In der letzten Ausgabe von »Politik und Kultur« wurde das MiQua in Köln vorgestellt. Das Jüdische Museum Westfalen (JMW) in Dorsten, einer kleinen Hansestadt zwischen Ruhrgebiet und Münsterland, ist gewissermaßen die kleinere ältere Schwester in Nordrhein-Westfalen. Auch dieses Museum geht auf die Initiative lokaler Bürgerinnen und Bürger zurück.

1982 formte sich die Gruppe »Dorsten unterm Hakenkreuz« aus Journalistinnen und Journalisten, Lehrkräften und weiteren interessierten Bürgerinnen und Bürgern. Ihr Ziel war es, die Geschichte der Stadt während und unmittelbar nach dem NS-Regime zu erforschen. Sie publizierte fünf Bücher, das letzte und umfassendste trug den Titel »Juden in Dorsten und in der Herrlichkeit Lembeck«. Damit hatte sich der Fokus auf die jüdische Geschichte verschoben. Die Arbeit der Gruppe wurde während dieser Jahre nicht nur mit Wohlwollen gesehen, Teile der Bevölkerung hielten sie für Nestbeschmutzer.

Dieser Widerstand legte sich jedoch schon bald, und der 1989 gegründete Verein für jüdische Geschichte und Religion konnte mit finanzieller Hilfe der Stadt Dorsten und des Landes NRW am 28. Juni 1992 das Jüdische Museum Westfalen eröffnen. Sein Fokus lag nun auf der jüdischen Geschichte der ganzen Region. Mehr Gewicht hatten zunächst allerdings die jüdische Religion im Allgemeinen und die Geschichte des Antisemitismus. Viele Exponate hatten keinen lokalen Bezug, die Judaica waren oftmals auf Auktionen erworben worden. Die damit verbundene problematische Frage ihrer Provenienz wurde viele Jahre später, 2020 bis 2021, in einem Projekt erforscht, und einige Objekte konnten restituiert werden. Darüber wurde in der Ausgabe 12/23-1/24 von Politik & Kultur berichtet.

Mit zunehmendem Bekanntheitsgrad erhielt das Jüdische Museum immer mehr Schenkungen, vor allem Fotos und Dokumente, aber auch Objekte, die es ihm erlaubten, die regionale jüdische Geschichte anhand von exemplarischen Biografien zu illustrieren. Mit der Sammlung vergrößerte sich der Platzbedarf. Im Jahr 2001 konnte das JMW einen Erweiterungsbau eröffnen, der neben einem Veranstaltungssaal auch die Dauerausstellung umfasst, während die Sonderausstellungen im Altbau gezeigt werden.

2018 folgte eine weitere Überarbeitung der Dauerausstellung. Bunt und familienfreundlich, trägt sie den Titel »L’Chaim! Auf das Leben! Jüdisch in Westfalen«. Damit wird signalisiert, dass neben den zahlreichen Brüchen im jüdisch-deutschen Verhältnis auch lange Kontinuitäten bestehen und dass es in unserem Haus nicht nur um Geschichte geht, sondern dass auch das heutige jüdische Leben in der Region thematisiert wird. In zahlreichen Veranstaltungen, von Konzerten über Vorträge zu Theaterstücken präsentieren jüdische Kunstschaffende ihre Arbeiten und Werke. Die Zusammenarbeit mit Vereinen und Institutionen tragen wesentlich zum Erfolg des Programmes bei. So zeigt das JMWmehrmals jährlich ein von der Leiterin kuratiertes Filmprogramm im lokalen Kino. Zudem wirkt es bei den jährlichen Dorstener Tagen des Grundgesetzes mit.

Schulklassen gehören zu den wichtigsten Zielgruppen des Museums. Das JMW hat Kooperationsvereinbarungen mit einer Förderschule in Lippstadt, mit der Gesamtschule Wulfen und dem Gymnasium St. Ursula in Dorsten geschlossen und arbeitet mit zahlreichen weiteren Schulen in der Region zusammen, für deren Lehrkräfte es auch Weiterbildungen anbietet. Die jüngste Kooperationsvereinbarung wurde mit einer lokalen KiTa geschlossen. Und so besuchten am Tag der Offenen Tür im Oktober 2024 zahlreiche kleine Kinder das Museum; eins von ihnen eröffnete die neugestaltete Kinderecke.

Antisemitismusprävention ist ein wichtiger Teil der Vermittlungsarbeit. Zielgruppen sind sowohl Schülerinnen und Schüler als auch Erwachsene, zum Beispiel Bedienstete der Polizei. Das Museum versteht sich allerding nicht nur in diesen Workshops, sondern auch als Gesamtorganisation als eine Bastion gegen den Antisemitismus. Und Schulklassen können hier nicht einfach »die NS-Zeit abholen«. Sie werden immer auch in die frühere Geschichte sowie die Gegenwart jüdischen Lebens in der Region eingeführt.

Das Jüdische Museum Westfalen hat seit den Anfängen eigene Forschung betrieben. Zu erwähnen sind hier die Forschungs- und Ausstellungsprojekte »Angekommen?!« mit Porträts von Jüdinnen und Juden aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion (2010) und »Heimatkunde« über das Zusammenleben von Juden und Jüdinnen und ihren Nachbarinnen und Nachbarn in Westfalen im Langen 19. Jahrhundert (2015).

Die gegenwärtige von unserer Kuratorin konzeptionierte Sonderausstellung porträtiert mit Rolf Abrahamsohn einen Shoah-Überlebenden, der nach dem Krieg die Jüdische Gemeinde des Kreises Recklinghausen mitaufbaute. Er war bis ins hohe Alter aktiv in der Erinnerungskultur und gehört zu den Mitbegründern unseres Museums. Seine Geschichte steht exemplarisch für viele andere deutsch-jüdische Schicksale im 20. Jahrhundert. Im Herbst folgt die Ausstellung »Rafft euch empor! Jüdische Aktivistinnen aus Westfalen in der ersten Frauenbewegung« in Kooperation mit der Hochschule Bielefeld. Beide Ausstellungen sind durch intensive Forschungen gestützt.

Bis 2020 ehrenamtlich geführt, wird das JMW – dank großzügiger Unterstützung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe – von einer hauptamtlichen Leiterin geführt. Das Kuratorium und die Vermittlungsabteilung werden bereits seit vielen Jahren von Fachkräften besetzt. Im Vorstand, bei den Führungen und auch in der Sammlungsbetreuung sind weiterhin auch Ehrenamtliche tätig.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2025.