Der Protest gegen Kulturstaatsministerin Roth kommt spät, ist aber nicht mehr zu überhören. Zu lang wurde die Liste ihrer Versäumnisse; und ihre politischen Ungeschicklichkeiten werden inzwischen peinlich. Es reicht eben nicht, nur ein bunter Vogel zu sein.
Jüngst hat die in ihre Zuständigkeit fallende Umbenennung des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte des östlichen Europa, wie das Haus neuerdings heißt, das Fass wieder einmal zum Überlaufen gebracht. Dabei liegt der Vorgang schon eine Weile zurück und man könnte sogar ein paar Argumente anführen, mit denen sich ein solcher Namenswechsel rechtfertigen ließe. Aber Roths politischer Kredit scheint zu sehr verbraucht, als dass man ihr noch abnehmen möchte, eine sachgerechte Entscheidung zu treffen.
Der Namenswechsel ändert am herkömmlichen Arbeitsauftrag des Oldenburger Bundesinstituts auch wenig. Aber man sollte die politische Signalwirkung nicht unterschätzen. Der Kernauftrag, die Erinnerung an die deutsche Kultur im Osten, rückt damit zwangsläufig in den Hintergrund. Die nationale Sicht hat einer transnationalen Betrachtungsweise zu weichen, in der sich die eigenen Traditionen weitgehend aufzulösen beginnen – für einen fraglichen Vorteil. Von der »Auslöschung der eigenen Kultur« spricht daher die FAZ und man kann ihr nur beipflichten; auch wenn sich die Frage aufdrängt, warum man diese Gefahr erst jetzt so deutlich anzusprechen bereit war. Denn nichts anderes geschieht doch seit Jahren.
Dahinter das gezielte Wirken der grünen Kulturstaatsministerin Roth vermuten zu wollen, tut ihr fast schon zu viel der Ehre an. Denn ob sie sich bei ihrem fahrlässigen Amtsverständnis jemals überhaupt einen genaueren Einblick in diese Arbeitsfelder verschafft hat, erscheint eher fraglich. Viel naheliegender dürfte doch jene sattsam bekannte Mischung aus ideologischem Ressentiment und behördlicher Wohlschaffenheit sein, bei der irgendwann irgendwem auffiel, dass man die Oldenburger Behörde doch tunlichst den Zeitläuften anpassen sollte.
Wenn man in Kreisen der Heimatvertriebenen inzwischen von einer zweiten Vertreibung spricht, dann kann man ihnen die Mitverantwortung für diese Misere gleichwohl nicht ersparen. Sie haben es ihren Gegnern zu leicht gemacht, um sich heute darüber beklagen zu können. Und schon dem ersten Kulturstaatsminister Naumann war es, wie der Schwabe sagt, ein »gemähtes Wiesle«, in der Vertriebenenszene erst einmal ordentlich aufzuräumen.
Aber das Problem reicht bis in die unmittelbare Nachkriegszeit zurück. Der deutsche Osten war im selbst verursachten Feuersturm untergegangen, und eine sentimentale Erinnerung an ihn durfte es nicht geben. Schon die Besatzungsmächte achteten peinlich darauf, dass keine geschlossenen Siedlungsgebiete der Vertriebenen mehr entstanden, die das Heimatbewusstsein und die verständliche Herkunftsverbundenheit über Gebühr konserviert hätten.
So wurden die zweitausend Einwohner einer ehedem donauschwäbischen Gemeinde, wie es der Historiker Norbert Pötzl exemplarisch beschreibt, auf sage und schreibe 158 Ortschaften im Westen verteilt. Man habe, notierte der aus Danzig stammende Schriftsteller Günter Grass bitter, »die ostdeutschen Provinzen gleich zweimal verloren«, durch den selbst verschuldeten Krieg, aber auch durch die »Fehler der Nachkriegszeit«. Jahrzehntelang wagte man die deutschen Namen der Städte im Osten noch nicht einmal auszusprechen. Von Breslau oder Hirschberg reden heute eher die jungen Polen; und als eine Gruppe junger tschechischer Ausstellungsmacher und Fotografen vor Jahren das ihnen gänzlich unbekannte Sudetenland wiederentdeckten, hat man das zwar in Prag registriert, nicht aber in Deutschland.
Insofern steht die Umbenennung des Oldenburger Bundesinstituts für Kultur und Geschichte des östlichen Europa doch in einer unguten Tradition der Verdrängung des eigenen Erbes und der eigenen kulturellen Erinnerung. Was diesen Vorgang allerdings noch bedrückender macht, ist die Vermutung, dass es schon gar nicht mehr um die deutsche Kultur im Osten und die alten Vertriebenendebatten geht, sondern um die Entsorgung des Nationalen in toto. Die Tendenz, Geschichte mittlerweile ohne Bezug auf die eigene Herkunft, auf die eigene Nation und deren historische Landschaften zu schreiben, hat zu gruseligen akademischen Verrenkungen geführt. Über deren Erkenntnisgewinn lässt sich trefflich streiten. Gefeiert wird heute das Ende der alten, wie man glaubt, verzopften Nationalgeschichtsschreibung. Und die Publizisten und Lektoren trommeln dieses Ende mit Hybris herbei. Allein der Testfall Ukraine belehrt uns jedoch eines anderen. Da konstituiert sich mitten im Krieg eine Nation wieder neu und wir rätseln allen Ernstes, woher die Energien dafür jetzt wohl kommen. Bei uns dagegen geht es um die Implementierung eines neuen Geschichtsbildes, die auf das eigene Erbe pfeift.
Erinnern wir uns: Die Grünen wollten einstmals bewahren. Doch inzwischen soll in unserem Land wohl kein Stein auf dem anderen bleiben.