In unserem rohstoffarmen Land heißt unsere Zukunftsperspektive und unser Kapital: Bildung. Eigentlich – denn Deutschland liegt in internationalen Vergleichsstudien leider längst abgeschlagen im unteren Bereich. Laut der letzten IGLU-Studie kann jedes vierte Grundschulkind Texte nicht mehr verstehen und liegt damit unter dem internationalen Mindeststandard. Nur selten schaffen es die Kinder, diese Lücken noch zu schließen. Die aktuellste PIAAC-Studie (so etwas wie PISA für Erwachsene) zeigt die langfristigen Folgen: Der Anteil der Erwachsenen mit sehr schwachen Leseleistungen ist ebenfalls weiter gestiegen. Jeder fünfte Erwachsene in Deutschland liest auf dem Niveau eines zehnjährigen Kindes oder deutlich schlechter. Selbst den Inhalt eines einfachen Satzes wie »Bitte sorgen Sie dafür, dass Ihr Kind bis zehn Uhr hier ist« können rund 22 Prozent der 16- bis 65-Jährigen nicht oder nur mit Problemen erfassen. Erschwerend kommt hinzu, dass Bildungszukunft in Deutschland immer mehr von Bildungsherkunft abhängt. Die Politik muss sich langsam fragen: Wie soll die Gesellschaft da zukünftig noch angemessen teilhaben?
Es muss sich etwas ändern, das liegt auf der Hand. Engagement im Bildungssektor ist eine Investition in die Zukunft. Gezielte Förderung sorgt dafür, dass Kinder erfolgreich lernen und langfristig bessere berufliche Chancen haben. Eine gute Bildung trägt dazu bei, dass Heranwachsende gesellschaftlich und politisch teilhaben können. Dabei steht Lesefähigkeit besonders im Fokus: Ohne Lesen führt jede MINT-Förderung ins Leere. Lesen weitet den Horizont für die Perspektiven anderer und fördert Empathie. Lesen stärkt Medienkompetenz und die Fähigkeit, zwischen Nachrichten und Meinung zu unterscheiden sowie Fake News frühzeitig als solche erkennen zu können. Wer lesen kann, kann sich auch fernab populistischer Parolen eine eigene Meinung bilden. Wer liest, hat die besseren Argumente.
Deshalb engagiert sich der Börsenverein vielgestaltig für eine Veränderung zum Positiven: Mit unserer gemeinnützigen Stiftung Buchkultur und Leseförderung stärken wir Lese- und Medienkompetenz bundesweit. Unsere Projekte begleiten Kinder und Jugendliche in jedem Alter und bieten oft den ersten Berührungspunkt mit Büchern. Viele unserer Projekte werden auch den Lesenden dieses Textes schon einmal begegnet sein – als Kinder, als Eltern oder in unterstützender Funktion: Beim Vorlesewettbewerb verbreiten über 600.000 Schüler und Schülerinnen bundesweit ihre Lesefreude. Im Rahmen der jährlichen Aktion »Ich schenk dir eine Geschichte« zum Welttag des Buches überreichen unsere Mitglieder über eine Million eigens dafür hergestellte Bücher an Kinder der vierten und fünften Klasse, und auch bei der »Aktion Lesetüte« erhalten über 150.000 Kinder als Willkommensgruß zum Schulstart eine Tüte mit einem Erstlesebuch. Nicht selten sind diese Bücher die ersten, die die Kinder in ihrem Leben besitzen. Unser Gütesiegel Buchkita fördert darüber hinaus schon die Jüngsten durch das intensive Erleben von Büchern und Sprache. Über den KulturPass gelang es unserer Branche, auch die Lesebegeisterung der 18-Jährigen zu steigern. Und im Rahmen unserer Partnerschaft mit dem Projekt #UseTheNews fördern wir die Nachrichtenkompetenz insbesondere in der Bevölkerung unter 30 Jahren. Um dem Buch weiterhin unter Erwachsenen mehr Sichtbarkeit zu verleihen, vergeben wir außerdem zahlreiche Preise, zuvorderst den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, den Deutschen Buchpreis und den Deutschen Sachbuchpreis. Mit der von uns initiierten Woche der Meinungsfreiheit spannen wir einen noch breiteren Bogen und machen auf deren Bedeutung für eine vielfältige, freie, demokratische Gesellschaft aufmerksam.
All diese Projekte können ihre Wirkung ebenso wie viele gute andere Initiativen jedoch nur dann voll entfalten, wenn auch der Staat seiner Verantwortung in angemessener Weise nachkommt. Wir begrüßen daher sehr, dass im neuen Koalitionsvertrag angestrebt wird, die Zusammenarbeit von Bund und Ländern zu fördern und effizienter zu gestalten. Die Konkurrenz der Länder untereinander muss abgebaut werden, Kommunen müssen sinnvoll mit Geldern ausgestattet werden, und gemeinsam entwickelte Konzepte sollten langfristig wirkende Resultate vorsehen, die eine Legislaturperiode überdauern. Wenn vor dem Hintergrund des aktuellen Medienverhaltens unserer Jugend vor den nächsten Wahlen noch etwas gegen die Newsrooms der Populisten bewirkt werden soll, dann muss es schnell geschehen. Es braucht jetzt einen intelligenten, von den Skandinaviern lernenden Medienmix und ein funktionierendes Digitalkonzept an deutschen Schulen. Und es braucht den übergreifenden Austausch. Es sollten von den direkt Betroffenen – also auch den Schülern und Schülerinnen selbst – bis hin zu Förderern jedweder Couleur alle Ebenen in den Dialog einbezogen werden, um pragmatische und effektive Lösungsstrategien zu finden. Mit dem »Bildungsdialog für Deutschland« (neustart-bildung-jetzt.de) ist hier schon ein guter Anfang gemacht. Diesen Dialog gilt es zu unterstützen und fortzuentwickeln.