Der Anblick von Heiligenfiguren in gotischen Kathedralen, denen die Aufständischen während der Französischen Revolution die Köpfe abgeschlagen hatten, gehört zu den Kindheitserinnerungen meiner ersten Reise nach Frankreich. Der berühmte Bischof von Blois, Abbé Grégoire, hatte dafür das Wort vom Vandalismus geprägt. Er wollte die weitere Zerstörung stoppen. Dass man das Patrimonium einer Nation schützen und bewahren müsse, ist damals zur Gründungsidee des modernen Museums geworden.

Dass nun ein Artikel in der FAZ, der sich über die veränderte Rolle der Museen in unserer heutigen Gesellschaft Gedanken macht, ausgerechnet einen Akt von Vandalismus zum Anlass nimmt, legt nahe, dass der Autor, der Tübinger Kulturwissenschaftler Thomas Thiemeyer, mit dieser Tradition des Bewahrens brechen, sie zumindest bezweifeln will. Thiemeyer schreibe über »Kulturarbeit im Zeichen sozialer Gerechtigkeit«, wie die gedruckte Ausgabe der Zeitung titelt. Aber der Online-Redakteur bringt es sehr viel genauer auf den Punkt. Im Netz heißt die Überschrift: »Wie Kulturerbe zum Spielball von Aktivisten wird.« Thiemeyer schreibt jedoch lieber von einem Paradigmenwechsel, einem Begriff, den man heute gerne benutzt, um einer neuen Modeerscheinung gewichtigen Anschein zu geben. Danach sollen Museen künftig Orte für soziale Gerechtigkeit werden, was immer das auch bedeutet und über das klassische Museumsverständnis hinausweisen soll. Aber muss man dafür die alten Säulenheiligen gleich zerschlagen?

Was auch immer die Absicht der ehemaligen Direktorin des Grassi-Museums, Léontine Meijer-van Mensch, war, sie hat wohl in bester Absicht gehandelt. Sehr viel mehr fällt einem zu ihrer Amtszeit auch nicht ein als jener spektakuläre Auftritt der Aktionsgruppe PARA bei der Wiedereröffnung des Hauses vor drei Jahren, die den Sockel der Büste des Museumsgründers Karl Weule vor den Augen eines konsternierten Publikums mit dem Presslufthammer zerstörte. Auf solche Aktionen hat sich dieses Künstlerkollektiv spezialisiert, das nach eigenem Verständnis »Phänomene der Globalisierung und Erinnerungspolitik interdisziplinär, forschungsbasiert und mit performativen Mitteln in Frage stellt.«

Zum Glück befand sich der Kopf von Weule schon im Depot und die herumfliegenden Gesteinsbrocken hätte man aufkehren können. Aber mit der Aktion wollte man den kolonialen Geist dieses Hauses bannen. Ein Schelm, der dabei an die benachbarte Leipziger Universitätskirche denkt. Auch sie stand den Aktivisten im Wege.

Doch wie es so ist mit den Reprisen in der Geschichte: Was als Tragödie beginnt, wiederholt sich meistens als Farce. Und man kann auf dem BOAS-Blog, der wichtigen Plattform der Kölner Ethnologen, nachlesen, wie die Leipziger Posse noch weiterging. Denn aus den Trümmern der Museumstele wollte man allen Ernstes »Rohmaterial für die Dekolonisierung« gewinnen, um damit die Bergspitze des Kilimandscharos rekonstruieren zu können. Die hatte der deutsche Kolonialgeograf Hans Meyer aus der Verlegerfamilie des bekannten Konversationslexikons 1889 abgebrochen und zur Hälfte dem deutschen Kaiser Wilhelm geschenkt. Die andere Hälfte geisterte durch den Kunsthandel. PARA wollte sie restituieren und hatte ein Stück Zugspitze dafür in Geiselhaft genommen. »Partizipatives Restitutionsprojekt« nennt man das heute.

Wer also immer noch glaubt, Museen und Universitäten seien der Aufklärung verpflichtet, muss sich heute wohl eines Besseren belehren lassen.

Dabei will man Thiemeyer keinesfalls widersprechen. Er schwimmt tapfer gegen den Strom, wo es einen Strom gar nicht mehr gibt, was im Übrigen eine schöne Sottise ist, die ich Walter Hasenclever verdanke. Die Zeiten sind jedenfalls vorbei, wo hartleibige Direktoren deutscher Völkerkundemuseen tief im Bauch ihrer Depots eifersüchtig über ihre Schätze wachten. Bénédicte Savoy hat sie hinlänglich genau beschrieben. Alberiche sozusagen, die nicht bereit waren, ihren Besitz und ihre Definitionsmacht zu teilen. Heute ist das ganz anders. Heute hätten diese Häuser ihre koloniale Erblast viel lieber vom Hals. Es steht außer Frage, dass zentrale Objekte der Herkunftsgesellschaften, die selten auf friedliche Weise ihren Weg in die Sammlungen fanden, wieder zurückkehren sollen. Aber Restitution ist noch kein Konzept. Man fragt sich viel eher, warum diese Häuser ihr eigenes Glück nicht ergreifen. Denn sie wären der geeignete Ort für einen neuen integrativen sozialen und kulturpolitischen Diskurs. Aber dafür müssten sie endlich aus dem Halbdunkel ihrer Vitrinenwelt wieder hervortreten wollen.

Es ist doch höchst widersprüchlich, auf der einen Seite die mangelnde Integrationsbereitschaft unserer Einwanderungsgesellschaft zu beklagen, andererseits aber den alten Blick auf die Herkunftsländer zu werfen, wo es noch immer um Herkunft und Abstammung geht, um Differenz und Identität und ein bis heute getrenntes Verständnis.

Wie man darüber zu globaler Gleichheit und planetarem Wohlergehen finden will, soll das Geheimnis des Autors bleiben. Aber die Aufgabe der sammelnden und kuratierenden Museen bleibt eine sehr konkrete. Sie zeigen die Welt der Objekte und erzählen vom Leben der Dinge. An welch anderem Ort könnte Vielfalt sichtbarer werden? Wo ließen sich Blickrichtungen besser kreuzen?

Wir haben uns vom Begriff des geteilten Erbes inzwischen wieder verabschiedet. Aber die neue Idee eines kollaborativen Museums meint nicht viel anderes. Wir lernen die Dinge gemeinsam zu sehen und können die Sichtweisen gegenseitig prüfen. Das wird nicht frei von Konflikten sein. Aber es gibt keinen Grund, die bestehenden Sammlungen zu zerstören. Ihre Objekte erzählen Geschichten von Raub und Plünderung; von Herkunft und Provenienz; vom Wandel und vom Beharren. Sie sind zum Patrimonium der globalen Gesellschaft geworden. Sammlungen waren schon immer divers, bevor es die tatsächlichen Umstände wurden. Und Teilhabe ist ein Erkenntnisprozess. Auch das sollten wir nicht vergessen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2025.