Spätestens seit dem Scheitern der Ampelkoalition fragen wir uns doch nahezu alle, welche Veränderungen unser Land jetzt braucht. Vom Pfadwechsel in der Politik ist die Rede. Aber auch wer mit diesem neuen Wort nichts anzufangen weiß, ahnt doch, dass es so wie bisher nicht weitergeht. Bei der Wirtschafts- und Energiepolitik nicht, der Migrationsfrage; oder bei Sicherheit, Wehretat, Wohnungsbau, Rentenpolitik. Fast alle Lebensbereiche sind inzwischen betroffen.

Nur ein Bereich taucht erstaunlich selten auf: die Kulturpolitik. Dabei sind auch auf diesem Gebiet die besten Zeiten vorbei, und wichtige Themen sind liegengeblieben. Allein der Kahlschlag in Berlin, den der zuständige Kultursenator Joe Chialo hinnehmen musste, lässt nichts Gutes erahnen. Die wahrscheinlich 130 Millionen Euro, die er einzusparen hat, dürften noch nicht das Ende sein. Die Haushälter in den Verwaltungen sind gierig geworden. Kultur ist eben kein Selbstläufer mehr, und die Zeiten sind vorbei, als die Politik sich mit ihr noch schmückte. Es gibt auch keine bekannten Kulturpolitiker mehr, die mit Hingabe streiten. Der eine oder andere Kulturdezernent vielleicht, aber auf Bundesebene war Claudia Roth wohl die letzte schrille Sirene. Die Ära, die von Leuten wie Hilmar Hoffmann oder Kathinka Dittrich geprägt waren, sind lange vorbei. Landespolitiker vom Schlage eines Lothar Späth, der für sein Bundesland eine eigene Kunstkonzeption schreiben ließ, fehlen. Und das einst neugeschaffene Amt des Bundesbeauftragten für Kultur hat viel von seiner anfänglichen Aura verloren. Wir erinnern uns: André Malraux wurde damals als Maßstab genannt. Auch Routiniers wie Norbert Lammert sind selten geworden; Bernd Neumann hatte wenigstens Geld beschafft und Monika Grütters stand für ihre Kultur mit einer kleinen Prise Westfalen.

Aber auch die Leuchttürme leuchten nicht mehr. Die documenta hat sich von ihrem Debakel noch nicht wieder erholt; die Berlinale sucht ihren Weg, und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist – zumindest finanziell – weit weg von vergleichbaren Institutionen wie dem Louvre oder der Washingtoner Smithsonian Institution. Dabei hatte der legendäre Generaldirektor Peter-Klaus Schuster – man hat ihn den Herrn aller Musen genannt – die Berliner Museumsinsel einst zum schlagenden Herzen der deutschen Kulturnation erklärt. Was in Weimar geschieht, weiß man nicht recht. Und die Leiterin des Literaturarchivs in Marbach hat ein gutes Buch über Rilke geschrieben. Das sind Orte, die immerhin leben.

Eigentlich müsste jetzt eine jüngere Generation von Kulturpolitikern auf den Plan treten. Aber wenn man über Namen nachdenkt, fallen einem nur wenige ein. Bei der SPD immerhin noch Carsten Brosda, der auf der Berliner Bühne längst schon eine gewichtigere Rolle hätte spielen müssen. In der Union, die womöglich den Nachfolger oder die Nachfolgerin von Claudia Roth stellen wird, sieht es nicht besser aus. Durchsetzungsstarke Mitglieder im Kulturausschuss wie Annette Widmann-Mauz stehen nicht mehr zur Wahl. Fragt man die Insider, so hört man gelegentlich den Namen der schleswig-holsteinischen Bildungsministerin Karin Prien; oder auch den der nordrhein-westfälischen Kulturministerin Ina Brandes. Aber die muss sich gerade mit ihrem neuen Hochschulgesetz herumschlagen. Ja, und dann wird immer wieder Joe Chialo genannt, bei dem sich die Stimmen leicht senken. Denn es ist kein großes Geheimnis in der Branche, dass er schon mit der Aufgabe des Berliner Kultursenators nicht zurechtgekommen ist. Ihn aufzustellen könnte Friedrich Merz den Vorwurf eintragen, mit dem klassischen Kulturbereich nicht viel anfangen zu wollen. Ein weiterer Kabinettsposten eben, der besetzt werden muss. Dabei sollte gerade Merz als Erfinder der Leitkultur ein gesteigertes Interesse daran haben, diesen Begriff endlich mit Inhalt zu füllen. Vielleicht ist es kein Zufall, dass im aktuellen Wahlprogramm die einprägsamen Sätze zum Thema Kultur unter den Stichworten Migration und Integration zu finden sind. Die Einheit einer Gesellschaft kommt eben nicht nur über das materielle Wohlergehen zustande, sondern braucht gemeinsame, von vielen, auch von den neu hinzugekommenen Bürgern geteilte Werte.

Wie aus einem einst zusammengewürfelten Land wie den Vereinigten Staaten eine amerikanische Nation werden konnte, hatte schon den großen Max Weber beschäftigt. Wie unser Land, das einen gewaltigen demografischen Wandel erlebt, eine liberale Nation bleiben kann, die sich auch in ihrer Kultur wiederfindet, wird zu einer der Schlüsselfragen in Zukunft werden. Und es wird nicht zuletzt die Kulturpolitik sein, die darauf Antworten parat haben sollte. Auch sie müsste einen Pfadwechsel vollziehen. Subventionsgeber zu sein, reicht, so wichtig das ist, nicht mehr aus. Aber diese neue Kulturpolitik braucht auch neue Gesichter. Im politischen Betrieb sind sie rar geworden. Doch es gibt kluge, integre Leute im Lande genug. Die kommende Regierung, wer sie auch stellt, sollte mit einem glanzvollen Namen aufhorchen lassen. Ein etwas höherer Ton täte hier bei der Suche gut.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2025.