Atemlos, so könnte die Kulturpolitik seit mehr als fünf Jahren beschrieben werden. Atemlos, weil die Anforderungen kein Ende nahmen und die Akteure aus Kunst und Kultur ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachgekommen sind.  

Angefangen hat es 2015 mit der Aufnahme vieler Geflüchteter aus Syrien und Afghanistan. Insbesondere die Kommunen mussten sehr viel schultern. Innerhalb kürzester Zeit galt es, Unterkünfte bereitzustellen, Kindern und Jugendlichen den Zugang zu Schulen zu ermöglichen, Integrationsklassen aufzubauen, Sprachkurse zu initiieren und vieles anderes mehr. Viele Vereine und Einrichtungen aus dem Kulturbereich, die kulturelle Bildung ist dabei eingeschlossen, haben sich in dieser Phase engagiert. Sie waren in Flüchtlingsunterkünften präsent, haben geflohenen Künstlerinnen und Künstlern Auftritts- und Arbeitsmöglichkeiten geboten, standen mit Rat und Tat zur Seite, wenn es darum ging, die bundesdeutschen Kulturstrukturen nahezubringen. Und vor allem haben viele aus Kunst und Kultur ein Zeichen dafür gesetzt, dass Vielfalt zu unserer Gesellschaft gehört, dass Migration und Zuwanderung ein Merkmal des 20. und des 21. Jahrhunderts sind und dass es nicht um Ausgrenzung, sondern um Inklusion gehen muss. Kulturelle Vielfalt ist das Schlagwort aus jener Zeit. »Die Vielen«, ein Zusammenschluss von großen und kleinen Kulturinstitutionen, von Künstlerinnen und Künstlern sowie von Kulturvereinen stehen sinnbildlich für dieses Engagement aus dem Kulturbereich, das sich gegen rückwärtsgewandte Vorstellungen einer deutschen Leitkultur richtete. Der Deutsche Kulturrat hatte auch als Reaktion auf die Flüchtlingskrise die »Initiative kulturelle Integration« gestartet, die ihre Aktivitäten auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt insgesamt, ausgeweitet hat. 

Auch wenn in der öffentlichen Wahrnehmung spätestens 2018 die sogenannte »Flüchtlingskrise« vorbei war, war das Thema in den Ländern, Kommunen und im Kulturbereich längst noch nicht ad acta gelegt, sondern nach wie vor von großer Bedeutung. 

Die Coronapandemie traf Deutschland Anfang 2020 unvorbereitet. Anfangs waren es nur wenige Fälle, doch rasch schnellten die Zahlen in die Höhe. Ab Mitte März 2020 herrschte Lockdown und was sich zuvor sicherlich kaum jemand vorstellen konnte, wurde Realität. Kultureinrichtungen, öffentliche wie private, mussten ihre Türen schließen. Weder fand eine Aufführung statt, noch war eine Ausstellung zu sehen, noch konnte ein Buch ausgeliehen werden, noch konnte Unterricht in einer Musikschule erteilt werden und vieles anderes mehr. Es war auf der einen Seite eine stille Zeit, Kunst und Kultur fehlten, und auf der anderen eine äußerst hektische. Die äußerst prekäre Lage vieler Kulturunternehmen sowie von Künstlerinnen und Künstlern wurde auf einmal sichtbar. Rasch initiierte Wirtschaftsförderprogramme gingen anfangs an der Realität vieler Unternehmen sowie an Soloselbständigen vorbei. Auf einmal wurde offensichtlich, dass der Kulturbereich von vielen Menschen vor und hinter den Bühnen lebt. Die Länder und der Bund legten Programme zur Unterstützung des Kulturbereiches auf. Stipendienprogramme, Programme zur Unterstützung von Vereinen, Programme zur Digitalisierung und anderes mehr. Das Bundesprogramm NEUSTART KULTUR, eine Idee des Deutschen Kulturrates, mit einem Volumen von insgesamt 2 Milliarden Euro und 60 Einzelprogrammen, legte die Latte entsprechend hoch. Dieses von Ex-Kulturstaatsministerin Monika Grütters aufgelegte Programm ist sowohl mit Blick auf das Volumen als auch den Vergabeweg besonders. Es wurde auf die Fachkompetenz der Verbände, Fonds und Stiftungen gesetzt, die die Einzelprogramme fachlich entwickelt und die Mittel vergeben haben. NEUSTART KULTUR war und ist mehr als ein Programm zur Unterstützung von Künstlerinnen und Künstlern oder Kulturunternehmen, es wurden zugleich lange aufgeschobene Investitionen wie z. B. in Lüftungsanlagen und anderes mehr gefördert, um einen Betrieb unter Pandemiebedingungen zu ermöglichen. Der noch zusätzlich auf die Schiene gesetzte Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen, ausgestattet mit 2,5 Milliarden Euro, ermöglichte, insbesondere Konzertveranstaltungen, Konzerte zu planen, auch wenn deren Durchführung noch unwirtschaftlich oder es zum Planungszeitraum unklar war, ob das Konzert überhaupt stattfinden konnte. Auch dieses Programm war und ist eine sehr wichtige Hilfe im Kulturbereich.  

Trotz der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen ist der Kultursektor noch längst nicht im Lot. Aus dem Literaturmarkt ist beispielsweise zu hören, dass Verlage eher auf das Sichere setzen, als jetzt Risiken mit wenig bekannten Autorinnen und Autoren einzugehen. Die Kinos haben zwar mit dem Kinotag im September dieses Jahres einen Erfolg gelandet, doch insgesamt konnte das Publikum noch nicht von den Streamingdiensten weggelockt werden. Auch wenn so manches Theater ausverkauft ist, viele andere Häuser können noch längst nicht an die Vor-Corona-Zeiten anknüpfen. Und: Kulturvereine klagen über Mitgliederschwund. 

In dieser Situation, nach zwei Jahren Auseinandersetzung mit der Coronapandemie, die noch längst nicht vorbei ist, kommt die Energiekrise. Der Deutsche Kulturrat hat frühzeitig am 21. Juni Bund, Länder und Kommunen aufgefordert, Unterstützungsmaßnahmen für öffentliche Kultureinrichtungen vorzusehen. Am 21. September hat er ein neues Positionspapier verabschiedet. Die zentrale Forderung darin: die Kultureinrichtungen offenzuhalten, auch wenn Energie eingespart werden muss. Der nicht ausgeschöpfte Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen muss zu einem Energiefonds weiterentwickelt werden, um Kulturorte zu unterstützen. Bei den Wirtschaftsprogrammen dürfen die Kultur- und Kreativwirtschaft sowie Soloselbständige aus dem Kulturbereich nicht vergessen werden und das Kulturgut gilt es zu schützen. Dazu gehört, dass Kultureinrichtungen wie Bildungseinrichtungen behandelt werden und daher auch in einer möglichen Gasnotlage der Stufe III versorgt werden. 

Im Unterschied zur Coronapandemie haben verschiedene Fachverbände aus dem Kulturbereich einschließlich der Kultur- und Kreativwirtschaft Vorschläge zum Energiesparen erarbeitet. Diese Vorschläge gehen konkret auf die Kulturorte und ihre jeweiligen Anforderungen ein. Ebenso wird deutlich gemacht, dass insbesondere Kulturgut bewahrende Einrichtungen jetzt verbindliche Entscheidungswege etablieren müssen, was passieren muss, wenn die Strom- oder Gasversorgung unterbrochen oder gar ganz eingestellt wird. Wie soll wertvolles Kulturgut priorisiert werden? Wer muss letztlich den Kopf dafür hinhalten, wenn wertvolle Handschriften, Zeichnungen oder anderes Kulturgut aufgrund starker klimatischer Schwankungen Schaden nehmen? 

Infrastrukturen sichern 

Die drei genannten Krisen – Flüchtlinge, Corona und Energie – die einander überlagern und ineinander übergehen, zeigen vor allem eines, es bedarf dringend einer vorausschauenden Kulturpolitik. Einer Kulturpolitik, die nicht auf Moden setzt. Einer Kulturpolitik, die nicht auf medial gut verbreitbare Projekte oder Events ausgerichtet ist. Einer Kulturpolitik, die sich auch um das vermeintlich Langweilige kümmert. Hierzu gehört, den Investitionsstau endlich abzubauen. Viele Kultureinrichtungen sind in einem so bedauernswerten Zustand, dass man sich fragt, wie die geforderten 15 bis 20 Prozent Energieeinsparung überhaupt geleistet werden sollen. Nachhaltigkeit in der Kultur bedeutet auch nachhaltige Gebäude. Viele Digitalisierungsvorhaben, unterstützt von den Ländern, vom Bundesbildungsministerium, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, von der Kulturstaatsministerin, werkeln im Klein-Klein vor sich hin. Doch wo ist der große gemeinschaftliche Wurf? Und wo wird ernsthaft hinterfragt, welche Vorhaben tatsächlich einen dauerhaften Mehrwert haben und welche nach Ablauf der Förderphase als Ruine zurückbleiben, bis in einem neuen Projekt das Rad wieder neu erfunden wird? Nicht zu vergessen, dass Künstlerinnen und Künstler weder bei den großen kommerziellen Anbietern noch bei den gemeinwohlorientierten tatsächlich ihr Einkommen substanziell aus digitalen Verbreitungswegen bestreiten können. Das ist keine Maschinenstürmerei, sondern einfach eine nüchterne Beobachtung, dass an der Digitalisierung viele verdienen, nur die Urheberinnen und Urheber, die am Anfang der Wertschöpfungskette stehen und das erschaffen, was uns erfreut, viel zu wenig. Womit das nächste Thema benannt ist: die wirtschaftliche Lage der Künstlerinnen und Künstler. Viel wird nachgedacht über Arbeitslosengeld oder vielleicht Kurzarbeitergeld für Künstlerinnen und Künstler, über weitere Stipendien und anderes mehr. Alles ist wichtig, doch eigentlich muss es doch um etwas anderes gehen, nämlich um die angemessene Vergütung künstlerischer Leistungen. Kunst ist auch ein Markt. Zu diesem Markt sollte gehören, dass adäquat vergütet wird und zwar sowohl von der öffentlichen Hand als auch von den Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft.  

Aus dem Kulturbereich heraus gibt es eine Vielzahl von Vorschlägen, wie die genannten und weitere Probleme angegangen werden sollten. Im Deutschen Kulturrat werden sie – teils durchaus kontrovers – diskutiert und schließlich in Positionen verdichtet.  

Auch wenn die Krisen noch andauern und – so steht zu befürchten – weitere hinzukommen, wir müssen im Kulturbereich vor die Welle kommen. Es geht um ein Zukunftsprogramm für die Kultur, das die verschiedenen kulturpolitischen Ebenen in den Blick nimmt und das an der Kompetenz und den Erfahrungen aus dem Kulturbereich ansetzt.  

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2022.