In einer Zeit sich verschärfender globaler Herausforderungen mit fortschreitendem Klimawandel, Artenschwund, Übernutzung begrenzter Ressourcen sowie tiefgreifender Auswirkungen der Coronapandemie gilt es mehr denn je, Nachhaltigkeit als kulturelles Konzept zu verstehen, das die Menschen mitnimmt, ihre Kompetenzen und Kreativität für die Gestaltung einer friedvollen Zukunftsgestaltung nutzt. Dabei kommt der Kultur als Umsetzungshebel zugute, dass sie historisch, gegenwärtig und zukünftig zugleich ist. Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie (DNS) spricht von einem Gemeinschaftswerk, das notwendig ist. In einer Demokratie gehört hierzu gemeinsames Gestalten und geteilte Verantwortung, damit Teilhabe, Ausgleich und Diskurs. Die seit Jahrzehnten international geforderte nachhaltige Entwicklung, welche – nach Volker Hauff, 1987 – »die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können«, gehört zu den wesentlichen Herausforderungen der Menschheit. Dieser intra- und intergenerationale, multikulturelle, zugleich lokal wie international ausgerichtete Handlungsansatz ist tiefgreifend und zukunftsweisend.
Eine Transformation hin zu einer nachhaltigen Entwicklung wird immer dringlicher, wenn man die globale soziale und ökologische Lage betrachtet und die Folgen der Übertretung der planetaren ökologischen Belastbarkeitsgrenzen berücksichtigt. Bei der Suche nach Lösungsmöglichkeiten zeigt sich deutlich, wie sehr ein Über- und Umdenken von Gewohnheiten, Werten und alltäglichen Praktiken in Produktion und Konsum gefragt ist. Hierdurch materialisiert sich unsere Haltung – wie wir Technikentwicklung, Wirtschaften und Leben denken und umsetzen. Es geht darum, die Gesellschaft als Ganzes mitzunehmen, mit ihrer Diversität und Interkulturalität, um gemeinsam die »Große Transformation« zu gestalten, die »tiefgreifende Änderungen von Infrastrukturen, Produktionsprozessen, Regulierungssystemen und Lebensstilen sowie ein neues Zusammenspiel von Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft« umfasst, so der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen bereits 2011.
Es bedarf einer »Zukunftskunst«, die dieses Zusammenspiel in den Fokus nimmt und Zukunftsgestalter und -gestalterinnen, die die notwendigen Transformationskompetenzen einbringen. Zukunft kann nur global gedacht und gestaltet werden. Nachhaltige Transformation ist dabei kein Ursache-Wirkungs-Prozess, sondern ein systemisch-komplexer Prozess, der weiß, mit Unwissen und Vorsorge umzugehen. Die geopolitische Weltlage führt uns dies gerade sehr deutlich vor Augen.
Kunst und Kultur stellen Fragen, konstruieren, rekonstruieren, demontieren und gestalten. Forschung stellt auch Fragen – hier ist eine Schnittstelle. Doch folgt sie anderen Handlungslogiken und Rahmensetzungen – im Bereich Nachhaltigkeit ist sie normativ im Fundament. Die Sustainable Development Goals (SDGs) bilden den Kompass. Die Forschung des Wuppertal Instituts ist auf die Gestaltung der notwendigen Transformationsprozesse hin zu einer nachhaltigen, gerechteren, vielfältigen und lebenswerten Gesellschaft ausgerichtet. Die Pariser Klimaziele geben einen klaren Rahmen – das ist hilfreich, aber noch keine Kultur und löst allein noch keine neue Haltung aus. Eine Ressourcenkultur – also die Wertschätzung der der Natur entnommenen Materialien, um unser Leben und unsere Entwicklung lebenswert zu gestalten – ist notwendig, um vom Wissen zum Handeln zu gelangen. In dieser Lücke verbergen sich Haltung, Moral, Emotionen und Wertschätzung.
Die Nachhaltigkeitsherausforderungen ökologisch, ökonomisch und sozial reichen weit in die Gesellschaft hinein. Nachhaltigkeit ist vor allem eine kulturelle Herausforderung, in der es gilt, alte Muster und Gewohnheiten zu hinterfragen und sich auf Neues einzulassen. Es geht dabei darum, kulturelle Traditionen zu beleben und neue Verbindungen zu schaffen, die Anknüpfungspunkte für Innovationen sein können. Die kulturelle Dimension der Nachhaltigkeit ist im Hinblick auf die Bedeutung der Künste und des Ästhetischen also auch des Künstlerischen im Nachhaltigkeitsdiskurs und der Nachhaltigkeitsforschung bisher zu wenig berücksichtigt.
Kunst und Kultur sind prädestiniert für Veränderungsprozesse, in denen es darum geht, Neues zu wagen, Grenzen zu überschreiten und Unbekanntes zu erkunden. Kunst und Kultur verkörpern eine Haltung und liefern einen Raum, in dem Bilder und Symbole der Nachhaltigkeit entstehen können. Veränderungsprozesse haben etwas mit Aufbruch, Motivation und Chancen zu tun, aber auch mit Ängsten, Barrieren und Herausforderungen. Veränderungen werden durch Kunst und Kultur ganz anders angesprochen als über die Wissenschaft. Insofern ist eine aktive und vielfältige Kunst- und Kulturszene, die sich einbringt, ein wichtiger Motor für Transformationsprozesse. Die Auseinandersetzung mit einer nachhaltigen Entwicklung aus künstlerischer Sicht bedeutet Irritation und Offenheit für nicht vorab definierte Zukunftsvisionen und neue Lebensmodelle.
Das Wuppertal Institut möchte hierzu Ziel-, System- und Transformationswissen bereitstellen. Bisherige Anstrengungen haben keine Wenden erreicht – eine Konzertierung und Allianzen, wie der Leiter des Umweltbundesamtes Dirk Messner es formuliert, sind notwendig, um Transformation ins Gelingen zu bringen. Die transformative Forschung am Wuppertal Institut orientiert sich an konkreten gesellschaftlichen Problemlagen und zielt darauf ab, Gestaltungsmöglichkeiten für Veränderungsprozesse besser zu verstehen und zielorientierte Transformationsprozesse zu gestalten. Zentral ist dabei die aktive Einbindung von unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteuren.
Das Wuppertal Institut öffnet sich in den letzten Jahren verstärkt der künstlerischen Forschung und integriert diese in ihre Transformations- und Reallaborforschung. Reallabore sind ein wichtiger Ansatz zur Förderung einer reflexiven Wissensgesellschaft, die Innovation, Partizipation und gesellschaftlichen Machtausgleich integriert. Sie stellen als Kooperationsformate zwischen Forschenden und Praxisakteuren das gegenseitige Lernen in einem experimentellen Umfeld in den Vordergrund. Transdisziplinäre und transformative Elemente der Nachhaltigkeitsforschung werden kombiniert und durch Realexperimente gesellschaftliche langfristige Lernprozesse angestoßen.
Künstlerische Forschung ist mit ihrem problemorientierten Fokus nicht streng wissenschaftlich, da sie nicht methodisch strikt ist, aber sie kann zu Lösungen oder Problemlösungsansätzen beitragen, die Wissenschaft bisher nicht in ihrem Handlungsfeld gesehen hat. Die derzeitige Forschungsförderung mit Bezug auf eine nachhaltige Entwicklung und Transformation hat die künstlerische Forschung bisher zu wenig im Blick. Die Forschungsprogramme müssen sich öffnen und zukünftig den Bereich der künstlerischen Forschung sowie Kunst und Kultur stärker adressieren und integrieren. Dann wird Kultur zum noch größeren Hebel der Transformation.