meine Sorge ist folgende: Sicherlich werden in Einzelfällen dann tatsächlich Inhalte entfernt, die durch das Recht auf Meinungsfreiheit eigentlich gedeckt gewesen wären. Wir liefern den Demokratiefeinden dann nur noch mehr Beweismaterial für ihr zynisches Narrativ staatlicher »Zensur«. Die Musks, Trumps, Höckes und Weidels dieser Welt dürften sich schon die Hände reiben.
Eine einfache Lösung kann nur darin bestehen, die Monetarisierung von konkreten Inhalten an die Übernahme von Verantwortung zu knüpfen. Wer Geld verdienen kann, der kann auch haften. Die Meinungsfreiheit wäre davon überhaupt nicht betroffen. Und die Plattformen dürften die Probleme ihrer Geschäftsmodelle selbst lösen.