Es ist ein Experiment, und der Anfang klingt nach Star Trek: 1. Dezember 1984, Ostbeam des Kommunikationssatelliten ECS. Hier ist 3sat! Gestartet als erstes gemeinschaftliches Programm von ZDF, ORF und SRF, den Sendern des deutschen Sprachraums. Die neuen technischen Möglichkeiten geben dem Sender seinen Namen: Sat, Satellitenfernsehen. Das ist die große Herausforderung für die öffentlich-rechtlichen Sender in den 1980er Jahren. Das Privatfernsehen mit seinen schrillen Shows und den beliebten amerikanischen Serien revolutioniert den Fernsehmarkt. Die deutschsprachigen Sender stellen sich der Herausforderung – und setzen auf Kultur!
Die ZDF-Mitarbeiterzeitschrift »Kontakt« hält unter der Überschrift »3sat, das Experiment« damals fest: »Es entsteht ein Programm mit allen Farben, ein Programm für jedermann, nicht für Gruppen und Grüppchen, ein Programm, das nicht aufs Geldverdienen zielen muss, also ohne Werbung, ein Programm, das zeigt, wie reichhaltig das Repertoire jahrzehntelangen Fernsehschaffens in drei Ländern ist, ein Programm aus eigener Produktion, nicht aus überseeischer Importware.«
Aus der Idee des Kulturbollwerks gegen die »McDonaldisierung« des öffentlichen Lebens entwickelt 3sat schnell eine eigene starke Identität mit einem breiten Kulturbegriff: Kultur, Wissenschaft, Dokumentarfilme und Kabarett und Comedy prägen das Programm. Seit fast vier Jahrzehnten ist zum Beispiel das 3sat-Festival ein fester Programmpunkt für Kabarettfreunde. Nach den altehrwürdigen politischen Kabarettisten wie Hans-Dieter Hüsch, Richard Rogler, Volker Pispers traut sich 3sat inzwischen auch jüngere Formate zu. Sebastian Pufpaff und Till Reiners luden bzw. laden regelmäßig zur Happy Hour, und Sarah Bosetti mixt in »Bosetti Late Night« schlauen Humor mit ernsthaftem Talk. Dafür hat sie 2024 den Grimme Preis und den Deutschen Fernsehpreis erhalten.
Der Sender sieht sich als Marke für Menschen mit besonderem Anspruch, sowohl was Ästhetik und Gestaltung, als auch was inhaltliche Tiefe anbetrifft. »3sat macht den Kopf an!« ist der Claim des Senders und ist bewusst doppeldeutig zu verstehen: 3sat macht den Kopf an, bietet neue Perspektiven, Hintergründiges und Wissenswertes – und: 3sat macht den Kopf an, bietet über die Ansprache des Verstands auch Emotionales, starke Bilder, Tiefenschärfe bei persönlichen Portraits und das Glücksgefühl beim Verstehen der Welt. 3sat, das ist – wie es Gert Scobel einmal formuliert hat – Unterhaltung mit Erkenntnisgewinn!
Von Anfang an wurden auch die wichtigsten Nachrichtensendungen aus den drei Ländern ausgestrahlt. Den Blick über den nationalen Tellerrand hat 3sat möglich gemacht und ins Zentrum seines Programmverständnisses gestellt. Die Beschäftigung mit der eigenen Identität bekommt so ein Gegenüber, das hilft, Vertrautes im Fremden zu entdecken und vermeintlich Bekanntes nochmal neu wahrzunehmen. Wer wissen wollte, wie die US-Wahlen in Österreich bewertet werden, konnte am Wahlabend Armin Wolf in der ZIB2 in 3sat sehen. Kunst und Kultur dürfen sich nicht einengen lassen auf die schönen Künste und irgendeine bequeme Form von Kultiviertheit. Sie müssen mitreden und sich in gesellschaftliche Debatten einmischen: Wahlen in den USA, der Umgang mit Kultur und Medien in Ungarn, Kunstfreiheit in China – das hat alles mit uns zu tun. Die Perspektive des Senders war immer europäisch international, aber sein Kern liegt im deutschen Sprachraum. Und das ist auch wichtig, um Dinge nicht nur oberflächlich zu betrachten, sondern mit Tiefenschärfe.
Als 1989 die Mauer fiel, konnten die Zuschauerinnen und Zuschauer via 3sat in ein nahes, weit entferntes Land blicken: Bereits seit November 1989 konnten sie täglich zum Sendeschluss die Spätausgabe der »Aktuellen Kamera« die »AK Zwo« sehen. Eine Initiative, die der Forderung westdeutscher Politiker zuvorkam, ein Programm für alle aufzuschalten, das bis vor kurzem noch als langweilig und zensiert galt und das man im Westen nur in grenznahen Gegenden empfangen konnte: das Programm des DDR-Fernsehens. Mit der Aufnahme des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in den 3sat-Verbund Anfang März 1990 begann eine kurze, aber sehr intensive Zusammenarbeit. Pink Floyds »The Wall« am Brandenburger Tor war das 3sat-Ereignis im Juli 1990.
Drei plus Eins bleibt 3. Diese Gleichung stimmt seit 1993 für 3sat, denn die ARD kam als vierter Partner zum Sender. Der behielt aber seinen Namen. Die ARD hatte 1987 unter dem Namen »1 Plus« einen eigenen Kulturkanal gestartet und im November 1993 wieder eingestellt. Auf »1 Plus« moderierte ein junger Mann namens Gert Scobel »Kultur Plus«. Auch Scobel wechselte zu 3sat. Aus »Kultur Plus« und der 3sat-Sendung »Kultra« wurde 1995 die »Kulturzeit«, das bis heute einzige werktägliche Kulturmagazin im deutschen Sprachraum. Die Geschichte hat diejenigen Lügen gestraft, die bei der Gründung prophezeiten: »40 Sendeminuten, jeden Tag von Montag bis Freitag, nur mit Kultur? Das funktioniert nie!« Es funktioniert und 1999 kam mit »Nano« ein werktägliches Wissenschaftsmagazin dazu. »Nano« wird dieses Jahr also 25 Jahre alt. Beide Sendungen werden von Redaktionen aller Partnersender gemeinsam beim ZDF in Mainz produziert. Wenn man erleben will, wie öffentlich-rechtliche Zusammenarbeit funktioniert, erlebt man sie hier par excellence. Nicht nur die Moderatorinnen kommen aus Wien, Zürich, Frankfurt oder Berlin, in den täglichen Konferenzen schalten sich auch Redakteure zusammen und diskutieren, was bei ihnen gerade wichtig ist. Die Programmierung von »Nano« um 18:30 Uhr und der »Kulturzeit« um 19:20 Uhr, rund um »heute« und die »Tagesschau« zeigt den Stellenwert, den Wissenschaft und Kultur bei 3sat haben. Nachrichten und aktuelle Debatten sollen auch aus deren Perspektive beleuchtet werden. Nano und Kulturzeit helfen bei der Einordnung von Fakten – zusätzlich zum »Was, Wann, Wie, Wo, Warum?« der Nachrichten fragen sie »Was, Wann, Wie, Wo, Warum – eigentlich?«. Dafür lassen sie starke Stimmen aus diesen Bereichen zu Wort kommen und bieten auch originären Inhalten aus Wissenschaft und Kultur eine breite Bühne. Die »Kulturzeit« wurde dafür 2022 mit dem Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie »Beste Information« ausgezeichnet.
Beide Sendungen zeigen auch immer wieder Spezial- und Extraausgaben, sei es von der Berlinale oder dem Weltklimagipfel. Im August 2008 sendete die Kulturzeit eine komplette Sendung auf Latein. Die Sendung befasste sich aber nicht mit Römern, Legionären und Sandalen, sondern diskutierte das »Mare Nostrum« in der Gegenwart oder fragte den Schriftsteller Robert Harris, ob er im Rednertalent eines jungen aufstrebenden US-Politikers einen neuen Cicero entdecken könne. Das war noch, bevor dieser gewisse Barack Obama US-Präsident wurde.
3sat ist dort präsent, wo Kultur stattfindet, auf den Buchmessen, bei der Berlinale oder als Partner des Berliner Theatertreffens. Es wird getanzt, gesungen und gelesen – mehr als 1.000 Programmminuten jedes Jahr allein beim Bachmann-Preis. Der Sender fördert Nachwuchs im Bereich des Dokumentar- und Kurzfilms, verleiht zahlreiche Preise und erhält selbst welche. Eine der Nachwuchsproduktionen in Zusammenarbeit mit der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf, der Film »Kruste« von Regisseur Jens Kevin Georg, hat gerade den Studenten-Oscar erhalten. Die 3sat Dokumentarfilmzeit ist seit über 30 Jahren der Programmplatz für Autoren-Dokumentarfilme im deutschsprachigen Fernsehen.
Kultur kann in einer auseinanderdriftenden Gesellschaft ein Schlüsselfaktor für Identitätsfindung und gesellschaftliche Selbstverständigung sein. Damit sie ihre volle Kraft entfalten kann, braucht sie Teilhabe und keine Elfenbeintürme. Menschen müssen niedrigschwellig mit Kulturangeboten in Kontakt kommen können. Das kann ein Sender wie 3sat bieten, und zwar von Wagner bis Wacken. Die Klassikfreunde kommen im 3sat-Festspielsommer auf ihre Kosten, die Pop- und Rockfans können unter dem Label »Pop Around The Clock« rund ums Jahr Konzerte genießen. Die Zukunft dieser kulturellen Teilhabe ist digital, denn die Medienwelt befindet sich im Umbruch. Sender müssen ihr Profil schärfen und im Kampf um die Aufmerksamkeit ein klares Erlebnisversprechen bieten: Gut kuratiert und fokussiert auf das Besondere sollen die 3sat-Ausspielwege TV und Mediathek sein, um für das kulturinteressierte Zielpublikum ein eindeutiges Angebot zu bieten. Insbesondere die 3sat-Mediathek kann innerhalb des öffentlich-rechtlichen Streaming-Netzwerks den Zugang zu kulturell-wissenschaftlichen Inhalten bieten, die zwischen Traumschiff und Tatort oft nicht genügend Wahrnehmung erfahren.
Lange bevor die Begriffe Mediathek., Interaktivität und Online von Medienschaffenden als Möglichkeit ins Auge gefasst wurden, hat 3sat im Rahmen der Documenta IX 1992 mit »Piazza virtuale« das erste interaktive Live-Fernsehprogramm ausgestrahlt und damit Fernsehgeschichte geschrieben. Eine Gruppe von Künstlern und Hackern wollte die Lebensart der italienischen Piazza – einem Ort der zwanglosen Treffen und Gespräche – in die Medien übertragen und das Publikum aktiv einbeziehen. Per Telefon, Fax, Mailbox und Bildtelefon konnte man auf die Sendung Einfluss nehmen, mitdiskutieren, sich kennenlernen, gemeinsam Musik machen und malen oder eine Kamera im Studio bewegen. Programmlich war der Versuch eher ein Misserfolg. Paradoxerweise lag aber genau darin das Gelingen des Experiments, nämlich als Grenzerfahrung der Möglichkeiten des Mediums. 3sat will auch in den nächsten Jahrzehnten die Grenzen der neuen Medienwelt ausloten. Lassen Sie uns das Experiment neu wagen!