Der Bericht »Grenzen des Wachstums« des Club of Rome war für mich in vieler Hinsicht wegweisend. Er machte eindringlich deutlich, dass das Handeln der Menschen, wenn nicht rechtzeitig umgesteuert wird, in eine weltweite Umweltkatastrophe führt. Sie war ein Weckruf, die Umweltzerstörung zu beenden, und sie war ein Aufruf, das Bevölkerungswachstum mit mehr Geburtenkontrolle zu bremsen. Ein Thema, das in heutigen Debatten erstaunlicher­weise kaum noch eine Rolle spielt. Als ich geboren wurde, 1961, lebten auf der Erde etwas mehr als drei Milliarden Menschen. Im Jahr, in dem der Bericht »Grenzen des Wachstums« erschien, 1972, waren es schon fast vier Milliarden Menschen. Heute, 50 Jahre später, leben fast acht Milliarden Menschen auf der Erde. Neben dem schonungslosen globalen Wirtschaften ist die Bevölkerungsexplosion einer der zentralen Auslöser der Umweltkrise, in der wir uns befinden.

Die Auseinandersetzung mit der Natur und damit auch mit den Folgen der Umweltzerstörung beschäftigt mich als leidenschaftlichen Naturbeobachter bereits mein gesamtes Leben. Und obwohl unbestritten in den vergangenen 50 Jahren einiges erreicht wurde, scheint es so zu sein, als würde die Zeit zum Handeln immer schneller ablaufen. Ähnlich dem Sand in einer Sanduhr, der, wenn sich das Ende nähert, immer schneller durch den Trichter zu laufen scheint. Wer mit offenen Augen die Natur beobachtet, sieht die dramatischen Veränderungen.

Bei allem Einsatz gegen Naturzerstörung und dafür, Grenzen des Wachstums zu markieren, muss sich auch der Kulturbereich fragen, ob das Wachstum nicht auch hier seine Grenzen hat. Immer mehr Menschen wollen von der Kultur leben. In der Kultur- und Kreativwirtschaft ist das Umsatzwachstum das Kriterium, um Erfolg zu messen. Es wird sich verglichen mit dem Fahrzeugbau und der Maschinenbauindustrie, um die eigene Relevanz am Umsatzvolumen und vor allem am Beitrag der Bruttowertschöpfung aufzuzeigen. Mehr Spielstätten, mehr Zuschauerinnen und Zuschauer, mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmer, mehr Verkäufe sind scheinbar die Kriterien, um Erfolg zu beschreiben. Fast jede Messe muss mit einem Publikums- und Umsatzgewinn enden. Öffentliche Kultureinrichtungen brauchen mehr und am besten ungewöhnliche Orte, um die Arbeiten zu zeigen, Orte zu transformieren, sie umzunutzen. So manche alte Fabrikhalle, die unter Klimagesichtspunkten längst verschrottet sein sollte, öffnet ihre Türen für die Kultur bzw. wird zu einem neuen Kulturort. Designerinnen und Designer entwerfen immer neue Formen für Produkte, die niemand braucht. Einige Teilmärkte der Kultur- und Kreativwirtschaft gehören in das perfide Spiel um immer mehr Wachstum – mehr Modekollektionen pro Jahr, mehr Werbung, mehr neue Verpackung für das immer Gleiche.

Ja, auch die Nachhaltigkeitsdebatte hat im Kulturbereich Einzug gehalten. Nachhaltigkeitsagenten sollen in Kulturinstitutionen beim Umdenken und vor allem verändertem Handeln helfen. Betriebsökologische Ziele waren schon in der letzten Wahlperiode Teil der Erfolgskontrolle bei von der Kulturstaatsministerin geförderten Institutionen. Die Kulturstiftung des Bundes hat das Programm »Zero« aufgelegt, das Kultureinrichtungen die Chance bietet, sich mit dem Klimawandel auseinanderzusetzen und vor allem das eigene Handeln stärker an ökologischen Nachhaltigkeitszielen auszurichten. Die Kulturstaatsministerin will zusätzlich mit »Green Culture« einen eigenen Akzent zu dem Thema in dieser Wahlperiode setzen.

Vieles wird derzeit auf den Weg gebracht, für mich gehört zu dieser Reflexion dazu, selbstkritisch zu fragen, ob es nicht auch Wachstumsgrenzen für den Kulturbetrieb gibt –und so es denn so sein sollte, wie damit umgegangen werden sollte. Ich bin fest davon überzeugt, dass ein immer mehr auch in der Kultur infrage gestellt werden sollte.

Während ich diesen Kommentar schreibe, melden die Agenturen, dass im Osten der Antarktis in den vergangenen Tagen ungewöhnlich hohe Temperaturen gemessen wurden, die, Experten zufolge, fast 40 Grad Celsius höher waren als für die Jahreszeit üblich. So ist die Lage, die Zeit läuft ab.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2022.