Auch die Kunststiftung NRW hat in der Coronapandemie zusätzliche Millionen für Künstlerinnen und Künstler ausgeschüttet. Peter Grabowski spricht mit der Generalsekretärin Andrea Firmenich über Gegenwart und Zukunft der Kunst- und Kulturförderung.

Peter Grabowski: Woran arbeiten Sie im Moment?

Andrea Firmenich: Wir haben im Herbst die digitale Antragstellung eingeführt und bearbeiten gerade die Anträge dieser ersten digitalen Förderrunde. Als ich vor etwas mehr als zwei Jahren hier anfing, war unser ganzes Büro zugestellt mit Kisten voller dicker orangefarbener Aktenmappen ‒ 350 Anträge, manche über 100 Seiten lang, und das zweimal im Jahr! Durch die digitale Antragstellung haben wir auch die Form und Systematik der Anträge standardisiert.

Für die Antragstellenden ist seitdem viel klarer, was wir von ihnen brauchen und wissen wollen, und wir selbst haben die Projekte endlich in einer vergleichbaren Form vorliegen. Davon profitieren alle ‒ und wir sitzen nicht mehr zwischen orangenen Mappenbergen.

Sie haben ihr Amt gute drei Monate vor Beginn der Pandemie angetreten. Wie hat Corona Ihre Arbeit verändert?

Ich hatte zunächst angefangen, durchs Land zu reisen. Ich wollte die, mit denen wir immer wieder zu tun haben, vor Ort kennenlernen. Meistens sind das Institutionen oder Ensembles, aber auch Residenzorte. Ich wollte wissen, wie dieses Museum und jener Konzertsaal konkret aussieht, unter welchen Bedingungen dort gearbeitet wird, sowohl räumlich als auch personell. Das wurde leider jäh unterbrochen und ist bis heute nicht so möglich, wie ich mir das vorstelle.

Und wie haben Sie mit der Förderung auf die Krise reagiert?

Wir wollten vor allem den Kulturschaffenden zeigen, dass wir für sie da sind. Ich habe sofort 700 Briefe geschrieben, in denen sinngemäß stand: Wir stehen zu unserem Wort! Wenn ihr Dinge verschieben oder verändern müsst, braucht ihr nicht zu befürchten, dass euch die Gelder nicht mehr zur Verfügung stehen.

Im Mai 2020 haben wir dann unseren ersten Sonderfonds ins Leben gerufen. Kreative konnten Ideenskizzen einreichen, wie sie sich die Welt nach Corona vorstellen. Da kamen binnen vier Wochen 1.100 Einsendungen.

Das hat uns zwar erst einmal komplett überfordert, gleichzeitig aber den bisherigen Kreis der Antragstellenden erweitert; ein positiver Nebeneffekt, wenn man davon in der schwierigen Gesamtsituation reden kann. Wir haben dann 150 Stipendien zu je 4.000 Euro für die Ideenskizzen verteilt, die wir am sinnvollsten und Qualität versprechend hielten.

Das zweite Programm ein Jahr später war dann deutlich spezifischer. Warum?

Wir wollten denen helfen, die ganz besonders betroffen waren. Beispielsweise den Kunstvereinen, an die nur wenige Notprogramme in dieser Zeit gedacht hatten, aber natürlich auch den Performing Arts und der Musikszene für ihre Auftrittsmöglichkeiten und der Literatur, wo wir Veröffentlichungszuschüsse gezahlt haben. Am Ende haben wir für diese beiden Corona-Fonds 2,3 Millionen Euro zusätzlich ausgegeben. Im Kreis der Länder-Stiftungen zählten wir damit zu den ersten, und waren auch die mit der größten Summe – aber wir haben in NRW natürlich auch die meisten Künstlerinnen und Künstler: Von der Anzahl der Kulturschaffenden sind wir das reichste Land, und entsprechend groß war die Not in dieser schwersten Krise der letzten Jahrzehnte.

Wie schätzen Sie die dauerhaften Folgen ein?

Wir haben in der Kultur einen riesigen digitalen Schub gemacht, das wird sich weiter etablieren und eröffnet neue Möglichkeiten. Darüber hinaus habe ich gesehen, wie unglaublich kreativ und flexibel alle Kulturschaffenden in allen Branchen waren; da war wenig Resignation, stattdessen Ausbruch und Aufbruch. Dabei ist die Situation natürlich hart, vor allem in der Freien Szene, wo es sogar zu Berufswechseln kommt, weil Menschen so eine Krise nicht noch einmal erleben wollen. Paradoxerweise war die Kultur aber auch nie so in aller Munde wie in den vergangenen zwei Jahren. Das ist eine Chance, die wir nutzen sollten. Wenn diese schreckliche Zeit etwas Gutes hatte, dann das – die Kultur wird wahrgenommen!

Was nehmen Sie persönlich aus dieser Zeit mit?

Demut. Ich bewege mich ja schon lange in dieser Szene, aber mit welcher Konsequenz, mit welch starkem Willen die Kulturschaffenden überlebt haben, das ringt mir Bewunderung ab! Alle haben im Grunde gesagt: Wir packen das hier, irgendwie. Wir improvisieren und improvisieren wieder und werfen dann noch mal alles um, aber wir lassen uns nicht unterkriegen. Das hat mich tief beeindruckt. Deshalb stehe ich jeden Morgen auf und denke, dass ich wirklich den schönsten Beruf der Welt habe.

Das hat die langjährige Kulturstaatsministerin Monika Grütters auch gern gesagt.

Ich kann das gut verstehen. Aber solche Positionen bringen auch eine große Verantwortung mit sich. Bei aller Nähe zu den Kulturschaffenden ist immer die Entscheidung zu treffen: Wo ist die Qualität? Was sind die Maßstäbe dafür, wie erkenne ich sie, wo kann ich sie verteidigen? Das fällt uns nicht immer leicht, aber das müssen wir. Von der Kunststiftung NRW gefördert zu werden, ist auch ein Qualitätssiegel, und das wird künftig nach Corona wieder schwieriger zu erlangen sein. Zuletzt konnten viele – aus der Not geboren – Mittel beantragen. Das wird so nicht allgemein weitergehen können, auch nicht bei uns.

Auf Ihrer Homepage steht der programmatische Satz: »Wir fördern herausragende, wegweisende und nachhaltige Vorhaben in den Bereichen Literatur, Musik, Performing Arts und Visuelle Kunst mit Bezug zu Nordrhein-Westfalen.« Denkt das nicht jede Künstlerin und jeder Künstler von sich, dass sie oder er dieses Kriterium erfüllt?

Das kann natürlich jede und jeder denken und sollte es auch anstreben. Aber wir müssen entscheiden: Ist das wirklich wegweisend oder doch schon hundertmal gesehen, gelesen, gehört? Über die Formulierung dieses Leitmotivs haben wir während des Lockdowns lange nachgedacht. Da steht auch ganz bewusst nicht »innovativ«, weil ich »wegweisend« treffender finde. Das ist also nicht nur so PR-mäßig dahingesagt, sondern das sind unsere Maßgaben. Wir haben den Anspruch, da sehr genau hinzuschauen.

Andersrum gefragt: Wofür ist die Kunststiftung nicht zuständig?

Beliebiges, Gewöhnliches, immer Dagewesenes. Doch auch schon Existierendes kann seine Berechtigung haben: So fördern wir beispielsweise auch Ankäufe, nicht nur im zeitgenössischen Bereich. Gerade haben wir den Erwerb von Hermann Scherers »Die Schlafenden« für das Museum Ludwig in Köln unterstützt. Dieser Spagat zwischen Erbe und Erneuerung ist uns wichtig, in allen Künsten.

Und was wollen Sie für die Künstlerinnen und Künstler im Land sein?

Eine verlässliche, aber auch eine strenge Partnerin. Wir sagen den Künstlerinnen und Künstlern: Wenn ihr glaubt, dass eure Kunst Qualität und Bestand hat und in die Zukunft weist, dann nehmt Kontakt mit uns auf. Das gilt für alle Sparten, und für die Städte genauso wie für die ländlichen Gegenden.

In der Literatur fördern wir die Thomas-Kling-Dozentur an der Bonner Uni, sind im Kling-Archiv in Hombroich beteiligt und in Straelen beim Internationalen Übersetzer-Kollegium.

Unsere Aufgabe erfüllen wir eben nicht nur in den Städten, sondern gerade an Orten wie Straelen, Hombroich oder beim Festival »Wege durch das Land« im Lippischen rund um Detmold.

NRW ist zum einen sehr urban, hat aber seit vielen Jahren auch echte Leuchttürme in der Peripherie. Etwa das Künstlerdorf Schöppingen mit seinen Residenzen, wo jetzt mit Julia Haarmann eine junge Kraft in der Leitung für frischen Wind sorgt. Da sind wir dabei und machen Mut, versuchen zur Seite zu stehen, Entwicklungen anzustoßen und eine Weile zu begleiten. Das ist unsere Aufgabe.

Sie verfügen über Jahrzehnte lange Erfahrung im Kunstbetrieb und haben vor Ihrer Amtsübernahme hier 20 Jahre für eine private Auftraggeberin gearbeitet. Was hat Sie daran gereizt, noch mal in eine so öffentlich agierende und kontrollierte Stiftung zu gehen?

Gerade das fand ich spannend. Die beiden Stiftungen, die ich zuvor aufgebaut hatte, waren keine Fördereinrichtungen wie die Kunststiftung. Mich hat gereizt, die ganze Breite der Kultur zu erleben. Wir fördern gleichberechtigt alle vier Sparten, bis auf den Film. Ich hatte nicht erwartet, dass in einer Stiftung wie der unsrigen doch so viel Freiheit und Gestaltung möglich sind, da wir ja nur auf Antrag reagieren können. Und dass ich hier so kreativ in einem tollen, engagierten Team arbeiten kann – das ist für mich wirklich sehr erfüllend.

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2022.