Ich bin Filmkomponist und Musikproduzent, bin ordentliches Mitglied der GEMA in der Kurie der Komponisten, lebe also auch von meinen Lizenzeinnahmen. Ich bin im Vorstand des Composers Club (CC), des Berufsverbandes der Auftragskomponisten in Deutschland. Die Mitglieder des CC arbeiten hauptsächlich im audiovisuellen Medienbereich, unsere Musik wird überwiegend in Kino, TV, Radio, online aufgeführt und genutzt. Die meisten von uns sind ordentliche Mitglieder der GEMA – entscheiden also mit, wie, wann, wohin Lizenzeinnahmen verteilt werden, immer unter Aufsicht des DPMA (Deutsches Patent- und Markenamt).

Uns beschäftigt die Frage: Was bedeutet heutzutage Ernste Musik? Wer bestimmt, dass diese Musik eine E-Musik ist? Wie grenze ich diesen Begriff im 21. Jahrhundert ab? Viele unserer Mitglieder haben Musik studiert – Komposition und Tonsatz –, orchestrieren ihre Werke, einige dirigieren selbst – aber bewertet werden ihre Werke als U-Musik.

Hier der Versuch einer Herleitung: Im Jahre 1903 wurde von der Genossenschaft Deutscher Tonsetzer (GDT) die »Anstalt für musikalisches Aufführungsrecht«, die AFMA, gegründet, der Vorläufer der GEMA. Geführt wurde die GDT von den erfolgreichsten Komponisten der Ernsten Musik (E-Musik) der damaligen Zeit, unter anderem von Engelbert Humperdinck, Georg Schumann und vor allem von Richard Strauss. Der Vorstand der GDT war gleichzeitig der Vorstand der AFMA.

Die Deutsche Grammophon AG, gegründet 1900, hatte zu dem Zeitpunkt bereits mehr als 5.000 Titel im Programm, Operettenhäuser im deutschen Sprachraum wurden immer populärer, in Frankreich gab es seit 50 Jahren die französische Verwertungsgesellschaft SACEM. Es war der Beginn einer Wertschöpfung aus der kollektiven Vergabe von Lizenzen zur Rechtenutzung durch eine Verwertungsgesellschaft: Aufführungsrechte, Vervielfältigungsrechte und graphisches Recht (Notendruck). E-Musik fand in Konzerthäusern statt, U-Musik in Ballhäusern und Biergärten – zwei Welten, zwei unterschiedliche Musikniveaus, zwei sich unterscheidende Lizenzierungen und eine werkbezogene Förderung, die bis heute ausschließlich der E-Musik zugutekommt.

Wie gestaltet sich diese finanzielle Förderung, die nur der E-Musik zugutekommt? Zehn Prozent der Lizenzeinnahmen aller Mitglieder und der ausländischen Rechteinhaber, die im Rahmen der Gegenseitigkeitsverträge von der GEMA in Deutschland vertreten werden, gelangen in den Topf für kulturelle und soziale Zwecke. Zu 95 Prozent sind diese Einnahmen Abzüge aus dem Bereich U-Musik, 30 Prozent dieser Gelder fließen in den E-Bereich mit ca. 350 Mitgliedern. Die Schutzfristen der großen Werke klassischer Musik, die früher Lizenzeinnahmen im E-Musik Bereich generierten, sind lange abgelaufen. Der Topf für kulturelle und soziale Zwecke wird heute aus Lizenzeinnahmen der U-Musik finanziert.

Unter den 90.000 Mitgliedern genießen also nur 350 Komponistinnen und Komponisten der E-Musik die Vorzüge dieser besseren Bewertung ihres Schaffens in Form von besonderen Förderungen und eines hochkomplexen speziellen werkbezogenen Wertungsschlüssels, finanziert aus dem Inkasso der U-Musik.

Der Composers Club wünscht eine Förderung, die Kulturschaffende anderer Musikbereiche miteinschließt. Als moderner Berufsverband verstehen wir nicht, warum sich Fördermodelle der GEMA hauptsächlich auf E-Musik und deren Urheberinnen und Urheber beziehen und dabei von uns U-Komponistinnen und -komponisten finanziert werden. Die GEMA als Solidargemeinschaft – wir verstehen die GEMA nicht nur als Inkassoinstitut – muss sich die Frage stellen: Was ist an dem Modell, eine wachsende Menge an Fördermitteln (s. steigende Einnahmen U-Musik) einer immer kleiner werdenden Gruppe (E-Komponistinnen und -komponisten) zukommen zu lassen eigentlich noch solidarisch?

Wir wünschen uns Chancengleichheit in der kulturellen Förderung, die genreoffen ist und auch die nachfolgenden Generationen von Komponistinnen und Komponisten mit einbezieht, weg von werkbezogener Förderung, hin zu kontextbezogenen Förderprogrammen. Wir begrüßen eine Förderung, die Kulturschaffende aller Musikbereiche potenziell miteinschließt. Das Reformvorhaben der GEMA ist zudem so angelegt, dass der Umfang an kultureller Förderung keineswegs geringer ist als aktuell. Eine umfassende Förderung ist allerdings nur gewährleistet, wenn die Trennung zwischen E und U aufgehoben wird. Allein durch die Kategorisierung gab es den nicht mehr haltbaren privilegierten Zugang zu den Fördermitteln und ihre Inanspruchnahme, der Komponistinnen und Komponisten vieler Schaffensbereiche kategorisch ausschloss. Die GEMA musste sich deswegen die Frage stellen: Ist dieses bestehende Konstrukt zukunftsfähig im 21. Jahrhundert?

Die Musikindustrie hat sich in den 120 Jahren seit Gründung der GEMA verändert, Deutschland und Österreich sind die einzigen Länder, deren Wahrnehmungsgesellschaften noch zwischen »E« und »U« unterscheiden. Die Partnergesellschaften aus Europa machen Druck, der überwiegende Teil der Lizenzeinnahmen der GEMA kommt aus der Nutzung des anglo-amerikanischen Repertoires – warum sollen ausländische Komponistinnen und Komponisten und Textdichterinnen und Textdichter die E-Musik Förderprogramme der GEMA in Deutschland finanzieren? Dieses Missverhältnis und die einhergehende Intransparenz zwingen die GEMA und ihre Mitglieder, sich neu zu orientieren.

Der Composers Club ist zuversichtlich, dass das Reformvorhaben der GEMA gelingen wird.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2025.