Z eitenwende, Einbruch des Realen oder Ende einer Utopie? Das Jahr 2022 lässt viele Beschreibungen, aber nur eine Schlussfolgerung zu: Die großen Herausforderungen und harten Prüfungen der Gegenwart werden wir nur mit Mut, Pragmatismus und Optimismus bewältigen. Unsere Freiheit, Demokratie, ein respektvolles, friedliches Zusammenleben, unsere Werte- und Staatengemeinschaft und unseren Wohlstand werden wir niemals durch Ideologie bewahren, sondern allein indem wir uns verändern und wirksame Antworten finden. Kunst und Kultur, davon bin ich überzeugt, werden immer Teil dieser Antwort sein. Sie stehen für eine im Zweifel ungeschminkte, ehrliche, manchmal auch schmerzhafte Konfrontation mit der Realität und sind damit die besten und ehrlichsten Berater, gerade in der Krise. Zudem können sie noch mehr. Sie leisteten uns Beistand in schwierigen Zeiten. Sie spenden Trost, machen Mut, geben Orientierung, provozieren gesellschaftlichen Diskurs und bauen Brücken über einstmals unüberwindbar geglaubte Gräben. All das zeigt: Wir brauchen Kunst und Kultur mehr denn je. Aber auch sie sind auf uns, auf die Politik, angewiesen.   

Staatsziel Kultur 

Freie Demokraten wissen das. Unser Selbstverständnis als Kulturnation und »Nie wieder« als unverrückbares, erinnerungskulturelles und demokratisches Paradigma stärken unsere Demokratie von innen. Dennoch schweigt sich unser Grundgesetz bisher zu dieser wertvollen Rolle aus. Daher wollen wir Kultur schon länger als Staatsziel in unserer Verfassung verankern. Die Ampel-Koalition gibt uns dazu die Möglichkeit. Und wir gehen damit keinen Sonderweg. Viele Landesverfassungen bekennen sich zum Wert von Kunst und Kultur. Das ist gut, bedeutet aber nicht, dass der Bund darauf verzichten kann. Im Gegenteil: Kultur als Staatsziel verfassungsrechtlich zu verankern, entspricht vielmehr dem immer größer werdenden Stellenwert der Bundeskultur sowie des kulturpolitischen Zusammenspiels von Bund und Ländern. Daher wäre es ein wichtiger Schritt, aber kein Allheilmittel. Es schafft nicht auf Knopfdruck prosperierende Veranstaltungslandschaften, auskömmliche Umsätze oder volle Veranstaltungshäuser. Aber es wird dazu beitragen, dass Kunst und Kultur bei politischen Abwägungsprozessen stärker mitbedacht und gleichberechtigt mit anderen Rechtsgütern abgewogen werden. Das Staatsziel Kultur ist somit ein wichtiges Zeichen an die Kultur- und Kreativwirtschaft: Wir sehen euch, wir schätzen euch, wir stehen an eurer Seite!  

Kultur- und Kreativwirtschaft 

Dieses Bekenntnis wollen wir Freie Demokraten zusätzlich unterstreichen: mit der von uns initiierten Stelle eines Beauftragten der Bundesregierung für Kultur- und Kreativwirtschaft. Ein vielfältiges, freies Kulturleben ist ohne Menschen mit Leidenschaft für Kunst und Kultur nicht denkbar. Ihre inspirierenden Lebensentwürfe stehen für unsere Überzeugung an das Wirken des freien Individuums. Umso schmerzlicher haben wir beobachten müssen, dass es in der Kultur- und Kreativwirtschaft zu einem coronabedingten Umbruch gekommen ist. Viele Menschen haben ihre Ideen und Träume aufgegeben, aus finanziellen Nöten heraus oder aus Verdruss über die Bedingungen. Andere stemmen sich tagtäglich mit Kreativität und Flexibilität gegen hohe Betriebskosten, Rechts- und Planungsunsicherheiten oder Personalmangel. Staat und Politik haben den drittgrößten Wirtschaftszweig unseres Landes zu lange vernachlässigt. Das wollen wir ändern.  

Mit dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur- und Kreativwirtschaft stellen wir sicher, dass die Betroffenen auf ein offenes Ohr in der Bundesregierung zählen können. Zudem streben wir einen Neustart für das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft beim Bund an. Damit schaffen wir einen Hub mit Möglichkeiten für Content- und Businessentwicklung und begründen eine innovative Netzwerkplattform – für Groß und Klein, alte und zukünftige Akteure, Start-ups und etablierte Player. Das Ziel: Begegnung, Austausch, Inspiration und Innovation als gemeinsamen Weg.  

Kompetenzzentrum Digitale Kultur 

So wie die Digitalisierung unseren Alltag und unsere Kommunikation verändert, so beeinflusst sie auch Kunst und Kultur. Ob NFT-Kunst, Blockchain-Literatur oder Fragen der Teilhabe – digitale Kultur ist allgegenwärtig und hat neue kulturelle Bedürfnisse geschaffen. Die Coronapandemie hat diese Entwicklung noch einmal beschleunigt. Als Freie Demokraten sehen wir diese fundamentalen Entwicklungen und wollen sie durch die richtigen politischen Voraussetzungen konstruktiv begleiten. Digitale Kultur ist kein bloßer Ersatz von Präsenzformaten. Sie ist eine neue Kunstform, ein neues Standbein, kreative Ausdrucksform einer technikaffinen Gesellschaft und zugleich ein digitaler Ort der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Dies wollen und müssen wir im Kompetenzzentrum Digitale Kultur strukturell abbilden und im digitalen Zeitalter mit einem globalen Ansatz versehen. Wir setzen auf ein Miteinander oder wie es im Koalitionsvertrag heißt: Kultur mit allen ermöglichen! Das bedeutet, Kulturschaffende an einem Ort zusammenzubringen, zu vernetzen, zu beraten und Weiterbildung zu ermöglichen. Dafür schaffen wir mit dem Kompetenzzentrum für Digitale Kultur einen Ort des Lernens und des Austausches, der Erfolg begünstigt und Menschen ermutigt, ihre Ideen zu verwirklichen.  

Filmpolitik 

Die Digitalisierung macht auch vor dem Medium Film nicht Halt. Veränderte Sehgewohnheiten wie technische Innovationen verändern Film und Fernsehen nachhaltig. Davon sind international hoch angesehene Produktionsstandorte wie die Filmstudios Babelsberg und Bavaria, aber auch die zahlreichen VirtualFX-Studios betroffen. Sie befinden sich nicht nur im globalen, sondern auch im innereuropäischen Wettbewerb und brauchen Planungs- und Rechtssicherheit für Großproduktionen, die ihnen andere Standorte schon heute bieten. Daher setzen wir uns dafür ein, Wettbewerbshindernisse und Standortnachteile für Kulturschaffende durch ein modernes Regelwerk endlich aus dem Weg zu räumen. Erstklassige Filmfestivals und volle Kinosäle benötigen auch erstklassige Filme »Made in Germany«. Eine Förderung über Haushaltstöpfe, die jährlich unterschiedlich gefüllt sein können, sowie der Verweis auf »first come – first serve« sind aus der Zeit gefallen. Mit einem filmpolitischen Update durch steuerliche Anreizmodelle schaffen wir nicht nur die dringend notwendige Verlässlichkeit für Filmschaffende. Wir sorgen zugleich für einen diskriminierungsfreien Zugang zu Förderangeboten und stärken so den Filmstandort Deutschland. Gerade in fiskalisch unsicheren Zeiten geben solche Modelle zusätzliche Sicherheit, da sie vom Staatshaushalt unabhängig sind. Diese Sicherheit und Planbarkeit schafft Verlässlichkeit für die umgebenden Gewerke der Filmproduktion und führen zu dringend benötigten Fachkräftezuwächsen vor und abseits der Kamera – von Bühnenbauern über Make-up-Design bis hin zur Beleuchterin oder Cutterin.   

Informierte, weltoffene Gesellschaft 

Unsere Demokratie kann ohne eine informierte und weltoffene Gesellschaft nicht funktionieren. Die Freiheit der politischen Meinungsbildung ist vitale Voraussetzung für unser Miteinander und zugleich ohne freie und unabhängige Medien unvorstellbar. Das gleichzeitige Bestehen von privatem und öffentlich-rechtlichem Rundfunk schafft die dafür notwendige Vielfalt in einer sich permanent verändernden Gesellschaft. Unsere medienpolitische Aufgabe besteht darin, die vielen Handlungs- und Regulierungsebenen in Einklang zu bringen – und dabei unsere staatsferne Medienaufsicht abzusichern. Die beiden Ökosysteme Rundfunk und Presse müssen endlich austariert und die Voraussetzungen für kritischen Journalismus gestärkt werden. Unsere Vorschläge dafür liegen auf dem Tisch: ein Presseauskunftsrecht auf Bundesebene, die Stärkung der Verlagslandschaft und eine entschiedene, rechtsstaatliche Verfolgung von Übergriffen auf Medienschaffende.  

Zu einer weltoffenen, informierten Gesellschaft gehört auch die kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, um Gegenwart und Zukunft positiv gestalten zu können. Eine moderne Erinnerungskultur spielt dabei eine herausragende Rolle. Daher forcieren wir Freie Demokraten die Reform des Gedenkstättenkonzepts des Bundes. Wir wollen mit ihr unsere vielfältige Gedenkstättenlandschaft stärken, moderne Vermittlungsmethoden am Puls der Zeit einführen und so dazu beitragen, dass eine aktive Erinnerungskultur in unserer sich immer schneller verändernden Gesellschaft als tragende Konstante auch in Zukunft erhalten bleibt.  

Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik 

»Kultur mit allen« ist nicht allein Leitmotiv unseres gemeinsamen Koalitionsvertrages. Es ist die Voraussetzung für ein friedliches Miteinander in unserer Gesellschaft und mit unseren Nachbarn. Gemeinsam mit unseren Partnern in der Europäischen Union und darüber hinaus müssen wir Wege finden, Freiräume für Dialog und Diskurs, für Kreativität und Verständigung zu schaffen – mit Medien, Kunst und Kultur im Mittelpunkt.  

Mit starken Kulturmittlern wie dem Goethe-Institut, dem Deutschen Archäologischen Institut oder der Deutschen Welle mit ihrer Akademie etablieren wir überzeugende Botschafter europäischer Werte. Die letzten Jahre haben uns schmerzlich gezeigt, dass sie nicht selbstverständlich sind. Dass Demokratie und demokratische Werte immer wieder aufs Neue begründet und verteidigt werden müssen, gegen Demokratiefeinde im Innern wie gegen autoritäre Staaten von außen. Als Teil der Europäischen Union ist es Aufgabe unserer Kultur- und Bildungspolitik, darauf mit Kreativität und demokratischem Diskurs zu reagieren und zugleich Propaganda, Desinformation, Hass und Hetze wie auch der Zerstörung von Kulturgütern und kulturellen Identitäten den Kampf anzusagen.  

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2022 – 1/2023.