Mit der Publikation von Neuübersetzungen und Neuausgaben vergessener und aus dem Fokus geratener Werke aus Nord- und Osteuropa hat Sebastian Guggolz für seinen Verlag eine Nische gefunden, der er sich seit 2014 widmet. Über seine Erfahrungen und über die Situation kleiner unabhängiger Verlage spricht er im Interview.
Barbara Haack: Wie sind Sie genau auf diese Nische gekommen?
Sebastian Guggolz: Als ich mich entschied, einen eigenen Verlag zu gründen, habe ich mich gefragt: Versuche ich nur, eine Nische zu besetzen, oder verbinde ich das mit etwas, das mir wirklich Spaß macht? Es ist eine Mischung aus beidem. Der Gradmesser für die Auswahl ist, dass ich mich begeistere.
Mir hat die Arbeit mit den Übersetzern immer besonders viel Spaß gemacht, weil das eine außergewöhnliche Gruppe von Menschen ist: Es sind absolute Experten, oft außerhalb der Wahrnehmung von sehr vielen. Aber sie leisten eine unschätzbare Arbeit, nicht nur für Bücher, sondern für die Verständigung von Kulturen, von Gesellschaften. Die meisten Übersetzer sind ungemein kompetente Menschen, mit viel Wissen über die Kultur und über die Geschichte der jeweiligen Länder.
Sprechen Sie selbst diese Sprachen?
Nein, keine einzige, deshalb bin ich angewiesen auf die Übersetzerinnen und Übersetzer. Ich schreibe ihre Namen immer aufs Cover, das machen inzwischen etliche kleinere Verlage. Die großen sträuben sich noch ein bisschen.
Es ist bekannt, dass Übersetzer sehr wenig Geld verdienen. Ist das bei Ihnen auch so?
Bei mir verdienen sie ein bisschen mehr als bei großen Verlagen. Weil sie für mich so wichtig sind und weil bei den Texten, die ich verlege, oft mehr Recherche notwendig ist. Es ist sowieso unverschämt, was man Übersetzern zahlt. Ich zahle ein bisschen weniger unverschämt. Es ist ein Paradox, dass die kleineren, die unabhängigen Verlage die Übersetzer teilweise besser behandeln und bezahlen. Die großen Verlage betrachten die Übersetzung als notwendiges Übel. Viele kleine Verlage, da bin ich keine Ausnahme, sehen das grundsätzlich anders.
Wie groß ist Ihr Team?
Ich mache den Verlag allein und bürge mit meinem eigenen Geld.
Es ist nicht einfach, mit Büchern, vor allem mit Nischenprodukten, wirtschaftlich zu arbeiten. Verdienen Sie mit Ihrem Verlag Geld?
Nein. So war der Verlag auch von Anfang an angelegt. Meine Bücher müssen so viel einbringen, dass sie die nächsten Bücher finanzieren. Schon das ist eine Herausforderung. Seit drei Jahren habe ich eine fast volle Stelle beim S. Fischer Verlag, die mich absichert. Ich lege viel Wert auf die Ausstattung, die Bücher sollen schöne Objekte sein, und das kostet einfach. Eine der größten Herausforderungen für die kleineren Verlage sind die explodierenden Herstellungs-, Material- und Logistikkosten.
Ein wichtiger Faktor sind die Auflagen. Wie hoch sind die bei Ihren Büchern?
Bei den Druckverfahren, die ich verwende, lohnt es sich erst, wenn ich mindestens 1.500 Exemplare drucke. Das ist das Minimum, sonst ist der Stückpreis zu teuer. Die höchsten Auflagen liegen bei über 5.000 oder 6.000. Es klingt absurd: Es gibt ungefähr 130 Millionen deutschsprachige potenzielle Leserinnen und Leser, und dann redet man von einer Auflage von 1.500. Aber schon dafür muss man ganz schön schuften.
Welche Rahmenbedingungen müssten sich ändern, damit es den unabhängigen Verlagen leichter fällt zu überleben?
Strukturelle Verlagsförderung ist ein großes Thema für uns unabhängige Verlage. Das unterscheidet die Verlage von anderen Spielern im kulturellen Sektor. Museen, Theater und Opernhäuser werden massiv subventioniert. Die Subventionen, die wir haben, sind Buchpreisbindung und reduzierter Mehrwertsteuersatz. Das ist existenziell wichtig, aber wir bekommen keine direkte Förderung. Die Ansprüche, die an Verlage gestellt werden, sind aber hochgradig kultureller und ideeller Art. Gleichzeitig müssen wir uns als Wirtschaftakteure bewähren. Wirklich unabhängige und inhabergeführte Verlage, die mit ihrem eigenen Geld dafür einstehen, können nicht rein wirtschaftlich an die Sache herangehen.
Wie kommen Sie mit der Forderung nach Verlagsförderung in der Politik an?
Die strukturelle Verlagsförderung liegt schon lange auf dem Tisch, stand auch im letzten Koalitionsvertrag, wurde leider aber nicht umgesetzt. Ein sehr wichtiger Akteur ist die Kurt-Wolff-Stiftung. Das ist eine unabhängige Stiftung zur Förderung unabhängiger Verlage. Und natürlich der Börsenverein. Mit der neuen Regierung muss man jetzt wieder bei null anfangen.
Der Deutsche Verlagspreis war eine Brückenkonstruktion. Er wurde eingeführt, weil Monika Grütters damals einen Bedarf sah, aber keine Möglichkeit, schnell eine Verlagsförderung einzuführen. Ohne aktive Verlagsförderung lässt sich aber nicht mehr wirtschaften. Die Folge davon, dass das bisher nicht geklappt hat, wird sich in diesem und im nächsten Jahr zeigen. Es wird Verlagsaufgaben geben. Denn es gibt natürlich auch unabhängige Verlage, die von ihrem Geschäft leben, es ist nicht jeder so aufgebaut wie ich.
Wie könnte so eine Verlagsförderung aussehen? Wer entscheidet, wer wofür was bekommt?
Ich könnte mir ein Modell vorstellen, das anschließt an das NEUSTART KULTUR Programm während der Coronapandemie und das mit Projektförderung arbeitet. Ich vermute aber, dass das zu komplex wäre. Mit diesem Modell hätte man unmittelbaren Einfluss darauf, was gefördert würde.
Ein anderes tragfähiges Modell wäre die strukturelle Förderung. Für die Planbarkeit wäre dabei eine mehrjährige Förderung sehr wichtig. Diese wäre nicht mehr projektgebunden. Dann hätte man allerdings das Kuriosum, dass möglicherweise auch Telefonbücher oder Briefmarkenkataloge unterstützt würden, und zum anderen die Gefahr, dass auch rechtslastige Programme gefördert werden müssten. Die strukturelle Verlagsförderung würde an Fragen, wie der Verlag aufgebaut ist, wie er sein Programm macht, bemessen. Das wäre leichter durchzuführen.
Wie stehen Kolleginnen und Kollegen in anderen unabhängigen Verlagen dazu? Gibt es auch die Ansicht, dass eine solche öffentliche Förderung nicht in Frage kommt?
Es gibt einige, die grundsätzlich gegen staatliche Einmischung sind, vor allem aus dem linken Spektrum. Und ein paar der größeren Verlage, die deutlich wirtschaftlicher aufgebaut sind, sagen: Der Verlag muss sich selbst tragen. Unter dem Dach der Kurt-Wolff-Stiftung sind sich jedoch viele einig, der Börsenverein spricht auch mit einer Stimme. Aber es ist schwierig, weil das Feld so vereinzelt und kleinteilig ist.
Die ganze Branche hat mit dem Leserschwund zu kämpfen. Für mich ist es offensichtlich, dass diese Branche nicht wirklich zukunftssicher ist. Da muss es Antworten geben. Eine Möglichkeit wäre, dass der Markt grundsätzlich ausdünnt. Aber ich schätze diese auf der Welt einzigartige Vielfalt an Verlagen, die wir in Deutschland haben. Nach meiner Überzeugung ist das ein elementarer Bestandteil unserer Demokratie.
Haben Sie weitere Forderungen an die Politik?
Auf jeden Fall die Sicherung des Status Quo. Selbst das ist nicht immer unumstritten. Wenn die Buchpreisbindung fallen würde, wäre das wie ein Orkan, der über die Branche rasen würde. Da würden sehr viele umfallen. Und der gesenkte Mehrwertsteuersatz: Das sind die Grundvoraussetzungen, damit wir das System einigermaßen halten können.
Wie kommen Sie an Ihre Leserinnen und Leser? Sie müssen die Bücher nicht nur lektorieren, übersetzen lassen, produzieren. Sie brauchen auch einen Vertrieb. Verlage leben auch davon, dass ihre Bücher in den Buchhandlungen liegen.
Das sind die größten Unterschiede zwischen großen und kleinen unabhängigen Verlagen: Die großen Verlage haben ein riesiges Vertriebssystem. Noch entscheidender ist das Marketing-Budget, das bei mir bei null Euro liegt. Ich hatte allerdings von Anfang an ein professionelles Vertriebssystem: Man braucht eine Auslieferung, und ich brauche Vertreterinnen und Vertreter. Ich arbeite außerdem von Anfang an an meinem Verhältnis zum unabhängigen Buchhandel.
Wie gehen Sie mit KI um? Übersetzer sehen hier Gefahren.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Vorstellung, dass KI großen Einfluss auf das literarische Übersetzen hat, ein Trugschluss ist, eine Annahme von Menschen, die sich offensichtlich nicht viel mit literarischen Übersetzungen beschäftigen.
Was bedeutet für Sie die Mitgliedschaft im Börsenverein? Wie wichtig ist sie Ihnen?
Für mich war es, als ich meinen Verlag gegründet habe, sofort klar, dass ich auch Mitglied im Börsenverein werde. Für einen Verlag meiner Größe ist vor allem die Rechtsabteilung wichtig. Der Börsenverein wirkt in vielen Bereichen, von Buchmessen über die einzelnen großen Preise usw. Und er ist wichtig bei vielen Fragen der größeren Öffentlichkeit für Bücher. Der Börsenverein ist überall als treibende Kraft mit dabei. Je mehr ich mich als Verlag etabliere, desto stärker empfinde ich eine Aufforderung an mich selbst, mich aktiv und gestaltend dort einzubringen. Der Börsenverein ist jetzt 200 Jahre alt, und es liegt auch eine Gefahr darin, wenn eine Institution schon so alt ist, dass sie bestimmte Entwicklungen und Neuerungsprozesse nicht mehr unbedingt mitgeht. Ich glaube, es könnte eine noch größere Öffnung zur nächsten Generation und zu den Herausforderungen der aktuellen Zeit geben.
Welche Bedeutung haben die Buchmessen für Sie?
Sie sind für mich wichtig, v. a. Frankfurt wird aber für kleine unabhängige Verlage zunehmend weniger wichtig. Toll sind die neu entstehenden Büchermärkte. Die gibt es mittlerweile an verschiedenen Standorten, oft gebunden an Institutionen, an Literaturhäuser. Wir haben dort die Möglichkeit, unsere Bücher direkt an die Leserinnen und Leser zu verkaufen. Ich liebe diese Buchmärkte auch, weil ich dort in Verbindung mit anderen Verlagen bin. Die Stimmung unter diesen Verlagen ist sehr solidarisch. Wir gönnen uns gegenseitig unsere Erfolge, wir helfen uns aus. Diese Solidarität und Kollegialität und dass wir uns als an einem Strang ziehend begreifen, das ist eine extreme Stärkung der täglichen Arbeit.
Vielen Dank.