Im Dezember letzten Jahres wurde der Bündnis 90/Die Grünen-Politiker Michael Kellner zum Ansprechpartner der Bundesregierung für die Kultur- und Kreativwirtschaft bestellt. Sandra Winzer fragt nach, welche Themen auf seiner Agenda stehen und wie er Deutschlands drittgrößten Wirtschaftszweig die zugehörige Sichtbarkeit verschaffen will.

Sandra Winzer: Herr Kellner, als Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz sind Sie nun auch für die Kultur- und Kreativwirtschaft zuständig. Sind Sie gut in der neuen Funktion angekommen?

Michael Kellner: Ja, es ist eine tolle Aufgabe. Wir sprechen über eine Branche mit vielen kleinen und mittleren Unternehmen – sie passt also auch wunderbar zu meiner Funktion als Mittelstandsbeauftragter der Bundesregierung. Ich habe bei uns im Haus vorher schon den Games-Bereich– eine der Teilbranchen der Kultur- und Kreativwirtschaft – betreut. Das Thema liegt mir also nah, und darauf freue ich mich nach wie vor.

Welche Punkte stehen für Sie ganz oben auf der To-do-Liste?

Mein Team und ich haben einen Ressortkreis »Kultur- und Kreativwirtschaft« in der Bundesregierung geschaffen. Viele der Themen, die uns umtreiben, sind nicht allein im Wirtschafts- und Klimaschutzministerium zu regeln. Diese Neuerung hilft, Verständnis für die Kultur- und Kreativwirtschaft auch in anderen Häusern zu wecken, nicht nur in unserem Ministerium. Das ist ein wichtiger Schritt in Sachen Politikmanagement. Bei der Zusammenarbeit treiben uns weitere »innere« Themen um.

Welche sind das?

Das Digitalministerium ist ein Beispiel, das am Bereich der Telekommunikation arbeitet. Die EU-Kommission hat einen Vorschlag zum »Fair Share« gemacht, der gar nicht so fair ist und auch die Netzneutralität bedrohen könnte. Für viele Kreative ist das eine wichtige Grundlage für Geschäftsmodelle. Hier haben wir mit dem Digitalministerium gesprochen und deutlich gemacht: »Davon sind wir nicht überzeugt.«

In Ihrer Rede im Dezember sagten Sie, dass Sie vor allem »ansprechbar« sein wollen. Sie wollen nicht nur über die Branche sprechen, sondern mit den Menschen, die diese Branche füllen. Wie genau sieht das aus?

Ich bin viel in Kontakt mit Einzelpersonen, Verbänden oder Unternehmen – gestern habe ich z. B. den Ausschuss Kommunikation, Medien und Kreativwirtschaft der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) getroffen oder letzte Woche Menschen aus der Filmwirtschaft. Im letzten Jahr hatten wir außerdem ein großes Treffen mit Vertreterinnen und Vertretern aus allen Teilbranchen der Kultur- und Kreativwirtschaft. Dieses Format werden wir fortführen. Es ist immer eine Mischung aus Einzelgesprächen, Gesprächen mit den Teilbranchen und Treffen der gesamten Branche.

Die Kultur- und Kreativbranche zählt zu jenen, die am stärksten von den Auswirkungen der Coronapandemie betroffen waren. Wie steht die Branche aktuell da?

Gerade haben wir den aktuellen Monitoringbericht zur Kultur- und Kreativwirtschaft vorgelegt. Wir sehen, dass insgesamt ein großes Wachstum in der Branche stattfindet, eine Erholung: 3,4 Prozent Branchenwachstum wurde im letzten Monitoringbericht prognostiziert. Wichtig ist auch, dass die Anzahl der Erwerbstätigen – trotz Corona – stabil geblieben ist. Das freut mich sehr. Corona hat aber auch gezeigt, dass wir uns verstärkt damit beschäftigen müssen, wie sich Soloselbstständige künftig krisenresilienter aufstellen können und welche Rahmenbedingen die Politik hierfür schaffen muss. Wir haben daher gerade eine Studie ausgeschrieben, die sich mit der wirtschaftlichen und sozialen Lage von Soloselbstständigen und »Hybrid-Beschäftigten« in der Kultur- und Kreativwirtschaft auseinandersetzen soll. Beim Blick auf die Gesamtbranche sehen wir auch, dass sie noch längst nicht wieder dort ist, wo sie vor Corona war. Die Umsatzeinbrüche infolge der Pandemie waren eine Zäsur nach jahrelangem, stetigem Wachstum. Nun folgt ein starker Aufholprozess, wenn auch in unterschiedlichen Geschwindigkeiten der verschiedenen Teilbranchen. Trotzdem gibt es Grund für Optimismus: Während der Pandemie gab es Debatten darüber, ob die Menschen überhaupt in die Theater und Kinos zurückkehren werden. Und jetzt erleben die meisten Branchen: Die Menschen kommen zurück, es gibt einen Hunger nach Leben und Kultur. Die Besucherzahlen steigen wieder. Das freut mich. Die Abgesänge waren verfrüht und falsch.

Die Branche gilt als drittgrößter Wirtschaftszweig in Deutschland. Bundesweit zählt man etwa doppelt so viele Erwerbstätige wie in der Finanzdienstleisterbranche. Wie kann man dem Ganzen mehr Raum geben? Oder glauben Sie, dass sich alles aus dem »Hunger der Menschen« und deren Bedürfnissen regulieren wird?

Beides. Es gibt ein tiefes Bedürfnis nach Erlebnis, Zusammenkunft und Kultur; davon bin ich überzeugt. Dennoch müssen wir viel unterstützen. Ich sehe aktuell Probleme bezüglich Fachkräftemangel und erhöhten Energiepreisen. Das reine Bedürfnis nach Ästhetik, Kultur und Erleben wird nicht reichen, um die Branchen weiter voranzubringen. Mein Eindruck ist: Es gibt ein solides Wurzelgeflecht. Damit das wachsen kann, haben wir jedoch Herausforderungen, die Politik und Branche gemeinsam lösen müssen.

Stichwort Fachkräftemangel: Hier wollen Sie die Einwanderung erleichtern. Welche positiven Auswirkungen erhoffen Sie sich davon?

Wir haben als Ministerium in den Eckpunkten zum Einwanderungsgesetz darauf gedrängt, dass nicht nur die formale Qualifikation maßgeblich ist. Es soll auch zählen, was ein Mensch in den letzten zwei Jahren gearbeitet hat. Gerade in der Kultur- und Kreativwirtschaft gibt es viele Quereinsteigende. Hier Fachkräfteeinwanderung zu ermöglichen ist wichtig. Auch die Qualifizierung im Job soll bewertet werden. Die Bundesregierung ist daran, aus diesen Eckpunkten ein Gesetz zu machen. Dazu zählt auch die Absicherung von Selbstständigen: Mutterschutz und Kinderbetreuung. Riesige Baustellen in unserem Land, damit Menschen nicht zu Teilzeitarbeit gezwungen sind, sofern sie das nicht wollen. Es wird nicht die eine Lösung geben, dennoch ist der Bereich wichtig, sonst werden fehlende Fachkräfte eine große Bremse für die Branche.

Der andere Punkt, den Sie ansprechen, sind die steigenden Energiekosten, die auch Theater, Kinos und Hallen betreffen. Was gilt es hier akut zu tun?

Als Bundesregierung haben wir die Preise durch die Gas- und Strompreisbremse gedeckelt. Aber die Kultureinrichtungen können auch die gedeckelten Energiekosten oft nicht selbst tragen oder auf das Publikum umlegen. Dafür gibt es den Härtefall-Fonds. Er soll vor allem mittelständigen Unternehmen helfen. Und dann gibt es den von Kulturstaatsministerin Claudia Roth auf den Weg gebrachten »Kulturfonds Energie des Bundes«, der öffentliche und private Kultureinrichtungen und Kulturveranstaltende bei den Energiekosten unterstützt.
Einen herzlichen Dank an dieser Stelle auch an den Deutschen Kulturrat, der sich in die Diskussion um den »Kulturfonds Energie« mit wertvollen Impulsen eingebracht hat.

Dazu müssen wir auch fragen, wie wir Gebäude energieeffizienter umrüsten können. Vor Kurzem hat mir ein Museumsdirektor erzählt, wie viel er durch das Umrüsten auf LED-Beleuchtung sparen würde. Das fand ich bemerkenswert, fragte mich aber: Warum hat er das nicht längst getan? Also haben wir für Unternehmen die Möglichkeit geschaffen, dass sie von allen Abgaben befreit werden, wenn sie auf ihren eigenen Dächern grünen Strom erzeugen. Sie hätten damit nur noch einen Bruchteil der Kosten. Die wirtschaftlichen Anreize haben wir gesetzt. Wichtig ist, dass diese Möglichkeiten jetzt auch genutzt werden.

Zwar werde ich nicht auf jedes denkmalgeschützte Theater eine Solaranlage setzen können. Wenn ich aber mit Messebetreibenden spreche, die große Hallen mit flachen Bauten bespielen, kann hier gut nachgerüstet werden. Auf Messen erlebe ich, dass das erkannt und umgesetzt wird. Das ist Wirtschaftspolitik und gelebter Klimaschutz.

Stichwort »Möglichkeiten«: Die aktuellen Zahlen zur Kultur- und Kreativwirtschaft sind beeindruckend: In Deutschland haben wir rund 1,2 Millionen Kernerwerbstätige, rund 226.000 Unternehmen, viele davon im Design- und Software-/Games-Bereich. Der Gesamtumsatz der Branche liegt bei rund 175 Milliarden Euro. Vielen Menschen ist das nicht bewusst. Wie kann es gelingen, dass die Branche mehr Präsenz bekommt – weg vom Image der reinen »Kunst- und Genussbranche«?

Aktuell sehe ich da mehrere Möglichkeiten. Erstens: Dafür gibt es mich, das ist Teil meines Jobs. Wir planen eine Kampagne, um genau die von Ihnen angesprochenen Punkte sichtbar zu machen und die Bedeutung der Kultur- und Kreativwirtschaft aufzuzeigen. Zweitens: Die elf verschiedenen Teilbranchen organisieren sich vermehrt auch gemeinsam und schaffen so mehr Sichtbarkeit für sich selbst. Auch die Koordinierungsarbeit des Deutschen Kulturrates ist hier hilfreich. Drittens: Punktuelle Events wie Preisverleihungen, Messen oder Festivals spielen ebenfalls eine große Rolle, um aufzuzeigen, wer und was alles in dieser Branche steckt. Ich bin noch immer beglückt von der Preisverleihung der »Kultur- und Kreativ-Pilot*innen Deutschland«. Hier waren viele Gründerinnen und Gründer aus der Kultur- und Kreativwirtschaft. Das Interessante: Ich habe viele Gründungen mit einem gesellschaftspolitischen Zweck gesehen, z. B. einer Nachhaltigkeitsidee. Es waren großartige Projekte dabei, die etwa in die Chemieindustrie ausstrahlen, weil sie Plastik ersetzen. Oder in die Nahrungsmittelindustrie, weil sie das Wegwerfen von Nahrung verhindern. Solche Projekte wollen wir beraten, unterstützen und in die Öffentlichkeit tragen.

Zur Kultur- und Kreativwirtschaft zählen unterschiedliche Branchen: Musik, Bücher, Kunst, Film, Rundfunk, darstellende Kunst, Architektur, Design, Presse, Werbung, Software/Games. Was haben diese Teilbranchen vor allem gesamtgesellschaftlich gemeinsam, welcher Auftrag vereint sie?

Ich spüre eine große Verbundenheit der Teilbranchen bezüglich Nachhaltigkeit im Sinne des Klimawandels. Aus der Kultur- und Kreativbranche können starke Impulse kommen. Sie beantwortet harte gesellschaftliche Fragen. Deswegen gehören diese Ideen auch in alle Branchen. Nur können wir das erreichen, was wir mit »Circular Economy«, also Kreislaufwirtschaft meinen. Als Wirtschaftspolitiker liegt meine Ungeduld vor allem in den vielen kreativen Lösungswegen. Die Zeit drängt, wenn ich mir den Verlust von Artenvielfalt und die Klimakrise anschaue. Ideen hierfür müssen wir schnell groß kriegen und in alle Branchen weitertragen. Eine Aufgabe, die wir auch als Wirtschafts- und Klimaschutzministerium angehen müssen.

Was steht diese Woche noch in Ihrem Kalender?

Die Gespräche mit der DIHK und die »Kultur- und Kreativpilot*innen« habe ich ja bereits erwähnt. Dazu bin ich noch in Nürnberg und verleihe den »Musikinstrumente-Preis« der Bundesregierung. Diesen Termin nutze ich auch, um mit Menschen aus der Spielwarenindustrie zu sprechen.

Wenn wir uns in einem Jahr wieder sprechen. Was, wünschen Sie sich, hat sich bis dahin getan?

Ich würde mich freuen, wenn wir zwei Dinge geschafft hätten: Zum einen finde ich es wichtig, dass wir, in Zeiten des Krieges, als Europa zusammenstehen, die Demokratie verteidigen und gesellschaftlich zusammenhalten. Neben den wirtschaftlichen Fragen sehen wir, wie unsere Demokratie angegriffen wird. Viele Menschen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft tragen zum Erhalt dieses Zusammenhalts bei. Dafür bin ich sehr dankbar. Der zweite Punkt betrifft die Fragen der Zeit: Ich würde mich freuen, wenn die Branche und ich das Gefühl hätten, dass wir Themen wie die Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Fachkräfte, Energiefragen stabilisiert haben. Wenn wir in einem Jahr das Gefühl hätten, Arbeitsfortschritte gemacht zu haben, wäre ich zufrieden.

Welche Relevanz sehen Sie beim Thema der Künstlichen Intelligenz? Werden wir die Technik weiter ausbauen müssen? Und wie viel Kreativität bleibt hier langfristig auf der Strecke? Manche Kreative sorgen sich, dass sie von der Technik verdrängt werden könnten.

Wie viele habe ich rund um Weihnachten mit ChatGPT herumexperimentiert und war tief beeindruckt. Politisch ist das ein wichtiges Thema. Wie sichern wir vor allem Künstlerinnen und Künstler urheberrechtlich ab? Ganz klar geht es hier um den Schutz für Künstlerinnen, Künstler und Kreative und deren ökonomische Situation. Ich bin überzeugt davon, dass Künstliche Intelligenz (KI) die Kultur- und Kreativbranche unterstützen und weiterbringen kann. Sie kann aber Kreativität als solche nicht ersetzen. KI kann simulieren und sehr gut Existierendes nachahmen. Bilder und Texte beispielsweise. Die Frage ist: Ist es wahr, was in diesen Texten steht? Und ist es wirklich kreativ oder nur eine Nachahmung? An dieser Stelle bleibt der Mensch zentral. Die Werkzeuge werden in den kommenden Jahren um sich greifen und unser Leben massiv beeinflussen. Wir müssen aber dafür kämpfen, dass der Wert von kreativer Arbeit nicht verloren geht, hier darf keine Entwertung stattfinden. Das wäre dann wieder eine politische Frage.

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2023.