Die diesjährigen Landtagswahlen in östlichen Bundesländern könnten nicht zuletzt von der Durchschlagskraft einer Floskel bestimmt werden. Da sie ein Symptom ost-westdeutscher Verständigungsprobleme ist, lohnt eine genauere Betrachtung. Die Floskel lautet: »Das ist ja wie in der DDR.« Was wird mit ihr ausgesagt? Und wozu wird sie benutzt?

Untersuchte man die Floskel nur auf ihren Sachgehalt, wäre man schnell mit ihr fertig. Denn heute ist nichts wie in der DDR. Es verwundert deshalb, wenn manche unzufriedene Ostdeutsche sie benutzen. Kennen sie die kategorialen Unterschiede zwischen Diktatur und Demokratie nicht? Man mag sich über die Ampelkoalition erregen, wie man möchte, und sollte doch einsehen, dass »Mauer«, »Schießbefehl«, »Jugendwerkhof«, »Hoheneck« oder »Zersetzung« etwas anzeigen, was sich mit heutigen Problemen nicht vergleichen lässt. Also kann man es sich leicht machen und jedem, der behauptet, es sei heute wie in der DDR, antworten: »Nein, ist es nicht.«

Dann hätte man jedoch übersehen, dass Floskeln weniger einen Sachverhalt versprachlichen sollen, als dass sie kommunikative Werkzeuge oder Waffen im Meinungsstreit sind. In dieser Hinsicht wird die für sich genommen unsinnige Floskel interessant. »Das ist ja wie in der DDR!« Was tut jemand, der dies über einen aktuellen politischen Vorgang sagt?

Zunächst stellt er dasjenige, was er als Problem markiert, in ein Jenseits jeder Legitimität. Er kritisiert nicht nur ein Defizit oder einen Fehler, wie sie in einer demokratischen Ordnung auftreten können, vielmehr stellt er sie außerhalb dieses Rahmens. Damit behauptet er, dass sie nicht mit den üblichen Mitteln kritisiert, verbessert, ersetzt oder einem neuen Kompromiss zugeführt werden können. Man kann dann nur noch Widerstand leisten. Durch die Gleichsetzung eines demokratischen Problems mit Diktaturunrecht wird also die demokratische Auseinandersetzung beendet.

Zugleich entzieht man denen, die man als Träger eines Problems identifiziert hat, über das man sich gerade ärgert, die Legitimität. Dass die verantwortlichen Regierungsvertreter in einem demokratischen Verfahren gewählt wurden und ihre mehr oder weniger überzeugenden Initiativen in rechtsstaatlich geregelten Verfahren durchzusetzen versuchen, muss einen dann nicht mehr interessieren. Man hat sie ja mit Diktatoren gleichgesetzt. Dass ein solches Diskursverhalten demokratische Standards unterschreitet, muss einen ebenso wenig bekümmern. Denn durch den DDR-Vergleich kann man sich selbst als den eigentlichen Demokraten präsentieren.

Wer den politischen Gegner so ins Abseits stellt und fundamental beschämt, kann sich selbst aus einer Position der Unterlegenheit in eine der Überlegenheit befördern. Denn wer den Zauberspruch sagt, erweist sich als der, der tiefer blickt, den Schein durchschaut und die Herrschenden entlarvt. Darin muss ein gewisser Genuss liegen: die Lust des Ressentiments.

Auffällig ist, dass als entscheidender Faktor ein höchstpersönliches Gefühl installiert wird. Es geht ja nicht um einen historisch fundierten Vergleich, sondern um eine ureigene Erinnerung: »Ich fühle mich an meine Erfahrungen in der DDR erinnert.« Über Erinnerungen aber kann man nicht streiten. Denn in ihnen verschmelzen tatsächliche und vermeintliche Erfahrungen mit subjektiven Deutungen und intimsten Gefühlen. Das kann man als Gesprächspartner ohne DDR-Erinnerungen nur stumm zur Kenntnis nehmen. Nicht zuletzt darin liegt wohl der Erfolg der Floskel: Sie verschafft denjenigen Ostdeutschen, die sich im öffentlichen Gespräch marginalisiert fühlen, die alleinige Diskurshoheit – aufgrund eines mächtigen moralischen Gefühls.

Nun weist selbst die problematischste Floskel auf etwas hin. Sonst könnte sie nicht erfolgreich sein. Mir scheint, dass die »Wie in der DDR«-Rede anzeigt, wie wichtig es wäre, wenn wir uns mehr dafür interessierten, welche politischen Lebenserfahrungen unsere Debatten-Partner geprägt haben. Darüber nichtmanipulative Gespräche zu führen, würde nicht gleich die Welt retten, wäre aber ein erster Schritt zu einer besseren demokratischen Kultur.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2024.