Die Direktorin und Geschäftsführerin der Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss zieht im Gespräch mit Cornelie Kunkat ein erstes Resümee anlässlich ihres zehnjährigen Dienstjubiläums.

Cornelie Kunkat: Sie sind seit zehn Jahren Direktorin und Geschäftsführerin der Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel. Hatten Sie mit Antritt der Stelle einen realistischen Blick auf die vor Ihnen liegende Aufgabe? Was waren rückblickend die größten Herausforderungen?

Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss: Ich hatte auf jeden Fall sehr großen Respekt vor dieser Führungsposition, schließlich war ich mit Anfang 30 noch relativ jung. Das Team hat mir den Start tatsächlich leicht gemacht, einige langjährige Mitarbeitende haben mich sehr unterstützt. Das hat mir geholfen. Und ich habe mir anfangs auch einen Coach zur Seite genommen, um erste strukturelle Veränderungen peu à peu und gut koordiniert vorzunehmen. Herausforderungen standen dann immer wieder für mich an, z. B.: Wie andere Kultureinrichtungen auch hat die Bundesakademie hier und da mit finanziellen Kürzungen zu tun, es ist zudem nicht einfach, gutes Personal zu bekommen und das Haus stärker zu diversifizieren. Diesbezüglich ist der Standort Wolfenbüttel eine wirkliche Herausforderung. Dann habe ich in diesen zehn Jahren zwei Kinder bekommen. Auch das war für mich persönlich eine Herausforderung, meine Rolle als Mutter mit meiner beruflichen Leitungsfunktion gut zu vereinbaren. Ja, und dann war jetzt natürlich die Umstellung unseres Programms auf Online-Veranstaltungen wegen der Pandemie eine Aufgabe. Schließlich mussten wir im letzten Herbst aus unserem Standort im Schloss aus- und aufgrund von Bauarbeiten für ein knappes Jahr in eine Interimsliegenschaft einziehen, die wir organisieren und finanzieren mussten. Also die Herausforderungen nehmen nicht ab. Aber das ist auch genau das, was diese Tätigkeit spannend macht.

Können Sie kurz sagen, von wie vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Sie sprechen? Konnten Sie in Ihren zehn Jahren Personal aufstocken?

Ja, wir haben deutlich aufgestockt. Im Moment sind wir bei gut 30 Mitarbeitenden an der Bundesakademie, in verschiedenen Bereichen: Hauswirtschaft, Haustechnik, Verwaltung sowie inhaltliche Programm- und Projektgestaltung.

Auf welche Umgestaltung Ihrerseits blicken Sie mit größtem Stolz zurück?

Bevor ich an die Bundesakademie kam, hat die Akademie neben dem eigentlichen Programm kaum Projekte mit inhaltlich besonderem Schwerpunkt durchgeführt. Ich habe dann angefangen, größere Projekte an die Bundesakademie zu holen, was aus meiner Sicht viele positive Auswirkungen hatte: Wir sind nun in der Förderlandschaft besser vernetzt und haben bundesweit eine stärkere Sichtbarkeit z. B. durch Kooperationen mit der Kulturstiftung des Bundes, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, aber auch regionalen Förderern bekommen. Intern war der positive Effekt, dass wir leichter junges Personal akquirieren konnten, wodurch das Team eine ganz neue Dynamik bekommen hat. Zunächst aber hatte ich mit vielen Widerständen bei der Einführung dieser Projekte zu kämpfen: Unter den Mitarbeitenden gab es Zweifel, ob das wirklich der richtige Weg sei und ob wir uns da nicht verzetteln. Dieser, ja, ich würde fast sagen, Kampf hielt einige Jahre lang an. Langsam ernten wir aber glücklicherweise die Früchte, und die Projekte und die Programmleitungen arbeiten enger zusammen – darauf bin ich stolz.

Können Sie ein Beispiel für ein solches Projekt nennen?

Gern. Ein aktuelles Beispiel ist die Qualifizierungsreihe für die Projektträgerinnen und -träger im Programm »dive in.« der Kulturstiftung des Bundes, in der es um digitale Interaktionen geht. Wir bieten in diesem Rahmen Online-Veranstaltungen zu digitaler Kulturvermittlung oder zu digitalen Arbeitskulturen an, die die Projektträgerinnen und -träger optimal bei ihrer Aufgabe unterstützen sollen, Kultureinrichtungen und Vermittlung auch sinnvoll digital zu realisieren. Zwei junge Mitarbeitende treiben dieses Projekt mit viel Elan und Know-how voran und bringen aufgrund ihres Alters noch mal eine ganz neue Perspektive ein. Dieses Qualifizierungsangebot befruchtet insofern auch alle anderen Veranstaltungen im Haus, wir lernen voneinander und schaffen eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten.

Welche Aufgaben stehen jetzt primär an?

Ich habe ich mich entschlossen, selbst eine Weiterbildung zur »Transformationsmanagerin nachhaltige Kultur« zu machen, um betriebsökologisches Wissen noch stärker in die Arbeit der Bundesakademie einfließen zu lassen. Kultureinrichtungen sollten in sozialer, ökonomischer und vor allem ökologischer Hinsicht nachhaltiger werden. Wir haben an der Bundesakademie hierzu schon einiges gemacht, aber da ist noch viel Luft nach oben. Diesbezüglich das ganze Haus mitzunehmen, d. h. in allen Bereichen das Thema zu berücksichtigen und transparent zu machen, wie wir es bereits beim Thema Diversität gemacht haben und bei der Digitalisierung dran sind, das ist wirklich eine umfassende Entwicklungsaufgabe.

Das kann ich mir gut vorstellen. Jetzt eine spezifischere Frage: Das Programmheft für die erste Hälfte 2022 steht unter dem Motto »Verpackung«. Ihr Beitrag »Ent-zipped« beschreibt, dass kulturelle Bildung oft viel mehr umfasst, als man erwarten würde – in gewisser Weise der Schlüssel zur Aktivierung der eigenen Macht sein kann. Können Sie hier ein Beispiel nennen, was also unter »Ent-zipped« für Veranstaltungsformate fallen?

Wir erleben das immer wieder, dass die Teilnehmenden uns spiegeln, dass sie gestärkt von Wolfenbüttel wegfahren und höchst motiviert sind, in ihren Einrichtungen oder in ihrer kulturellen Vermittlungsarbeit neue Wege zu beschreiten. Diese Kraft resultiert vor allem aus der hier erlebten ästhetischen Praxis und aus dem Netzwerk, das sich automatisch bildet. Natürlich kann man sich kognitiv Wissen aneignen, aber konkrete Erfahrungen zu machen, sich auszuprobieren, das geht eben nur in einem geschützten Raum. Der Umgang mit den Künsten geht nicht theoretisch, da ist man immer mittendrin, das ist körperlich, das geht nah. An mir erlebe ich diese Prozesse auch. Ich beschäftige mich laienmäßig schon mein ganzes Leben mit den Künsten, spiele z. B. drei Instrumente, singe in einem Chor und habe getanzt, Theater gespielt.

Diese ästhetischen Praktiken sind für mich Gamechanger: Wenn ich von einer Chorprobe komme, dann sehe ich die Welt wieder mit anderen Augen. Ich werde geistig offener, allein durch diese leibliche Erfahrung des Atmens, des Singens. Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass die Künste eine unglaublich große Wirkmacht auf uns haben. Sie enthalten das Potenzial, uns Anschub zu geben, uns aktiv einbringen zu wollen. Gerade in der Pandemie ist dies ja so wichtig, weil man eher lethargisch wird und manchmal das Gefühl hat, man erleidet das alles nur noch und kann selbst kaum positiven Einfluss nehmen. Dies bezüglich wird künstlerische Praxis zu einem Aufweckmoment, einem Gamechanger, wie ich es nenne.

Wer sind die Besucherinnen und Besucher, die an Ihren Programmen teilnehmen? Wo wünschen Sie sich noch neue Klientel zu erschließen?

Also in den letzten Jahren können wir mit Stolz sagen, dass das Publikum der Bundesakademie immer jünger geworden ist, auch durch die Kooperationen mit Hochschulen. Wir haben also auch Studierende bei uns. Aber grundsätzlich sind wir natürlich ein Haus, das sich an Menschen in der aktiven beruflichen Phase richtet, weil wir eine berufliche Fort- und Weiterbildungsstätte sind. Die Menschen kommen aus allen möglichen Kultursparten. Sie sind künstlerisch tätig oder vermittelnd. Wir nennen sie häufig auch Multiplikatoren. Unsere Besucherinnen und Besucher kommen aus dem gesamten Bundesgebiet mit Schwerpunkt Berlin, NRW und den nördlichen Bundesländern. Grundsätzlich richten wir uns an ein bundesweites Publikum sowie die Schweiz und Österreich.

Auf wie viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen Sie über das Jahr gerechnet?

In der Regel haben wir jährlich 4.000 bis 5.000 Gäste an der Bundesakademie. Das klingt jetzt vielleicht nicht nach einer Riesenmasse, aber wir bedienen einen Multiplikatoreneffekt. Insofern wirkt das, was wir in der Bundesakademie lehren und anbieten, über diese rund 4.500 Leute hinaus.

Sie sind auch Professorin an der Universität Hildesheim. Wie verbinden Sie beide Positionen miteinander, und wie kam es dazu? Befruchten sich diese Funktionen aus Ihrer Sicht?

Ich kam 2012 von der Uni in Hildesheim. Und mir war es einfach wichtig, diese Unitätigkeit nicht komplett links liegen zu lassen, sondern weiter mit einem Bein in der Wissenschaft zu stehen. Ganz praktisch muss man sich das so vorstellen, dass ich einen Tag in der Woche am Campus in Hildesheim bin und dort lehre. Zudem bin ich weiterhin in Forschungsprojekte involviert, ich betreue Promotionen und Masterarbeiten.

Der Spagat, das gebe ich zu, ist zwar immer eine Herausforderung, aber gleichzeitig erfüllend. Ich genieße den Kontakt mit den Studierenden und bleibe so an aktuellen Debatten und neuen Ideen dran. Außerdem arbeite ich selbst gern wissenschaftlich. Und das noch ein bisschen tun zu können und nicht komplett im Management und in Führungsaufgaben zu versinken, passt für mich sehr gut.

Welche Forschungsschwerpunkte interessieren Sie am meisten?

Mein besonderer Schwerpunkt war immer die frühkindliche kulturelle Bildung, also die Arbeit mit den Allerkleinsten. Das finde ich einfach sehr interessant, weil das ästhetische Gestalten in diesem Alter die zentrale Ausdrucksform ist: Alle kleinen Kinder malen, singen, tanzen ganz selbstverständlich. Das ist den frühen Entwicklungsschritten sozusagen inhärent. Und man kann sehr viel über ästhetisches Wahrnehmen und Gestalten lernen, wenn man diese Lebensphase genau betrachtet. Ein weiteres Thema, das mich methodisch interessiert, sind biografische Wirkungen kultureller Bildung. Also die Frage, warum beschäftigen wir uns mit den Künsten? Und was geben sie uns? Das sind Fragestellungen, zu denen auch einige meiner Doktorandinnen und Doktoranden ihre Arbeiten schreiben.

Welchen Wunsch haben Sie für die nähere Zukunft?

Ich teile den Wunsch derzeit mit ganz vielen: Ich wünsche mir, dass wir wieder mehr kulturelle Präsenzveranstaltungen machen können. Denn wir leben insbesondere von Präsenzkontakten. Unser lebendiges Netzwerk funktioniert am besten, wenn wir uns – ohne Angst – begegnen können. Hoffentlich ist das bald wieder möglich.

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2022.