Laut Presseerklärung vom 13. März 2024 streben die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), die Länder und kommunalen Spitzenverbände an, »an die Stelle der bisherigen Beratenden Kommission eine Schiedsgerichtsbarkeit zu setzen«. Damit werde die Möglichkeit zur einseitigen Verfahrenseinleitung gegenüber öffentlichen kulturgutbewahrenden Stellen eröffnet. Grundlage für die Tätigkeit der einzurichtenden Schiedsgerichtsbarkeit sollen ein »ausdifferenzierter Bewertungsrahmen und eine neue Verfahrensordnung« sein. Die Provenienzforschung soll gestärkt werden.
In der aktuellen Koalitionsvereinbarung der amtierenden Bundesregierung ist demgegenüber ausdrücklich von einer Stärkung der Beratenden Kommission die Rede. Statt einer Stärkung soll es nun nach der Vorstellung des Bundes, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Abschaffung der Beratenden Kommission kommen, was als wichtiger Schritt für ein »beschleunigtes und transparentes Restitutionsverfahren in Deutschland« gefeiert wird.
Auch wenn Einzelheiten des Konzepts einer Schiedsgerichtsbarkeit noch offen oder unbekannt sind, so stellt sich doch schon jetzt die Frage nach dem Nutzen eines solchen »Systemwechsels«, insbesondere für die Nachkommen der NS-verfolgungsbedingt geschädigten Opfer. Sicherlich stellt die Möglichkeit der einseitigen Verfahrenseinleitung seitens der Opfer beziehungsweise ihrer Nachkommen einen wesentlichen Vorteil für die Antragsteller dar. Denn das gegenwärtige Mediationsverfahren vor der Beratenden Kommission hat konsequenterweise die Zustimmung beider Seiten zur Voraussetzung. Aber auch und gerade eine Schiedsvereinbarung setzt eigentlich die zweiseitige Verfahrenszustimmung voraus. Eine offenbar geplante und gewollte obligatorische Unterwerfung öffentlicher kulturgutbewahrender Stellen unter eine Schiedsvereinbarung müsste mithin durch eine ausdrückliche rechtsverbindliche Regelung eingeführt werden. Das wirft die Frage auf, ob man eine solche Regelung nicht auch bei einem Fortbestand der Kommission hätte erreichen können. Das wäre dann wirklich eine Realisierung der ursprünglich aufgestellten Forderung nach einer »Stärkung der Beratenden Kommission«, aus der dann anstelle einer beratenden wohl eine entscheidende Kommission werden würde. Dieser Weg wäre meines Erachtens nicht nur der einfachere und schnellere, sondern auch ein Weg, über zwei Jahrzehnte in der Beratenden Kommission erworbenen Sachverstand und das dort gesammelte Erfahrungswissen zu nutzen, anstatt den nunmehr offenbar gewollten »Sprung ins Ungewisse« einzuleiten. Völlig offen ist dabei auch, wer die mit einer Schiedsgerichtsbarkeit verbundenen erheblichen zusätzlichen Kosten tragen soll.
Für die Opfer und deren Nachkommen scheint ein Verfahren der Schiedsgerichtsbarkeit vor allem aber schon deswegen kein Fortschritt, sondern eher ein Rückschritt zu sein, weil das Verfahren und die für ein Schiedsgericht geltenden materiellen Bewertungs- oder Beurteilungsregelungen offenbar einseitig von den staatlich-administrativen Stellen festgelegt werden sollen. Dies wäre nicht nur politisch fatal und im Hinblick auf die Belange der Opfer höchst unangemessen, sondern würde letztlich auch dem Gedanken eines einvernehmlich durchgeführten Schiedsverfahrens widersprechen. Einseitig staatlicherseits festgelegte Beurteilungs- und Bewertungsregeln wären auch keine demokratisch und parlamentarisch hinreichend legitimierten rechtsverbindlichen Normen, sondern einseitig administrativ festgelegtes »Soft Law«, das die Kläger in einem Schiedsverfahren gewissermaßen als Diktat der Gegenseite hinzunehmen hätten. Offen ist überdies, wer über die Zusammensetzung des schiedsgerichtlichen Spruchkörpers zu befinden hat. Wäre das letztlich auch wieder die staatliche Seite, dann würde dies dem Gedanken eines Schiedsverfahrens gleichfalls widersprechen. Jedenfalls sähe ein Verfahren, das auf einen gerechten und fairen Interessenausgleich zwischen den Parteien ausgerichtet ist, anders aus. Der Hinweis, dass mehr »Neutralität« und »Unparteilichkeit« mit der Einführung einer Schiedsgerichtsbarkeit angestrebt werde, bedeutet unausgesprochen den Vorwurf einer Parteilichkeit der Beratenden Kommission, was abwegig ist. Soll damit etwa der Umstand gerügt werden, dass der Beratenden Kommission derzeit zwei jüdische Mitglieder angehören? Will man mehr »Neutralität« gegenüber der Opferseite mit mehr Abhängigkeit von staatlicher Seite, also von den Antragsgegnern, ausgleichen?
Auflösung und Ablösung der Beratenden Kommission und ihre Ersetzung durch Schiedsgerichte erscheinen alles in allem für die Opfer beziehungsweise ihre Nachkommen eher von Nachteil zu sein. Vorteile ergeben sich offenbar allein für die öffentlichen kulturgutbewahrenden Stellen und ihre öffentlich-rechtlichen Träger. So hört man unter vorgehaltener Hand auch die Kritik, die Kommission solle deshalb abgeschafft werden, weil sie aus Sicht der staatlichen Stellen zu »restitutionsfreudig« entschieden habe. Auch wenn diese Vermutung überzogen, sie jedenfalls nicht belegbar ist, so ist die neuerliche Entwicklung in Deutschland, immerhin dem Land der damaligen Täter, im internationalen Erscheinungsbild höchst fatal und negativ. Der sich nahezu aufdrängende Weg einer rechtsverbindlich ausgestalteten Restitution in Deutschland, unter Fortentwicklung der Verfahren vor einer unabhängigen Kommission, wird vorschnell und ohne überzeugenden Grund verworfen. Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände wollen offensichtlich an der höchst unzulänglichen Form einer Ausgestaltung der Restitution mithilfe eines rechtlich unverbindlichen »Soft Law« festhalten, übrigens eine schon deshalb höchst unzulängliche Lösung, weil die jetzigen privaten Eigentümer von Kulturgütern nach wie vor außen vor blieben.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 9/2024.
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In der Ausgabe 12/23 · 1/24 von Politik & Kultur hieß der Schwerpunkt »Umgang mit NS-Raubgut. 25 Jahre Washingtoner Erklärung«.