In fast jedem Dorf gibt es eine Kirche, die als zentraler räumlicher Orientierungspunkt fungiert, aber vielfach nicht mehr im Zentrum des religiösen, kulturellen und sozialen Lebens steht. Das Programm »Kirchturmdenken. Sakralbauten in ländlichen Räumen« fördert Projekte, um Kirchen und andere Sakralbauten als Orte von Kultur und bürgerschaftlicher Begegnung weiter zugänglich zu machen und so zu bewahren. Die Geschäftsführerin Ulrike Sommer zeigt, wie das funktioniert.
Welche Idee steckt hinter dem Soforthilfeprogramm »Kirchturmdenken«?
Kirchen sind gerade in ländlichen Räumen nicht nur bis heute prägend für das Ortsbild, sondern waren über lange Zeit hinweg auch Mittelpunkte des religiösen, kulturellen und sozialen Lebens. Doch auch in ländlichen Regionen führen eine fortschreitende Säkularisierung der Gesellschaft und Glaubwürdigkeitsverluste der christlichen Kirchen zu Mitgliederverlusten und sorgen für drängende Fragen nach der Zukunft der Sakralbauten: Entwidmung, Verkauf, Umbau oder gar Abriss von Kirchen sind auch auf dem Land längst kein Tabu mehr. Aber auch dort, wo keine oder nur noch selten Gottesdienste gefeiert werden, bleiben die Kirchen wichtige Kulturdenkmale und Orte kulturellen Erbes, die es zu erschließen und zu vermitteln lohnt: für Menschen aus der Region, aber auch für interessierte Besucherinnen und Besucher aus anderen Regionen. Gerade dort, wo zunehmend weniger Orte und Möglichkeiten kultureller Teilhabe und/oder bürgerschaftlicher Begegnung vorhanden sind, können und sollten sich Kirchen zudem nach Möglichkeit öffnen für kulturelle Angebote und Nutzungen und so auch über die Gemeinschaft der eigenen Gläubigen hinaus wieder eine Rolle als gemeinschaftsstiftende Orte übernehmen. Viele der Einzelprojekte im Programm »Kirchturmdenken« zeigen, wie dies funktionieren kann.
Was macht die Förderstruktur von »Kirchturmdenken« aus?
Im Rahmen der beiden durch Die Beauftragte für Kultur und Medien der Bundesregierung geförderten Soforthilfeprogramme wurden im Jahr 2021 bundesweit 78, im Jahr 2022 35 lokale bzw. regionale Einzelprojekte mit jeweils bis zu 25.000 Euro gefördert. Interessierte bzw. Antragstellende wurden in enger Kooperation mit Barbara Welzel, Professorin für Kunstgeschichte und Kulturelle Bildung an der TU Dortmund, durch ein Angebot digitaler Workshops zur Erschließung und Vermittlung von Sakralbauten begleitet. Weitere Angebote für die Geförderten waren eine intensive fachliche und zuwendungsrechtliche Einzelberatung und begleitende Webinare zur Antragstellung und zur Erstellung der Verwendungsnachweise.
Welche Ziele verfolgt das Soforthilfeprogramm »Kirchturmdenken«?
Ziel der beiden Soforthilfeprogramme 2021 und 2022 war es, beispielgebende Projekte für eine Erschließung, Vermittlung und kulturelle Nutzung von Sakralbauten durch Beratung und finanzielle Förderung zu unterstützen, Wissenstransfer und Vernetzung der Akteurinnen untereinander wie auch mit Expertinnen und Experten aus relevanten Fachdisziplinen zu fördern und dadurch einen nachhaltigen Diskurs über die Zukunft von Sakralbauten in ländlichen Räumen in Gang zu bringen. Die Ergebnisse beider Förderphasen wurden bzw. werden in einer Publikation dokumentiert. Wie alle aus dem Bundesprogramm Ländliche Entwicklung (BULE) geförderten Soforthilfeprogramme hat damit auch »Kirchturmdenken« einen Beitrag zur Förderung von kultureller Teilhabe und gleichwertigen Lebensbedingungen in ländlichen Räumen geleistet.
Was gäbe es bei einer Neuauflage zu optimieren?
Angesichts des hohen Anspruchs der Soforthilfeprogramme sind die Antrags- und Umsetzungsfristen für die Einzelprojekte außerordentlich kurz. Dadurch wird nicht nur die Einwerbung von Spenden oder Drittmitteln erschwert, sondern auch sinnvolle Kooperationen können oft nicht zustande kommen.
Zudem ist die Antragstellung, der Abruf von Mitteln wie auch die Erstellung des Verwendungsnachweises nach Abschluss des Projekts mit hohem bürokratischem Aufwand verbunden. Auch dies bedeutet für ehrenamtlich geführte Vereine oder Initiativen eine hohe Hürde. Erleichterungen wie etwa vereinfachte Verwendungsnachweise wären daher wünschenswert.
Da viele Vereine oder Initiativen nicht über nennenswerte Eigenmittel verfügen, ist der Eigenanteil, der erbracht werden muss, um in den Genuss einer Förderung zu kommen – in der Regel 25 Prozent der zuwendungsfähigen Gesamtausgaben –, ein weiteres Handicap; zumal die Zeiträume für die Einwerbung weiterer Mittel so knapp sind. Empfehlenswert wäre daher aus unserer Sicht eine zumindest anteilige Anerkennung von Eigenleistungen als Eigenanteil, wie dies etwa in Nordrhein-Westfalen in vergleichbaren Programmen seit Langem praktiziert wird. Grundlage ist dort ein Erlass, der die Rahmenbedingungen für die Anerkennung bürgerschaftlichen Engagements als Eigenmittel regelt.