Die Auseinandersetzung mit Rassismus ist immer auch ein Kampf der Worte, nicht selten ein Ringen um Wörter. Ich finde es wichtig, dies nicht allein als einen Kulturkonflikt zu verstehen, was sich zwar nicht ganz vermeiden lässt, aber zu oft in sterile Unversöhnlichkeiten führt. Interessanter erscheint es mir, die Suche nach einer nichtrassistischen Sprache auch als eine kreative Aufgabe anzunehmen. Ihr wird man am ehesten mit Neugierde, Spielfreude, Sensibilität, Gesprächsbereitschaft und Toleranz gerecht.
Das lässt sich an einer überraschenden kirchlichen Parallele zu aktuellen Diskussionen über das Grundgesetz zeigen. Es wird bekanntlich darüber debattiert, ob die Verwendung des Wortes »Rasse« im Zusammenhang der Grundrechte nicht ein Problem darstelle. Zwar will das Grundgesetz die Diskriminierung von Menschen aufgrund »ihrer Rasse« verhindern. Aber indem es dieses Wort benutze, so die Kritik, setze es voraus, dass es so etwas wie Rassen als quasi-biologische Tatsachen gebe – was eben das gedankliche Fundament von Rassismus sei. Muss also das Grundgesetz an dieser Stelle umformuliert werden?
Dazu passt eine Diskussion um das Versöhnungsgebet der Nagelkreuzgemeinschaft. Diese wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, um zerstörte Kirchen in ehemals verfeindeten Nationen miteinander zu verbinden. Diese Friedensinitiative ging von der Kathedrale in Coventry aus und fand im dort gestalteten Nagelkreuz ihr völkerverbindendes Symbol. Inzwischen gehören ihr in Deutschland 63 Kirchen an, z. B. die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin, die Hauptkirche St. Nikolai in Hamburg oder die Frauenkirche in Dresden.
Verbunden sind die europäischen Nagelkreuzkirchen durch ein Gebet, das 1959 in Coventry formuliert und anschließend in viele Sprachen übersetzt wurde. Dieses Gebet, das regelmäßig an Gedenktagen gesprochen wird, beginnt mit der Bitte an Gott, »den Hass, der Rasse von Rasse trennt, Volk von Volk, Klasse von Klasse«, zu vergeben. Fast ein halbes Jahrhundert wurde dies gebetet, ohne dass jemand daran Anstoß genommen hätte. Doch jetzt erklären jüngere Mitglieder der Nagelkreuzgemeinschaft, dass sie dies nicht länger mitsprechen könnten. Ihre Argumente sind dieselben, die sich gegen besagte Passage im Grundgesetz richten.
Doch wie ändert man ein traditionsreiches Gebet so, dass einerseits einem veränderten Problembewusstsein, aber auch den rituellen Anforderungen Rechnung getragen wird. Das ist gar nicht so leicht, denn es genügt nicht, einfach etwas zu streichen. So ist es noch kein Anzeichen halsstarriger Konservativität, wenn man sich vor einer flinken Neuformulierung scheut. Denn dieses Gebet ist der Identitätskern einer Gemeinschaft, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verbindet. Und Tradition ist, nach einem Wort G. K. Chestertons, die einzige Demokratie, in der auch die Toten ein Stimmrecht haben. Zudem ist die deutsche Variante Teil einer mehrsprachigen Gemeinschaft, weshalb man von unabgestimmten Sonderwegen absehen sollte. Interessanterweise wird in anderen Sprachen »race« nicht immer als so problematisch wahrgenommen wie im Deutschen. Schließlich sollte eine neue Fassung eine liturgische Schlichtheit und poetische Eindrücklichkeit besitzen, weshalb sich gut gemeinte Umständlichkeiten verbieten.
Andererseits, was nützt ein Gebet, bei dessen erster Zeile die Jüngeren aussteigen oder langatmige Erklärungen bräuchten. Ein Gebet soll seiner Gemeinde dienen und nicht umgekehrt. Übrigens ist nicht nur das Wort »Rasse« problematisch. Es ließe sich auch fragen, ob die sozialen Konflikte von heute mit dem Begriff der »Klasse« angemessen angesprochen sind. Und warum fehlen die Gender-Konflikte, die die Gegenwart bestimmen?
Über diese Fragen ist eine intensive Debatte entstanden. Wohin sie führen wird, kann ich noch nicht absehen. Aber schon jetzt zeigt sich, dass sie zu einer vertieften Neubesinnung über den Sinn und die Gestalt eines Gebets geführt hat. Entsprechendes wünschte ich mir von der Diskussion über das Grundgesetz.