Das Berend Lehmann Museum (BLM) ist das größte Museum für jüdische Geschichte und Kultur in Ostdeutschland. Am authentischen Ort wird in Halberstadt die fast 700-jährige Geschichte einer der bedeutendsten jüdischen Gemeinden in Deutschland gezeigt. Diese ist eng mit dem Hofjuden Berend Lehmann und dem Unternehmen Hirsch verbunden.

Als Inhaber eines Geleitpatents durfte sich Berend Lehmann (1661-1730) um 1680 in Halberstadt niederlassen. Um 1700 baute er zunächst ein Lehrhaus, die Klaussynagoge, in der bis zum Zweiten Weltkrieg orthodoxe Rabbiner ausgebildet wurden. Bereits 1650 hatte der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm für die Halberstädter Juden ein Generalgeleit erlassen, nachdem sie »nach ihrer Art« schlachten und eine Synagoge bauen konnten. Die an die Pracht des sächsischen Hofes erinnernde prächtige Barocksynagoge wurde der Gemeinde von Berend Lehmann als Darlehen finanziert, dessen Zinsen sicherten die Ausbildung der Rabbiner. Nach 1805 trug die erfolgreiche Entwicklung des Unternehmens Hirsch dazu bei, dass sich Halberstadt zu einer der größten jüdischen Gemeinden in Deutschland entwickeln konnte.

Das BLM hat eine ganz besondere Entstehungsgeschichte. Es befindet sich in der erhalten gebliebenen historischen Unterstadt von Halberstadt im ehemaligen Judenviertel und damit an einem authentischen Ort. Als die Moses Mendelssohn Akademie (MMA) 1995 gegründet wurde, war ein Museum keineswegs geplant. Nach dem Vorbild kirchlicher Akademien wollte sich die Akademie der Erforschung der Grundlagen des Judentums, der Tradition jüdischen Lebens in Halberstadt und der Vermittlung von Kenntnissen über die europäisch-jüdische Geschichte widmen. Sie war von Anfang an als Bildungseinrichtung im Kampf gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit gedacht. Die MMA hat 1996 das fast vollständig erhaltene Gebäudeensemble, bestehend aus der Klaussynagoge, dem Lehrhaus aus dem 17. Jahrhundert, dem Synagogengrundstück, dem Mikwenhaus, einem rituellen Tauchbad, und dem traditionellen Wohnhaus des jüdischen Kantors der Gemeinde erworben. Der Stifter, Diplomkaufmann Manfred Wolff, wollte auf der einen Seite die Gebäudesubstanz retten und auf der anderen Seite das jahrhundertealte jüdische Erbe erforschen und öffentlich zugänglich machen. Maßgeblich für die Idee zur Museumsgründung war die in Ostdeutschland einmalige Situation, dass der Halberstädter Lokalhistoriker Werner Hartmann (1923-2023) und der Pfarrer der reformierten Liebfrauengemeinde Martin Gabriel (1926-2013) schon seit den 1960er-Jahren Kontakte zu den ehemaligen jüdischen Halberstädterinnen und Halberstädtern geknüpft hatten. 1990 war der »Verein zur Bewahrung und Fortentwicklung des jüdischen Erbes in Halberstadt und Umgebung« von engagierten Bürgerinnen und Bürgern gegründet worden. Die MMA hat daraus ein bis heute bestehendes Netzwerk entwickelt. Wegen der Möglichkeit, als Zeitzeugen mit Schülerinnen und Schülern zu sprechen, kamen immer mehr jüdische Ehemalige nach Halberstadt und brachten Dinge mit, die sie auf der Flucht hatten retten können. Die so entstandene kleine Sammlung wurde erstmalig 2001 im Mikwenhaus ausgestellt. Sie zeigt das alltägliche lebendige Miteinander und die Einbindung der jüdischen Gemeinde in die Stadtgesellschaft. Es handelt sich um persönliche Dinge wie Bücher, Fotos, ein Poesiealbum, eine Schürze, die mit dem Kindertransport nach England und schließlich weiter mit in die Vereinigten Staaten genommen wurde, aber auch um Parochet, Torarollen und dazugehörige Schmuckstücke. Damit erzählt das Museum die 700-jährige Geschichte der Halberstädter Jüdinnen und Juden, die beispielhaft für die Entwicklung in Deutschland bzw. Europa ist. Mittelpunkt der Ausstellung ist die Wand mit Fotos der ehemaligen Halberstädter Familien. Nach der Neugestaltung der Dauerausstellung »Koscher, Klaus und Kupfer« in den Jahren 2021/22 können die Besucherinnen und Besucher nun die Familiengeschichten auch über Medienstationen nachvollziehen. Durch Filme und Videos zu den verschiedenen Themen wird vor allem für Jüngere oder Besucherinnen und Besucher ohne Vorwissen die Möglichkeit geschaffen, sich eigenständig die Ausstellung zu erschließen. Die Videos erläutern z. B. die Bedeutung von Tora, Mischnajot und Talmud, zeigen aber auch praktische Dinge wie das Schreiben einer Torarolle. In der Klaus wurde die eingebaute Laubhütte wiederhergestellt. Anhand der historischen Baugenehmigungen und anderer Dokumente wird deutlich, dass die jüdische Gemeinde selbstverständlicher Teil der städtischen Gemeinschaft war. Weitere Räume zeigen die häuslichen Riten wie den Schabbat oder das jüdische Schulwesen und ein historisches rituelles Tauchbad.

Mit der neuen modernen Dauerausstellung zieht das Berend Lehmann Museum Touristinnen und Touristen aus dem In- und Ausland an. Zusammen mit der MMA bietet es aber auch eine Vielzahl von Bildungsangeboten für Schulen. Mit der Hochschule Harz und der Hochschule der Polizei besteht eine Kooperation, sodass den Auszubildenden und Studierenden interkulturelle Kompetenzen vermittelt werden. Seit einem Jahr gibt es auch einen virtuellen Stadtrundgang, der online auf der Webseite angeboten wird. An zehn historischen Gebäuden finden sich Tafeln mit einem QR-Code, über den Interessierte weitere Informationen finden und im besten Fall für einen Museumsbesuch interessiert werden. Dort kann man auch den Ausstellungskatalog erwerben.

Die Sammlung des BLM umfasst in etwa 500 Objekte und eine Vielzahl von Dokumenten, die einen eindrucksvollen Einblick in die besondere Geschichte einer jüdischen Gemeinde geben, die neben Frankfurt a. M. ein wichtiges Zentrum der Neo-Orthodoxie war. Alle Ausstellungsstücke haben einen Halberstädter Bezug und wurden fast ausschließlich von den Ehemaligen bzw. deren Nachfahren geschenkt oder gestiftet. So wird Geschichte hier im wahrsten Sinne des Wortes lebendig und kann anhand der Lebens- und Migrationsgeschichten erzählt werden. Dass fast 200 jüdische Familien bis heute hierher zurückkommen, zeigt nicht nur ihre große Verbundenheit mit ihrer Heimatstadt, sondern auch dass der Erinnerungsort Museum hier als ein wesentliches Bindungselement wahrgenommen wird.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2024.