Das DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum ist die größte dem Filmerbe gewidmete Einrichtung in Deutschland und bildet zusammen mit der Stiftung Deutsche Kinemathek in Berlin und dem Bundesarchiv/Filmarchiv den 1978 gegründeten Kinematheksverbund. Er hat die Aufgabe, das nationale Filmerbe zu bewahren und lebendig zu halten.
Das Haupthaus des DFF steht in Frankfurt, einer Stadt, die nach dem Konzept von Stephen Vertovec, Soziologe und Migrationsforscher, als superdivers gilt. Als erste deutsche Großstadt hat Frankfurt am Main 2016 die 50-Prozent-Schwelle überschritten; die Frankfurterinnen und Frankfurter haben also mehrheitlich Migrationserfahrung oder -geschichte, unter sieben Jahren sogar zu 70 Prozent. Die Komplexität, die Vertovec meint, wenn er von Superdiversität spricht, nämlich nicht nur Nationen und Herkünfte, sondern zum Beispiel auch soziale Kategorien, Alter, zunehmend fluide Geschlechtsidentitäten, beeinflusst die Arbeit von Kulturerbe-Einrichtungen. Nachfolgend sollen drei Aspekte mit konkreten Beispielen aus der Arbeit des DFF vorgestellt werden, die ineinandergreifen und Bedingung dafür sind, dass ein junges, vielfältiges Publikum sich für eine Beschäftigung mit kulturellem Erbe interessiert, kulturell überhaupt teilhaben möchte:
Neues Sammeln
Archive sind Orte, an denen Objekte und Unterlagen für die Ewigkeit gesammelt werden. Fragt sich nur: welche und für wen? Als Teilnehmer am Programm »Neues Sammeln« hat das DFF sich vor dem Hintergrund, dass zurzeit schon 50 Prozent der Gesellschaft nicht ins Museum geht, damit beschäftigt, wie es mit einer veränderten Sammlungspraxis künftig für mehr Teilhabegerechtigkeit sorgen kann. Die Prozesse mündeten dann in der Ausstellung »Neue Stimmen. Deutsches Kino seit 2000«. Die Kuratorin und Archivleiterin Eva Hielscher schreibt im Projektbericht durchaus auch desillusioniert: »Trotz des sechsmonatigen Austauschs mit den critical friends fühlt es sich an, als ob gerade erst begonnen wurde, eine gemeinsame Sprache zu finden und sich gemeinsam als Team zu etablieren. Was gebraucht wird, ist ein kontinuierlicher Prozess, um den Weg für eine inklusivere und vielfältigere Sammlung zu ebnen.«
Ein zweites Schlaglicht zum neuen Sammeln: Bei einem Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen aus dem niederländischen EYE, dem nationalen Filminstitut der Niederlande, stellten wir fest, dass in deren 2023 verfassten Collection Policy eine neue Kernaufgabe schriftlich verankert ist: das Kontextualisieren; es steht dort gleichwertig neben dem Sammeln, Bewahren und Ausstellen. Aus der Erfahrung am DFF ist das eine Mindestanforderung eines im diskriminierungskritischen Diskurs sehr geschulten jungen Publikums, der sich Kulturinstitutionen noch viel zu wenig widmen. Wie kann methodisch mit den »schwierigen Filmen« im Erbe umgegangen werden? Gemeint sind hier nicht nur die Filme aus der NS-Zeit, sondern auch beispielsweise Yellow- und Brownfacing oder Orientalismus in der Frühzeit des Kinos.
Neues Erschließen
Wie erschließen wir unsere Bestände angemessen und wie verändert sich diese Angemessenheit im Laufe der Zeit? Bei dem Filmbildungsprojekt »Encounter RWF. Fassbinder Archiv vermitteln« hat das DFF untersucht, was das Werk Rainer Werner Fassbinders Jugendlichen und jungen Erwachsenen von heute zu sagen hat. Neben den Filmen sollte dafür auch die Non-Film-Sammlung produktiv gemacht werden. Seit 2019 verwahrt das DFF den Schriftgutnachlass des wichtigsten deutschen Nachkriegsregisseurs, gleichzeitig kam auch das umfangreiche Text- und Fotoarchiv als Dauerleihgabe der Fassbinder Foundation zum DFF. Das Projekt lud unterschiedliche Menschen für einige Tage in das DFF Archivzentrum. Jan Künemund, Autor, Dozent und Kurator, kam nach seinem Besuch zu dem Schluss: Wie Fassbinders Filme, Stücke und öffentliche Aussagen in der Schwulenszene selbst diskutiert wurden, kann man mithilfe des Materials der offiziellen Fassbinder-Archive nur lückenhaft rekonstruieren, wogegen ein Besuch im Archiv des Schwulen Museums, das 1985 als Bewegungsarchiv gegründet wurde, in kürzester Zeit eine Vielzahl von Texten zutage förderte. In seinem Artikel zitiert er Collin Klugbauer: »Heteronorme Sammlungspraxen führen eben schlicht auch dazu, dass Objekte nicht als relevant für die Versinnbildlichung historisch wichtiger Ereignisse erachtet und damit bisher nicht gesammelt wurden. Es kann auch heißen, dass es sie vielleicht zwar in der Sammlung gibt, sie aber nicht auffindbar sind, weil es keine Verschlagwortung gibt, die sie als queere Objekte erkennbar macht.« Die Jugendlichen, mit denen in Frankfurt zu Fassbinders Werk gearbeitet wurde, interessierten sich aber gerade sehr stark für alle queeren Aspekte.
Das digitale Zugänglichmachen
Eine der zentralen Aufgaben des DFF ist es, sowohl Filme als auch Non-Filmsammlungen einem breiten internationalen Publikum zugänglich zu machen – über den physischen Besuch im Kino oder Archivzentrum hinaus. Das DFF ist in diesem Bereich Vorreiter unter den europäischen Filmerbe-Institutionen. Als Betreiber und Koordinator des European Film Gateway werden hier seit 13 Jahren Daten und digitale Objekte von mittlerweile mehr als 50 europäischen Filmarchiven gesammelt, kuratiert und an die Initiative Europeana weitergeleitet. Als sogenannter »Aggregator« für den Bereich Film ist das DFF damit eine von nur 19 führenden europäischen Einrichtungen, die den entstehenden Datenraum Kultur in Europa maßgebend mitgestalten. Ebenso befördert das DFF als Gründungsmitglied im Kompetenznetzwerk der Deutschen Digitalen Bibliothek die Zugänglichmachung des digitalisierten Kulturguts Film in Deutschland und Europa, insbesondere durch die zentrale Internetplattform filmportal.de. Aus dieser Arbeit ergeben sich aber auch zahlreiche Fragen an die Infrastruktur vor Ort und insgesamt. Die weitere Entwicklung eines europäischen Datenraums für kulturelles Erbe ist angesichts der Kürzungen auch in der EU derzeit gefährdet. Als kulturpolitische Grundlage für die Digitalisierung und Zugänglichmachung ist er aber für die Zukunftsfähigkeit des Sektors kulturelles Erbe unverzichtbar.
Eine weitere gefährdete, wichtige Grundlage unserer Arbeit ist das vom Bund, den Ländern und der Filmförderanstalt aufgelegte »Förderprogramm Filmerbe«, das es dem DFF und anderen Einrichtungen ermöglicht, analoge Filme zu digitalisieren und einem jungen Publikum weiterhin in mittlerweile digital ausgestatteten Kinos überhaupt zugänglich zu machen. Nach Kürzungen des Bundes sind einige Länder ganz ausgestiegen, das hat fatale Folgen.
Abschließend ein kurzes Resümee: Aus der Erfahrung im DFF heraus ergeben sich neue kontinuierliche Querschnittsaufgaben für Institutionen, die mit kulturellem Erbe befasst sind. Um auch künftig eine kulturelle Teilhabe zu ermöglichen und die gesellschaftliche Relevanz von Kulturerbe-Einrichtungen zu erhalten, müssten auch Kulturförderstrategien neu gedacht werden.