In der Kulturpolitik der grün-schwarzen Landesregierung Baden-Württemberg gab es unlängst einen personellen Karussellwechsel, nachdem Ministerin Theresia Bauer 2022 ihr Amt niedergelegt hatte und bei der Oberbürgermeisterwahl in Heidelberg kandidierte. Nachfolgerin als Ministerin wurde Petra Olschowski, die zuvor Staatssekretärin im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst war. Ins Amt des Staatssekretärs wiederum wurde am 28. September 2022 Arne Braun berufen, der zuvor Regierungssprecher der Landesregierung war. Arne Braun ist Jahrgang 1965, war von 1992 bis 2007 Chefredakteur des Stuttgarter Stadtmagazins »Lift« und hat in dieser Zeit die Lange Nacht der Museen sowie die Stuttgarter Kulturnacht, später Stuttgartnacht, ins Leben gerufen und etabliert. Mit der Wahl von Winfried Kretschmann zum Ministerpräsidenten 2011 wechselte Braun ins Staatsministerium. Sven Scherz-Schade spricht ein halbes Jahr nach Amtsantritt mit ihm.

Sven Scherz-Schade: Herr Braun, Sie sind seit rund sieben Monaten im Amt als Staatssekretär des Kunstministeriums als Nachfolger von Petra Olschowski. Wie läuft’s nach dem ersten halben Jahr?

Arne Braun: Als ich mein Amt Ende September 2022 angetreten hatte, waren mit Blick auf den Winter die Aussichten der Kulturtreibenden eher pessimistisch. Das war das Ergebnis des runden Tisches mit Kulturakteuren, zu dem ich gleich eingeladen hatte. Heute können wir sagen: Was den Winter betrifft, sind wir ganz ordentlich durchgekommen. In meiner Haushaltsrede habe ich im Dezember noch gesagt: »Die Musik spielt – jetzt müsst ihr auch zum Tanzen kommen« – und tatsächlich kommt das Publikum wieder in die Veranstaltungen, weil es einfach dieses überragende Bedürfnis nach Kultur gibt, nach gemeinsamen Erlebnissen und künstlerischen Inhalten. Mir haben die vergangenen Monate erneut gezeigt, wie vielfältig, bunt und hochkarätig die Kulturlandschaft in Baden-Württemberg ist, wie vielseitig sie ist und auf welch hohem Niveau sie sich befindet. Ich bin qua Amt in dieser Zeit viel herumgekommen: Das waren eindrucksvolle Erlebnisse.

Auch Baden-Württemberg steht vor großen kulturpolitischen Aufgaben: Das Bundesland hatte von 2018 bis 2020 einen Dialog »Kulturpolitik für die Zukunft« geführt zu Themenfeldern wie Digitalisierung, kulturelle Teilhabe für alle, neue gesellschaftliche Bündnisse, Kunst und Kultur im ländlichen Raum. Gibt es bei diesem Dialog Kontinuität?

Ja, wir setzen den Dialog fort. Man redet sowieso immer miteinander. Aber darüber hinaus planen wir gezielt Formate zu Themen, etwa im Bereich Popmusik. Im Mai wird dieser »Pop-Dialog« starten und übers Land ziehen. Er soll helfen, aus der Debatte um sogenannte Hoch- und Subkultur herauszukommen. Proberäume, faire Vergütung, Auftrittsmöglichkeiten, musikalische Ausbildung und Anerkennung sind die Themen, über die sich das Ministerium und die Szene ein Jahr lang austauschen werden. Untermalt vom passenden Sound, wie sich versteht. Auch quasi eine Fortsetzung des Dialogs ist meine »Tour de Länd« in den Wochen nach Ostern. Ich habe kreuz und quer durchs ländliche Baden-Württemberg Kulturtreibende besucht und mich informieren und inspirieren lassen. Die Landesregierung will sich für starke ländliche Räume einsetzen. Clubkultur auf dem Land war ein Thema, Mobilität für junge Menschen und vieles mehr. Ein besonderer Fokus der Tour lag zudem auf der ehrenamtlichen Arbeit vieler Menschen für Kunst und Kultur in den ländlichen Räumen. Das Engagement vor Ort ist Labor, Antreiber und Experimentierraum für neue kulturelle Impulse.

Und sind vom genannten Dialog aus der Vergangenheit auch Ergebnisse herausgekommen, die Sie in Ihrer jetzigen Ministerialarbeit wiedertreffen oder umsetzen?

Ja. 2021 wurde das Zentrum für Kulturelle Teilhabe gegründet – ein ganz konkretes Ergebnis des Kulturdialogs. Es fördert Einrichtungen bei der Transformation – hin zu neuen Zielgruppen, neuen Vermittlungswegen, neuen Formaten. Es geht um Vernetzung, Austausch und Expertise. Ziel ist es, kulturelle Teilhabe zu stärken. Dieses Angebot wird von der Kulturszene sehr gut angenommen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beraten bei Anträgen und Zuschüssen, es werden Best-Practice-Einrichtungen oder Projekte zur kulturellen Teilhabe vorgestellt. Alles sehr lebensnah und praxisorientiert.

Bei den Schulen wird allenthalben geklagt, dass die Digitalisierung nur schleppend vorankommt. Wie sieht es bei unseren Kulturinstitutionen aus? Was ist hier die kulturpolitische Aufgabe des Staates?

Die digitale Transformation betrifft die gesamte Gesellschaft in allen Lebensbereichen, und die Kultur hat hier eine Vorbildfunktion – Digitalisierung als Chance und Herausforderung. Die Museen sind vor allem bei der Digitalisierung Vorreiter: nicht immer alles in der Vitrine kredenzen. Meine Frage an alle Kultureinrichtungen lautet grundsätzlich: Für wen macht ihr welche Programme mit welchem Geld zu welchem Zeitpunkt und in welcher Darreichungsform? Diese Fragen sollten überall mitbedacht werden, oft genug münden die Antworten in Möglichkeiten der Digitalisierung. Die Form von vor hundert oder gar nur 20 Jahren muss nicht zwangsläufig so bestehen bleiben. Das verstehen viele Kulturleute als Herausforderung, und so entstehen neue Formate. Das fördern wir. Die z. B. sind mit zusätzlichen Digitalstellen ausgestattet. Viele Programme sind so angelegt, dass sie die Digitalisierung unterstützen.

Um ein Beispiel zu nennen: Das heißt, es wäre nicht Aufgabe des Landes, seine Staatsorchester, Chöre, Ensembles etc. so ausreichend auszustatten, dass dort von Tablets musiziert werden kann?

Das ist eine gute Frage. Ich bezweifele aber, dass es Staatsaufgabe ist, weil Künstlerinnen und Künstler da auch sehr eigen sind. Ich kenne Musikerinnen und Musiker, die gern vom Papier spielen, auch Dirigenten handhaben das unterschiedlich. Da schreiben wir doch nichts vor. Aber andererseits sollten wir Möglichkeiten eröffnen, wo es Sinn ergibt und der Qualität hilft. Eine Pauschalantwort gibt es da nicht. Aber vor allem muss doch die Frage geklärt werden, welchen Inhalt wollen wir digital vermitteln? Die Ausstattung ist ja nur ein Baustein.

Um bei dem Beispiel zu bleiben: Werden angesichts der Theater-Großbaustellen an den Häusern Stuttgart und Karlsruhe Fragen der Digitalisierung überhaupt gestellt?

Die Sanierung der großen Häuser ist das eine. Digitalisierung das andere. Da hat das eine mit dem anderen nichts zu tun. In Karlsruhe laufen die Bauarbeiten bereits, in Stuttgart stehen sie noch an. Da hilft kein Aussitzen oder Wegducken, das packen wir an. Bei der Stuttgarter Opernhaussanierung gibt es konkrete Pläne, die jetzt Stück für Stück abgearbeitet werden, die Projektgesellschaft ist gegründet, der Architekturwettbewerb für die Interimsspielstätte wird im Juni entschieden. Das ist der politische Wille – durch den Grundsatzbeschluss der Stadt Stuttgart und durch die Absichtsbekundung der Landesregierung durch Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Das wird zwar ein kompliziertes Verfahren, aber wir sind dabei, die Stadtgesellschaft mitzunehmen – hier brauchen wir die Unterstützung von allen. Wir begleiten den öffentlichen Prozess aktiv, etwa mit Beteiligungsformaten der Bürgerinnen und Bürger. Ich bin sicher, dass wir die Sanierung zu einem guten Ende führen.

Baden-Württemberg besteht nicht nur aus Metropolen. Wie fördert die Landesregierung die Kultur im ländlichen Raum?

Die meisten Menschen in Baden-Württemberg leben in ländlichen Räumen. Das Land fördert mit erheblichen Mitteln Theater, Konzerte, Festivals und Festspiele, Kinos und die Breitenkultur mit vielen engagierten Bürgerinnen und Bürgern. Und das fördert die Landesregierung ganz gezielt durch Programme wie »FreiRäume«: Leer stehende Räume wie ehemalige Gasthöfe oder stillgelegte Fabrikgebäude werden dabei umgewidmet und für kulturelle Zwecke neu genutzt. Das unterstützen wir. Die Idee der »FreiRäume« wird fortgesetzt, wenn wir weiteren Bedarf erkennen, werden wir dem nachgehen.

Zeitgleich zum Dialog vor drei Jahren wurde auch der »Green Deal im Ländle« für mehr Nachhaltigkeit im Kulturbereich begonnen. Leitungen von Kulturinstitutionen wie Theater, Bibliotheken und Museen haben sich – freiwillig – zu einer Gruppe zusammengeschlossen, um Vorschläge für energiesparsamen und nachhaltigen Betrieb ihrer Häuser zu diskutieren. Was ist daraus geworden?

Für unsere grün geführte Landesregierung ist »Green Culture« ein zentrales politisches Feld. Wir haben im vergangenen Jahr den gleichnamigen Leitfaden für unsere Kultureinrichtungen entwickelt und herausgegeben, was bundesweit großen Anklang gefunden hat. Baden-Württemberg hat hier Anstöße gegeben, etwa beim Eckpunktepapier zum neuen Filmfördergesetz, wo Nachhaltigkeit jetzt eine wichtige Rolle spielt. Das lehnt sich an unser »Green-Shooting-Konzept« für die Filmbranche an. Und grundsätzlich ist es so, dass wir bei den Kultureinrichtungen mit dem Thema offene Türen einrennen. Die wissen, dass sie Vorbild für die Gesellschaft sind und einen Beitrag zum Klimaschutz leisten müssen. Was die Einrichtungen brauchen, ist Hilfestellung, und dafür ist der Leitfaden da.

Es gibt keine Verpflichtung der Häuser, einen Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen, geschweige denn einen standardisierten Nachhaltigkeitsbericht. Insofern kann man überhaupt nicht vergleichen, wer in puncto Nachhaltigkeit besser – oder überhaupt sinnvoll – unterwegs ist. Könnte grüne Politik da nicht Übersicht einfordern?

Das mache ich sicher nicht. Das ist freiwillig und nicht überprüfbar, weil Kultur nicht vergleichbar ist. Die Einrichtungen erstellen Konzepte, die mit uns besprochen und abgestimmt werden, und die Kulturhäuser werden sie umsetzen. Wir erarbeiten derzeit den CO2-Rechner, mit dem die Kulturinstitutionen die Auswirkungen einzelner Schritte berechnen können. Überprüfung würde ja – bis zum Ende gedacht – auch Sanktionierung bedeuten. Die Einsicht und der Wille, voranzugehen, wirken viel stärker.

Künstlerische Innovationen entstehen meist nicht an den großen Kulturtankern, sondern in der Frei-en Szene. Landauf, landab haben wir in der Kulturförderpolitik aber das Problem, dass die meisten Fördermittel gebunden sind, unter anderem für die großen Kulturtanker. Besteht das Problem auch in Baden-Württemberg, und falls ja, steuert das Ministerium hier irgendwie dagegen?

Machen wir, ja – schon immer. Bei den Haushaltsverhandlungen berücksichtigen wir nicht nur die großen Kultureinrichtungen, sondern auch die Freie Szene, die Soziokultur, die freie Tanz- und Theaterszene und vieles mehr. Im Moment gründen sich Kultureinrichtungen neu, aber leider wird der Kuchen, den es zu verteilen gibt, nicht automatisch größer. Ich werde mich bei Finanzminister und Ministerpräsident – die beide Gott sei Dank sehr kulturaffin sind – dafür stark machen, dass auch die neuen Kultureinrichtungen Mittel bekommen. Bei uns gibt es die große Schere zwischen Hoch- und Subkultur oder zwischen Groß- und Kleinkultur nicht! Bei Problemen oder Härtefällen haben wir noch immer Lösungen gefunden.

Das hört sich gut an. Ich bleibe trotzdem noch mal dran mit konkreten Zahlen. Im Vergleich zu anderen Bundesländern gibt das Ländle viel Geld für die Kultur: 581,7 Millionen Euro im Jahr 2023 und 599,3 Millionen Euro im Jahr 2024. Wie viel davon geht an die Freie Szene, also freie Theaterprojekte, Musikensembles, Kunstprojekte etc.? Lässt sich das ermitteln und mal prozentual vergleichen?

Das kann man, aber es macht wenig Sinn. Das Württembergische Staatstheater Stuttgart beispielsweise mit 1.400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist nicht vergleichbar mit einem soziokulturellen Zentrum. Wir haben die Soziokultur mit 6 Millionen Euro bedacht. Wir sind im Jazz- und Pop-Bereich unterstützend unterwegs und auch bei der Freien Szene von Tanz und Theater, dort z. B. mit 9 Millionen Euro. Insgesamt haben wir, seit die Grünen das Land regieren, das Kulturbudget um über 50 Prozent gesteigert. Ich finde, das ist auch eine Nachricht.

Eine kulturförderpolitische Neuerung ist in Baden-Württemberg der Trickfilm. Warum?

Ja, ich verfolge das Ziel, dass sich das Land stärker in der Animationsförderung engagiert. Das Kunstministerium plant, mehr Verantwortung bei der Film und Festival Medien GmbH zu übernehmen, die veranstaltet unter anderem das Trickfilmfestival in Stuttgart, immerhin das zweitgrößte seiner Art weltweit. Wir wollen den Filmbereich aktiv unterstützen – und da die Stärken stärken. Baden-Württemberg ist in Sachen Animation durch das Animationsinstitut der Filmakademie Ludwigsburg und durch das Festival ein starker Standort, deshalb wollen wir hier ein Signal setzen. Damit tragen wir der wachsenden Bedeutung von Kreativwirtschaft Rechnung, das starke Zukunftsfeld gestalten wir mit.

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/2023.