Wen wundert diese Masse? Wenn man auf einer Social Media-Plattform wie Instagram den Hashtag #photolovers eingibt, öffnet sich ein üppiger Feed von rund drei Millionen Einträgen. Ähnliche Begriffe liefern eine ähnlich hohe Anzahl an entsprechenden Beiträgen. Fotografische Bilder sind schon längst zum wichtigsten Träger unserer Kommunikation geworden. Bedeutet das aber auch im Umkehrschluss, dass Alltagsnutzer via learning by doing bewusst und gut mit diesen Massen an Motiven umgehen können? Wohl kaum!

Denn auch das ist ein Fakt: Die Begeisterung für das Medium Fotografie birgt etliche Fallstricke. Nutzt man bei der Instagram-Suche den Hashtag #photomanipulation erhält man grob dieselbe Trefferanzahl wie bei #photolovers, nämlich rund drei Millionen Einträge. Daher ist es geboten, fotografische Bilder nicht nur auf den ersten Blick zu lieben und zu liken; man sollte gleichermaßen befähigt sein, durch genaue Rezeption visuelle Konstrukte sicher zu durchschauen. Aber was braucht es an Wissen, um die unterschiedlichen Bedeutungsschichten eines Bildes dekodieren zu können und so auch etwaigen Manipulations-Absichten hinter einem (geposteten) Bild auf die Schliche zu kommen? Und welche Kompetenzen braucht es allgemein im täglichen Umgang mit fotografischen Bildern? Besonders dringend ist es, den Fokus auf die jungen Mediennutzerinnen und -nutzer zu lenken. Diese sind mit dem Display in der Hand groß geworden und finden sich en gros dank simpler Benutzerführung schnell im digitalen Fotokreis zwischen Betrachtung, Produktion und Teilen visueller Inhalte zurecht. Essenziell scheint jedoch: Welche Befähigungen bringen sie für den digitalen Alltag mit und welche Fähigkeiten braucht es ergänzend für die tägliche Information durch und Kommunikation mit Bildern?

Das ist eine der Fragen, auf die sich die 2022 gegründete Arbeitsgruppe »Visuelle Kompetenzen« unter dem Dach des Deutschen Fotorats konzentriert. Ein Ziel ist es, die Bedeutung dieser Bildkompetenz Entscheidern in Politik, Kultur und Wirtschaft verstärkt ins Bewusstsein zu rücken und gleichermaßen Pädagoginnen und Pädagogen, Eltern sowie Kindern und Jugendlichen erste Orientierungshilfen zu bieten. Im März 2023 hat die Arbeitsgruppe einen Forderungskatalog auf der Website des Deutschen Fotorats veröffentlicht. In sieben Punkte unterteilt fasst dieser Text zusammen, was sich mit Blick auf die Bildungspolitik ändern muss, um gerade Kinder und Jugendliche mit einem entsprechenden Werkzeugkasten auf einen umfassenden Umgang mit fotografischen Bildern im privaten und schulischen Umfeld vorzubereiten.

Kern einer umfassenden Bildkompetenz ist es, auch die Rezeption von Bildern auf ein deutlich höheres Niveau zu heben. Gerade auf die Massen von Motiven, die Tag für Tag, mal mit Bedacht, aber meistens auf die Schnelle en passant konsumiert werden, gilt es auch als junger Rezipient gut vorbereitet zu sein. Fotografische Bilder gehören fest zum Alltag von Kindern und Jugendlichen. Diesen Fakt nicht zu bewerten, sondern die jungen Rezipientinnen und Rezipienten im Bildkonsum ernst zu nehmen und auf Augenhöhe zu begegnen, auch das ist eine Forderung der AG »Visuelle Kompetenzen«.

Im Forderungskatalog finden sich zehn Aspekte, die Kindern und Jugendlichen vermittelt werden sollten: Neben der eingangs erwähnten Befähigung, Manipulation durch fotografische Bilder gezielter enttarnen zu können, sind das auch Basics aus dem fotohistorischen, gestalterischen, technischen und juristischen Bereich sowie Kenntnisse rund um die affektive Ebene von Bildern, also das Wissen um die Wirkung und Emotionen, die ein konkretes Bild bei seiner Betrachterin, seinem Betrachter auslösen kann. In einer Zeit, in der via einfacher Fototechnik, Filter, Bildbearbeitungs-Tools und seit rund drei Jahren massentauglich nutzbaren Bildgeneratoren eine glossy Zauberwelt in wenigen Klicks umsetzbar ist, kann auch diese Tastatur möglicher Wirkungen durch das Bild intensiv und auf manchen Kanälen bis zur visuellen Zermürbung bespielt werden.

Die Herausforderungen im Netz der mal schönen, mal grausamen Bilder sind sehr hoch. Das gilt nicht erst seit KI – aber sicher noch dringender in Zeiten hochwertiger generierter Bilder, die von Motiven aus einer Smartphone- oder Kamera-Linse kaum oder gar nicht zu unterscheiden sind. Die AG Visuelle Kompetenzen bezieht Position: »KI-generierte Bilder, ebenso wie Fotos, die im erheblichen Maße digital verändert wurden« sollen zwingend als solche kenntlich gemacht werden. Das soll auch dem Vertrauen in bestimmte Quellen und bestimmte Bildkontexte dienen und Unterscheidbarkeit – auch mit Blick auf den Herstellungsprozess – deutlich machen. Denn wenn das Vertrauen in alle Formen fotografischer Bilder verloren gehen sollte, haben Manipulateure künftig leichtes Spiel. Und die »Photolove« endet in einer sich stetig schneller drehender Spirale aus gefälligen oder grausamen Eye-Catchern.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2025.