D ie großen Schadensereignisse der letzten beiden Jahrzehnte, wie der Großbrand der zum Weltkulturerbe zählenden Anna Amalia Bibliothek in Weimar, der Einsturz des Kölner Archivs, die Hochwasserereignisse und die Zerstörungen durch den Krieg in der Ukraine, haben uns deutlich gemacht, wie unerlässlich die Notfallvorsorge und der professionelle Kulturgutschutz im Schadensfall sind. Die Vorbereitung auf solche Krisen wird bundesweit und weltweit vorangetrieben. Dabei sind die Notfallverbünde als spartenübergreifende Solidargemeinschaften von lokalen Kultureinrichtungen von zentraler Bedeutung. Als kulturelle Allianzen unterstützen sie sich im Schadensfall gegenseitig, um den Verlust von Kulturgütern zu reduzieren. Aus den Erfahrungen der ersten Notfallverbünde, die sich nach den verheerenden Ereignissen des Elbhochwassers 2002 in Dresden und den Brand der Anna Amalia Bibliothek 2004 in Weimar gründeten, entstand in Thüringen der Wunsch, die kulturellen Infrastrukturen gegen Notfallrisiken nachhaltig zu stärken. Dafür brauchte es eine vorausschauende Kulturpolitik, eine sichere materielle Basis und engagierte, kompetente Partner.  

Als Kulturland mit einzigartiger Dichte kultureller Orte war Thüringen auch das erste Bundesland, das dieses Thema 2018 komplex anging. Gemeinsam mit der Thüringer Staatskanzlei, dem Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales, dem Gemeinde- und Städtebund, dem Museumsverband, dem Landesarchiv, dem Thüringischen Landkreistag und den Erfahrungen der Notfallverbünde Deutschlands und Partnern wie dem »SicherheitsLeitfaden Kulturgut« (SiLK) entwickelte der Kulturrat Thüringen ein ganzheitliches und nachhaltiges Konzept für den Schutz aller Kulturgüter im gesamten Freistaat, das aus drei Elementen besteht: die Fortbildungen zur Notfallvorsorge, die fünf Ausrüstungssätze und ein Gerätewagen Kulturgutschutz als materielle Basis für die Schadensbewältigung sowie das Kompetenzzentrum der Feuerwehr Weimar als Ansprechpartner für die Feuerwehren Thüringens. Dadurch können die Maßnahmen zur Notfallvorsorge flächendeckend umgesetzt und die Mittel und Möglichkeiten zur Prävention und Schadensbewältigung für alle Kultureinrichtungen erheblich verbessert werden – egal, ob es sich um ein Museum, ein Archiv oder eine Bibliothek handelt. Das Ziel ist es, dass jede Kultureinrichtung in die Lage versetzt wird, auf einen Schadensfall vorbereitet zu sein, denn auch alltägliche Gefahren wie Havarien, Wasserrohrbrüche, Unfälle oder menschliches Versagen können katastrophale Auswirkungen auf Kulturschätze haben, zu denen neben bekannten Kulturgütern auch Bücher, Dokumente und Unterlagen aus Archiven, Museen und Depots gehören. 

Fortbildungen für Kultureinrichtungen 

Seit 2019 werden grundsätzlich jeder kulturellen Einrichtung regionale Fortbildungen zum Thema Kulturgutschutz, Notfallvorsorge und Notfallverbünde angeboten. Sie finden digital oder vor Ort statt und beinhalten theoretische und praktische Module zur Schadensvorsorge und Schadensbewältigung. Unterstützt werden sie mit eigens erstellten Fortbildungsfilmen. Vor Ort werden auch die Ausrüstungssätze und der Gerätewagen Kulturgutschutz vorgestellt und in Übungen mit der Feuerwehr erprobt. Die Planung und Durchführung gewährleistet der Kulturrat Thüringen, die Finanzierung übernimmt die Thüringer Staatskanzlei. 

Ausrüstungssätze Kulturgutschutz 

Um für den Schadensfall gut gewappnet zu sein, gibt es in Thüringen seit 2018 fünf Ausrüstungssätze für den Kulturgutschutz. Diese sind in Altenburg, Nordhausen, Meiningen, Eisenach und Weimar bei den dortigen Feuerwehren stationiert und können vom Ereignisort thüringenweit angefordert werden. Jeder Ausrüstungssatz besteht aus zehn Rollwagen mit Materialien zur Dokumentation, zum Arbeitsschutz, Räumwerkzeuge, Verpackungsmaterialien, Elektro- und Beleuchtungskomponenten mit höchstem Sicherheitsstandard inklusive Stromerzeuger sowie Nass- und Trockensauger und Arbeitstische. Das leicht bedienbare Material ist am Einsatzort für die Kuratoren, Restauratoren und Archivare der betroffenen Einrichtung im Schadensfall wertvoll und sichert die Erstversorgung der Kulturgüter ab. Die Kosten von 100.000 Euro wurden von der Thüringer Staatskanzlei übernommen. 

Gerätewagen Kulturgutschutz  

Für einen fachgerechten Transport von betroffenem Kulturgut wurde 2019 ein klimatisierter Gerätewagen Kulturgutschutz geplant und bei der Feuerwehr Weimar in Dienst gestellt. Dieses in Europa einmalige Fahrzeug ist speziell auf die Belange des Kulturgutschutzes abgestimmt, führt bei Bedarf einen Ausrüstungssatz Kulturgutschutz mit und kann im Schadensfall innerhalb von zwei Stunden in ganz Thüringen eingesetzt werden. Die Kosten von 186.000 Euro für den Bau dieses Fahrzeugs wurden vom Thüringer Innenministerium übernommen. 

Kompetenzzentrum Feuerwehr Weimar 

Die Feuerwehr Weimar ist in Thüringen das Kompetenzzentrum für den Kulturgutschutz. Da sie seit mehr als zehn Jahren in einem Notfallverbund beratend mitarbeitet und über große Erfahrungen bei Schadensereignissen mit Kulturgütern verfügt, ist sie Ansprechpartner für alle Thüringer Feuerwehren. 

Fachberater für Notfallverbünde  

Seit vier Jahren wird dieses Konzept für die Notfallvorsorge des kulturellen Erbes in den Thüringer Kultureinrichtungen erfolgreich erprobt. Die Geschäftsstelle des Kulturrates Thüringen ist für die Planung, Beantragung, Durchführung und Abrechnung des Projektes »Notfallvorsorge für Kultureinrichtungen« verantwortlich. Koordiniert und durchgeführt werden die Maßnahmen durch den Fachberater für Notfallverbünde und Notfallvorsorge des Kulturrats Ralf Seeber. Als erster Ansprechpartner des Freistaates ist er auch national und international gefragt. Aus 40 Jahren Dienstzeit bei der Berufsfeuerwehr Weimar und als erster Einsatzleiter beim Brand der Anna Amalia Bibliothek kennt er die Belange der Feuerwehr und der Kultureinrichtungen bis ins Detail und entwickelte das Thüringer Konzept maßgeblich mit. Vom Brand der Weimarer Bibliothek, bei dem 50.000 Bücher zerstört wurden, ist ihm besonders ein Bild in Erinnerung geblieben: die historischen Bücher, die aus dem Gebäude geborgen wurden und auf dem Pflaster vor der Bibliothek lagen und die Ratlosigkeit der Retter, wie es damit weitergehen soll. Damit sich das nicht wiederholt, gibt er sein Wissen als Referent weiter, schult die Verantwortlichen regionaler Kultureinrichtungen vor Ort, vernetzt und berät bei der Gründung von Notfallverbünden und begleitet die Prozesse mit seinem weitreichenden Wissen, wie Kulturgüter in verschiedenen Schadensfällen fachgerecht gesichert und transportiert werden können. Unter seiner Leitung haben sich in Thüringen neun lokale Notfallverbünde gegründet, die von ihm beraten werden. Weitere stehen unmittelbar vor einer Gründung.  

Dafür braucht es einen langen Atem, denn im normalen Arbeitsalltag ist in Kultureinrichtungen oft keine Zeit. Ausstellungen müssen vorbereitet, Bilder restauriert, Notfallpläne für Energieeinsparungen entwickelt oder die Auswirkungen der Pandemie gemanagt werden. Je kleiner die Kultureinrichtung ist und je weniger Personal sie hat, umso schwieriger ist es. Dabei sollten auch kleine Häuser im ländlichen Raum die Möglichkeit haben, Notfallvorsorge zu betreiben.  

Kulturpolitik in Zeiten des Klimawandels 

Das Thüringer Modell mit der materiellen Bereitstellung der Ausrüstungen, dem Kompetenzzentrum Weimar und den Fortbildungsmodulen für jede Kultureinrichtung in Thüringen bietet hier Chancen, um die Prävention und das Risikomanagement konkret, alltagstauglich und nachhaltig in der Kulturpolitik zu verankern. Der Schutz des Kulturerbes, besonders auch mit Blick auf die Folgen des Klimawandels, wird zukünftig eine der großen Herausforderungen für den Kulturbereich sein. Mit großem Engagement und den auf verschiedenen Ebenen geschlossenen Bündnissen setzen sich die Thüringer Akteure im erfolgreichen Projekt »Notfallvorsorge für Kultureinrichtungen« für den nachhaltigen Schutz unseres kulturellen Erbes ein. 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2022.