Im Mai 2024 wurde das »Kirchenmanifest« online publiziert. Verfasst worden war es in den Wochen zuvor von einer »Gruppe« von zehn durchaus unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren. »Gruppe« steht deshalb in Anführungszeichen, weil es eigentlich besser als ein loser, wenn auch nicht ganz zufälliger Zusammenschluss von Personen, Institutionen und Vereinen beschrieben ist: mit baukulturellen Institutionen, Kunsthistorikern und Kunsthistorikerinnen, Theologinnen und Theologen beider großer Konfessionen, in Bildungsprojekten und Beteiligungsprozessen Engagierten, mit Heimatbund und Denkmalverein sowie Verantwortlichen im Programm »Kirchturmdenken«. Alle einte, dass sie sich seit Jahren in sehr unterschiedlichen Perspektiven und Schwerpunktsetzungen mit Kirchenbauten, ihrer Architektur, der Baukultur, den Kirchenausstattungen, Fragen des Erhalts, der kulturellen und sozialen Bedeutung, der Teilhabe und Vermittlung, der bürgerschaftlichen Beteiligung sowie mit Transformationsprozessen befasst hatten. Alle hatten sich – in jeweils unterschiedlicher Weise – für Kirchenbauten engagiert und konnten eine zunehmende Beschleunigung der Kirchen in der Diskussion über ihre Kirchengebäude beobachten. Es war die Zeit der »Immobilienkonzepte« angebrochen, die mit sehr engen Zeitfenstern von oft weniger als zehn Jahren eine grundsätzliche Überprüfung des Gebäudebestandes zum Ziel hatten. Im Raum steht seither eine Reduktion um 30 bis 50 Prozent desjenigen Kirchenbestandes, den die Kirchen weiternutzen wollen. Dabei entstand immer wieder der Eindruck, dass das Weggeben von Kirchenbauten zwar innerhalb der Gemeinden betrauert würde, aber nicht als gesamtgesellschaftlicher Verlust in den Blick genommen werden sollte; und dass hier auch eine Dimension gesamtgesellschaftlicher Verantwortung für die Infrastruktur vor Ort –als solche behandelt der aktuelle Baukulturbericht der Bundesstiftung Baukultur die Kirchengebäude – ausgeblendet blieb. Die öffentliche Berichterstattung jedoch verharrte weitestgehend in anekdotischer und lokaler Einzelfallerzählung. Es war diese Erfahrung der fehlenden öffentlichen Debatte über einen Prozess von gesamtgesellschaftlicher Dimension, die zur Abfassung und Veröffentlichung des »Kirchenmanifests« führte.
Es ist viel passiert seit der Veröffentlichung. Das Thema ist – endlich – auch jenseits lokaler und anekdotischer Evidenz sichtbar geworden, auch wenn beispielsweise hier noch immer nicht alle überregionalen Zeitungen einen Beitrag geleistet haben. Doch zugleich werden kirchlicherseits die »Immobilienkonzepte« beinahe ohne Richtungsänderung weitergetrieben. Widerspruch gab es bei der Formulierung »Kirchen sind Gemeingüter« und der Forderung des »Kirchenmanifests« zu einer »Stiftung oder Stiftungslandschaft«, um die von den kirchlichen Institutionen nicht mehr zu bewältigende Finanzierung – Stichworte: Mitgliederschwund, demografische Veränderung – auf eine andere Grundlage zu stellen. Hier hatte der Wortlaut offenbar Triggerpunkte getroffen; es wurde unterstellt, es gehe um eine Enteignung der Kirchen – wovon an keiner Stelle jemals die Rede war. Es scheint sich –nach weiterführenden Gesprächen in den vergangenen Monaten – abzuzeichnen, dass in der Tat Finanzierungen jeweils vor Ort für eine »Phase Null« ein dringendes Anliegen sind: das sozialräumliche, nicht binnenkirchlich verwaltungsorganisatorisch begründete Zusammenbringen von Beteiligten (nicht nur Gemeindemitgliedern), um miteinander Zukunftsperspektiven, nicht nur unmittelbar gegenwartsgebundene Bedarfe, auszuloten. Das braucht Moderation, und es benötigt Anregungen, was alles möglich ist. Zugleich gilt es, vorstellbar zu machen, was mit Bauten, die von den Kirchen aufgegeben werden, geschehen soll – und hier ist möglicherweise ein Stiftungsmodell, das temporär den Verwertungsdruck von den Bauten nimmt, doch noch nicht vom Tisch.
Während die Kirchen recht zeitnah reagiert haben, wird es in den nächsten Monaten darum gehen müssen, Sichtbarkeit und Resonanz im politischen Raum zu verstärken, und dies, möglichst vernetzt, auf den verschiedenen föderalen Ebenen, der Bundesebene, den Bundesländern sowie den Kommunen und Kreisen. Verantwortungsgemeinschaft meint dabei gerade auch, dass jetzt die Vielfalt der Perspektiven in den Blick genommen wird. Deutlich wird – und das hat das Bundesprogramm »Kirchturmdenken« ausgezeichnet –, wie notwendig es gerade in den anstehenden Transformationsprozessen ist, das Wissen über die – gegenwärtig gefährdete – kulturelle und soziale Bedeutung der Kirchenbauten an ihrem jeweiligen Ort für die einzelnen Orte, die jeweiligen Gemeinden und die vor Ort Verantwortlichen zugänglich zu machen. Es geht dabei nicht zuletzt um die europäische Dimension des kulturellen Erbes und das menschenrechtlich verankerte Recht auf Teilhabe am kulturellen Erbe. Auch hier gibt es sehr konkreten politischen Handlungsbedarf.