Viel ist in den letzten Jahren in den deutschen Museen und Sammlungen, die sich mit nichtwestlichen Kulturen und Künsten befassen, in Bewegung geraten. Vor allem die im Vorfeld der Eröffnung des Berliner Humboldt Forums geführten Diskussionen haben deutlich gemacht, dass die Kolonialgeschichte nach wie vor ein blinder Fleck in der deutschen Erinnerungskultur und im institutionellen Gedächtnis deutscher Museen ist. Infolgedessen begannen viele Einrichtungen, ihre Sammlungen aus globalhistorischer Perspektive neu zu befragen und alternative Wege in der Präsentation und Vermittlung zu erproben. Auch in München stellen wir uns die Frage, wie wir mit der teils problematischen Geschichte der von uns verwahrten Sammlungen umgehen wollen? Wie können wir bessere Zugänge zu den Beständen schaffen? Und wie wollen wir zukünftig die unterschiedlichen Erzählstränge, die von einzelnen Sammlungsstücken oder Konvoluten ausgehen können, in unseren Ausstellungen sichtbar machen und vermitteln?
Das Museum Fünf Kontinente, dessen Sammlungsbestand heute rund 160.000 Objekte aus Afrika, den Amerikas, Asien, Europa, Australien und Ozeanien umfasst, gehört zu den großen ethnologischen Museen in Deutschland. Wie viele Museen in München verdankt es den Grundstock seiner Sammlungen dem bayerischen Herrscherhaus der Wittelsbacher, deren Angehörige durch ihre engagierte Förderung von Wissenschaft und Kunst immer wieder bedeutende Konvolute in die Residenzstadt holten. Hierzu gehörten die sogenannten »Transatlantischen Sammlungen« mit der zwischen 1817 und 1820 von den beiden Naturforschern Johann von Spix und Carl von Martius zusammengetragenen Brasiliensammlung ebenso wie Konvolute aus China und Indien, die Teil der Kunstsammlungen Ludwig I. waren. Letztere hatten bereits 1844 gemeinsam mit Antiken aus Griechenland, Rom und Ägypten, europäischem Kunsthandwerk und einer Waffensammlung Aufstellung im alten Galeriegebäude am nördlichen Hofgarten gefunden. Mit der Auflösung dieser »Vereinigten Sammlungen« 1867 wurden ihre außereuropäischen Sammlungsstücke in der nunmehr zur Disposition stehenden Hofgartengalerie mit den »Transatlantischen Sammlungen« zusammengeführt, die sich zuvor als Lehr- und Forschungssammlungen im Wilhelminium befanden, dem Sitz der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.
Die »Königlich Ethnographische Sammlung im Galeriegebäude« öffnete 1868 ihre Türen unter Leitung des Naturforschers und Reiseschriftstellers Moritz Wagner, der bereits sechs Jahre zuvor zum Konservator der von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften verwalteten Ethnographika ernannt worden war. So geht die Gründung des heutigen Museums Fünf Kontinente nicht wie in anderen deutschen Städten auf ein gezieltes bürgerschaftliches Engagement zurück, sondern, wie Sigrid Gareis 1990 in ihrer Publikation »Exotik in München« treffend darstellt, auf Umwälzungen in der Münchner Museumslandschaft. In den nachfolgenden Jahren wuchsen die Münchner Sammlungen kontinuierlich, insbesondere unter dem Direktorat von Lucian Scherman (1907–1933). Dieser war es auch, der die Ausrichtung des Museums entscheidend prägte, indem er den Fokus in Ausstellungen und in den Sammlungen verstärkt auf Kunst und Kunstgewerbe richtete sowie die Verlegung des Museums an seinen heutigen Standort an der Maximilianstraße erwirkte.
Fand Scherman unter Zeitgenossen unter anderem für den Ausbau der Münchner Sammlungen Anerkennung, sehen wir uns heute in der Pflicht, ihre Historie aufgrund der engen Verknüpfung der Bestände mit der deutschen kolonialen Expansion kritisch zu hinterfragen. In der Arbeit des Museums Fünf Kontinente wird daher der kooperativen, ethnologischen Provenienzforschung ein wichtiger Platz eingeräumt: Das Museum untersuchte in den letzten zweieinhalb Jahren gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Herkunftsstaaten Bestände aus Kamerun und Nigeria und beteiligt sich derzeit an einem Verbundprojekt zur Erforschung von Plünderware aus dem sogenannten »Boxerkrieg« in China; in den kommenden Jahren soll zudem ein genereller Erstcheck der Beständeaus Subsahara-Afrika auf illegitime Aneignungen in kolonialen Kontexten erfolgen. Dabei arbeiten wir ergebnisoffen, durchaus bereit, Rückgaben auf den Weg zu bringen.
Als Unterzeichnende der »Heidelberger Stellungnahme« von 2019 ist uns Transparenz im Umgang mit Forschungsergebnissen und den Inhalten der von uns verwahrten Sammlungen ein großes Anliegen. Durch die Veröffentlichung eines Großteils unserer Inventarbücher auf der Webseite des Museums und der Ausspielung erster Objektbestände in Form eines Online-Katalogs, der als »work in progress« angelegt wurde, versuchen wir, diesem Anspruch ein Stück weit gerecht zu werden und unabhängige Forschung zu den von uns verwahrten Sammlungen zu unterstützen. Ein Desiderat ist in diesem Kontext zudem die Digitalisierung und Erschließung früher Korrespondenzen und Sammlungsakten, wofür es allerdings noch einer soliden finanziellen Förderung bedarf.
Insbesondere die Neuaufstellung der Dauerausstellungen, die in Teilen noch aus den späten 1990er Jahren stammen, wird in den nächsten Jahren eine wesentliche Aufgabe für alle im Museum Fünf Kontinente tätigen Personen darstellen. Da wir uns in unserer Arbeit den Urheberinnen und Urhebern der von uns verwahrten Sammlungen und ihren Nachkommen in besonderer Weise verpflichtet fühlen, bedarf es einer innovativen Kuratierung, bei der an die Stelle des kuratorischen Monologs eine moderierende Ausstellungspraxis tritt, welche die Expertise von Menschen aus Herkunftsstaaten und -gesellschaften ebenso wie Stimmen aus der Diaspora berücksichtigt, sammlungsbasierte Forschung sichtbar macht und zeitgenössische künstlerische Positionen mit den historischen Sammlungen in Dialog treten lässt. Nur so kann in den Ausstellungen eine Vielstimmigkeit erzielt werden, die ein Verständnis der Exponate in ihren vielschichtigen Herkunftskontexten, ihre historischen Verflechtungen und ihre Bedeutung in einer globalisierten Gesellschaft überzeugend vermittelt – eine Herausforderung, der wir uns gerne stellen.