Sie fehlt seit bald einem Jahrhundert. Wo bis zur Reichspogromnacht 1938 und noch einige Zeit danach die Hamburger Bornplatzsynagoge stand, das größte und wichtigste religiös-kulturelle jüdische Zentrum Norddeutschlands, gähnt seitdem ein Loch. Aber kaum jemand nimmt die Leerstelle wahr, weil die letzten Überlebenden und Zurückgekehrten, die das Leben in und um die Synagoge noch gekannt hatten, längst verstorben sind.
Nun soll die Synagoge endlich wieder erwachsen. In der alten äußeren Form, innerlich jedoch modern, gekrönt von einer gläsernen Kuppel und ergänzt um einen Neubau mit Bibliothek und Café. Ein Zeichen für das wieder erwachte jüdische Leben, allen Anfeindungen und Angriffen zum Trotz, denen Jüdinnen und Juden seit dem 7. Oktober ausgesetzt sind.
Mitte September wurde der Siegerentwurf des Architektenwettbewerbs vorgestellt. Bis die Synagoge wieder steht, werden allerdings noch etliche Jahre vergehen. Doch die Freude in der jüdischen Gemeinde und bei denen, die sich für die Wiedererrichtung einsetzen, ist jetzt schon groß. »Die Sehnsucht war immer da. Wir brennen darauf, nach 100 Jahren die Synagoge zum zweiten Mal aufzubauen und sie mit Leben zu füllen«, sagt Daniel Scheffer. Als Initiator hat er wesentlich dafür gesorgt, viele Widerstände zu überwinden und die Pläne voranzutreiben.
Auslöser war, dass vor Jahren ein Hamburger Antiquitätenhändler der jüdischen Gemeinde etwas anbot, das nach seiner Einschätzung ihr gehörte und auf verschlungenen Wegen zu ihm gelangt war: die Thorakrone. Es stellte sich schnell heraus, dass es tatsächlich die silberne Krone war, die bis zur Schändung und Zerstörung der Synagoge ihr Heiligstes geziert hatte: die Thorarolle. Das Einzige, was von ihr geblieben war.
Für Daniel Scheffer, für andere in der Gemeinde und in der Hamburger Gesellschaft und Politik war das der Anstoß, den Wiederaufbau endlich in Angriff zu nehmen. Zwar hatte es auch vorher immer wieder Bestrebungen dazu gegeben, aber sie waren alle gescheitert, vor allem am Hamburger Senat, der das von den Nazis enteignete Grundstück nicht zurückgeben wollte.
In der Nacht des 9. November 1938 war die Synagoge wie so viele in Deutschland angezündet, geschändet und geplündert worden, aber stehen geblieben. Dabei raubte wohl auch jemand die Thorakrone. In den Tagen danach legten Anwohner weitere Feuer und zerschlugen die Scheiben. Im folgenden Jahr wurde die jüdische Gemeinde gezwungen, die Ruine auf eigene Kosten abzureißen – von demselben Beamten, der in den 1950er Jahren im Namen des Senats entschied, der Gemeinde das Gelände vorzuenthalten, weil der Jüdische Weltkongress eine Entschädigung erhalten hatte, obwohl ihr das Grundstück von den Nazis genommen worden war und es ihr deshalb weiterhin rechtmäßig gehörte.
»Die Synagoge wurde uns zweimal genommen. Erst von den Nazis, dann nach dem Krieg von den Behörden des neuen demokratischen Staats«, sagt Scheffer. »Nun muss Hamburg sie zum zweiten Mal erbauen.« Den politischen Willen gibt es. Der Senat und die Bürgerschaft haben sich einstimmig dafür entschieden. Das Grundstück wurde an die Gemeinde zurückgegeben. Der Bunker, den die Nazis 1942 auf einem Teil davon errichtet hatten und in dem einige Büros der benachbarten Universität untergebracht sind, soll abgerissen werden.
Noch ist davon aber nichts zu sehen. Dort, wo einst eine der größten Synagogen Deutschlands stand, ein 1906 eingeweihter neoromanischer Bau, war nach dem Krieg Jahrzehnte lang ein Parkplatz – Ausdruck der Missachtung für das ausgelöschte jüdische Leben und die vernichtete jüdische Kultur. Seit 1988 weist immerhin ein von einer Künstlerin gestaltetes Bodenmosaik, das den Grundriss der Kuppel abbildet, auf sie hin. Und der Name des Platzes: Joseph Carlebach, benannt nach dem 1941 in einem KZ in Riga ermordeten letzten Rabbiner. Die meisten gehen jedoch achtlos über den Platz und das Mosaik.
Die neue alte Hamburger Synagoge wird zwei Besonderheiten haben: In ihr werden, wie sonst nur an zwei anderen Orten der Welt, orthodoxe und liberale Juden zusammen beten und Gottesdienst halten. »Getrennt vereint«, wie es Daniel Scheffer nennt, in zwei Räumen, aber unter einem Dach. Und die Synagoge soll, anders als fast alle anderen jüdischen Orte in Deutschland, nicht eingezäunt sein, trotz der seit dem Hamas-Massaker und dem Gaza-Krieg verschärften Sicherheitslage – als einzige deutsche Synagoge neben der neu gebauten in München.
Bei der Vorstellung des Siegerentwurfs sorgte das für einige Diskussion. Als er gefragt wurde, ob die Gemeinde ihr Gotteshaus nicht schützen müsse, wies Scheffer dies zurecht empört zurück: »Für die Sicherheit sind nicht wir Juden verantwortlich.« Das sei Sache des Staates und der übrigen deutschen Gesellschaft. Dennoch wird es natürlich im Inneren verstärkte Sicherheitsvorkehrungen geben, was die Kosten nach oben treibt. Darüber sprechen will verständlicherweise niemand.
Umstritten war lange Zeit, ob die Synagoge in der alten Form wieder erstehen sollte oder in neuer, moderner wie in München und anderen Städten. Die jüdische Gemeinde setzte durch, dass der Bau den alten abbildet, wenn auch etwas verkleinert, weil es trotz der starken Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion in den 1990er Jahren nicht mehr so viele Juden in Hamburg gibt wie vor der Shoa. Deshalb auch der gemeinsame Bau für traditionelle und liberale Juden.
Das hat allerdings noch einen weiteren Grund. Die ehemalige Synagoge des Reformjudentums an der Oberstraße, nicht weit entfernt und eine der weltweit bedeutendsten, auf die sich noch heute liberale Juden z. B. in den USA beziehen, wird vom Norddeutschen Rundfunk als Sendesaal benutzt. Die britischen Besatzer hatten sie dem neu entstehenden NWDR nach dem Krieg überlassen. Nur eine steinerne Menora über dem Eingang erinnert an die jüdische Vergangenheit. Infrage gestellt wird diese Zweckentfremdung von niemandem. »Das ist bittere Realität«, klagt Scheffer. »Die Shoa war nicht nur der größte Massenmord, sondern auch der größte Raubzug der Geschichte. Das wirkt bis heute fort.« Von der Wiedererrichtung der Bornplatzsynagoge erhofft er sich, dass es zu einem generellen Nachdenken führt, wie mit dem jüdischen Erbe umgegangen wird.
Die Synagoge soll aber nicht für die Vergangenheit stehen, sondern für die Gegenwärtigkeit und Vielfalt jüdischen Lebens. Deshalb entschied die Auswahljury, die über die 25 vorgelegten Entwürfe von Architekturbüros aus aller Welt zu entscheiden hatte, dass es kein solitärer, exzentrischer Bau wird, sondern dass er sich in die Umgebung einfügen soll. Ein herausragendes Element wird die gläserne statt der früheren steinernen Kuppel sein, ähnlich wie beim Reichstag. Sie soll für Transparenz sorgen, weil Juden so oft Misstrauen entgegengebracht wird. Und sie soll Licht in die Welt senden, ein für alle sichtbares Zeichen. »Sie markiert den Bruch«, sagt Scheffer.
Bis die Kuppel leuchtet und die Bornplatzsynagoge wieder erstrahlt, werden jedoch wahrscheinlich noch acht bis zehn Jahre vergehen. Wie bei allen öffentlichen Bauten müssen nun Pläne gezeichnet, Bauanträge gestellt, geprüft und genehmigt werden, das energetische und das Sicherheitskonzept. Die Bauaufträge müssen ausgeschrieben werden. Scheffer und anderen in der Gemeinde ist die Ungeduld anzumerken, dass alles so lange dauert. »Der Bau hätte eigentlich schon längst beginnen müssen«, sagt er. Schließlich werde damit nur Gerechtigkeit wiederhergestellt.
Immerhin ist die Finanzierung gesichert. Der Bund und das Land Hamburg haben sich verpflichtet, die Baukosten je zur Hälfte zu tragen. Der Bundestag hat dafür 2020 in einem Beschluss des Haushaltsausschusses 130 Millionen Euro bereitgestellt. Die werden allerdings wegen der gestiegenen Baupreise und auch wegen der notwendigen schärferen Sicherheitsmaßnahmen wahrscheinlich nicht reichen. Aber auch wenn neue Diskussionen darüber aufkommen sollten – Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit, die im Beirat der Bornplatzinitiative sitzt, hat klargestellt: »Es gibt keinen Zweifel. Die Bornplatzsynagoge wird wieder aufgebaut. What ever it takes.«
Auch Kultursenator Carsten Brosda bekennt sich dazu. Nach der Premiere des Stücks »Nächstes Jahr Bornplatzsynagoge« Ende September 2025 in den Hamburger Kammerspielen, in dem die Geschichte ihrer Zerstörung und das Bemühen um ihre Neuerrichtung eindringlich und sehr aktuell nachgezeichnet wird, sagte er: »Hier wird Zukunft gebaut.« Die Synagoge stehe für eine Gesellschaft, in der alle verschieden sein dürfen.