Wie sehen Sie Rolle und Stellenwert des Genres Hörspiel in der heutigen Medienlandschaft?

Hörspiel ist heute genauso wichtig wie zu seinen Anfangszeiten vor knapp 100 Jahren – und das ist eine riesige Leistung. Denn auch historisch betrachtet ist das Hörspiel untrennbar mit dem Rundfunk verbunden. 1926 schrieb Hans Siebert von Heister über das Hörspiel als Rundfunkkunst von einem Spiel, »das dem Menschen auf der Empfängerseite als Darstellung eines sinnlich lebendigen Geschehens bewusst wird, das ihn ganz zu erfassen vermag, die vollkommene Täuschung einer Wirklichkeit mit den nur möglichen akustischen Mitteln zu erreichen imstande ist« (»Der deutsche Rundfunk«, Heft 8, 1926). Ohne Radio also kein Hörspiel, und das bedeutet seit der Gründung der ARD vor bald 75 Jahren: ohne ARD kein Hörspiel. Selbstverständlich hat sich das Hörspiel seit 1926 weiterentwickelt; es ist als Hörspiel im Rundfunk und heute zum Beispiel in der ARD Audiothek aber grundsätzlich eine Kunstform geblieben. Es kann unterhaltend sein, es muss aber nicht.

Durch die föderale Struktur der ARD ist der Reichtum an Hörspielen in Deutschland einzigartig: Nirgends sonst auf der Welt wurden und werden mehr Hörspiele produziert. Die ARD Hörspieldatenbank umfasst derzeit mehr als 66.000 Hörspiele – und es werden immer mehr.

 

Welche Bedeutung haben Hörspiele im Rahmen der Neuaufstellung der ARD und hier besonders der verstärkten Kooperation der ARD-Anstalten?

Das Hörspiel hat viele Anhängerinnen und Anhänger, und die ARD hat eine lange währende Liebesgeschichte mit dem Hörspiel. So wird es auch bleiben. Allerdings haben sich die Rahmenbedingungen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geändert. Das betrifft vor allem die Verbreitungswege. Bis zur Erfindung des Internets und des Breitbandanschlusses wurden Programme linear gesendet. Ein Film oder eine Radiosendung begann zu einer bestimmten Zeit und war irgendwann vorbei. Heute dagegen sind in der digitalen Welt rund um die Uhr riesige Mengen an Inhalten für die zeitsouveräne Nutzung verfügbar. Jüngere Menschen schalten nicht mehr den Fernseher oder das Radio ein, sondern wählen aus den zahlreich verfügbaren Angeboten das aus, was sie interessiert.

Das stellt uns als öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor neue Herausforderungen. Wir sollen – nein, wir müssen qua Medienstaatsvertrag – alle Menschen in Deutschland erreichen. Also müssen wir mit unseren Angeboten im Fernsehen, im Radio, online und eben auch in der digitalen Streaming-Welt auffindbar sein. Zwar werden wir, anders als kommerzielle Anbieter, durch den solidarischen Rundfunkbeitrag finanziert – das gibt uns die Freiheit, das Hörspiel weiterhin auch als Kunstgattung zu verstehen und nicht nur auf kommerzielle Markterwägungen zu blicken. Aber wir sind zur Sparsamkeit verpflichtet und können nicht alles weitermachen wie bisher: Das können wir uns schlicht nicht leisten.

 

Sehen Sie für das Hörspiel noch eine Zukunft im linearen Programm? Und wenn ja, welche?

Ja, das Hörspiel wird es auch weiterhin im linearen Programm geben. Aber die Gewichtung verschiebt sich, denn die Zukunft des Hörspiels ist eindeutig non-linear, also für ein großes Publikum dann abrufbar, wann es Lust und Zeit hat, sich genau jetzt ein Hörspiel anzuhören. Das hat auch Konsequenzen für die Vergütung. Bisher vergaben einzelne Landesrundfunkanstalten Produktionsaufträge für Hörspiele, die im eigenen Sendegebiet gesendet wurden. Für jede Nutzung der Rechte an diesen Produktionen – im linearen Programm, der ARD Audiothek oder auf Drittplattformen – fallen Kosten an. Künftig ist der erste Ort für die Veröffentlichung von Hörspielen die ARD Audiothek. Hier sollen alle Hörspiele aus dem ARD-Kosmos verfügbar sein, leicht zu finden und komfortabel anzuhören. Damit ist aber das bisherige System der Vergütung nicht mehr praktikabel und muss angepasst werden. Denn klar ist: Am Gesamtetat für Hörspiele in der ARD von etwa zehn Millionen Euro pro Jahr wird sich nichts ändern. Wenn die durchschnittlichen Produktionskosten pro Hörspiel steigen, ergibt sich daraus, dass wir künftig weniger Hörspiele produzieren können.

Auch die neue Hörspiel-Gemeinschaftsredaktion ist ein Kind der jüngsten ARD-Reform. Wichtig ist zu betonen, dass die Hörspiele weiterhin dezentral in den ARD Medienhäusern produziert werden und es weiterhin Hörspiel-Redaktionen in den Landesrundfunkanstalten gibt. In der Gemeinschaftsredaktion werden in enger Abstimmung mit der ARD Audiothek Programmentscheidungen getroffen und die Veröffentlichungen aufeinander abgestimmt. So bleibt ein Höchstmaß an Vielfalt erhalten.

Das Interesse an Welten, die nur durch das Hören im Kopf entstehen, ist ungebrochen. Und gerade über die digitalen Ausspielwege gewinnen wir neue Hörspiel-Fans, die wir über die linearen Wege nicht oder nicht mehr erreichen. Das Hörspiel hat also mit und in der ARD eine Zukunft.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2024.