Wolf Biermann kann sich zugutehalten, wesentlich zum Ende der SED-Diktatur vor 35 Jahren beigetragen zu haben. Als widerständiger Geist bis heute war der in Hamburg geborene Liedermacher und Dichter für die DDR-Oberen quälender Stachel im Fleisch und für Oppositionelle trotz jahrzehntelangem Auftritts- und Publikationsverbots Inspirationskraft für ihre Auflehnung. Biermanns Ausbürgerung 1976 nach seinem legendären Konzert in Köln wurde zum Fanal und zu einem Anfang vom Ende der Unterdrückung. Welche Relevanz Biermann und sein künstlerisches Werk immer noch haben, zeigt nicht nur die große Retrospektive des Deutschen Historischen Museums. Junge Musiker und Musikerinnen und Bands haben sich in zweijähriger Arbeit daran gemacht, etliche seiner Lieder neu und modern zu interpretieren.

Unter dem Motto »Zeiten verbinden« ist das Album »Wolf Biermann Re:Imagined: Lieder für jetzt!« zu seinem 88. Geburtstag am 15. November erschienen. Als Ziel nennt Produzent Johann Scheerer, Biermanns musikalisches Werk der nachwachsenden Generation zugänglich zu machen und so eine Brücke zu schlagen zur heutigen Zeit, in der seine poetischen Lieder wie »Wann ist denn endlich Frieden in dieser irren Zeit« oder »Du lass’ Dich nicht verhärten« angesichts von Krisen und Kriegen unverändert Bedeutung haben. Mit dabei auf dem ersten Album, dem weitere folgen sollen, sind 22 Künstlerinnen und Künstler wie Torch, Albrecht Schrader, Charlotte Brandi, Moritz Krämer, Bonaparte, Das Bierbeben, Mola, Jan Plewka, Katharina Franck und Peter Licht, aber auch das unvergessene DDR-Jazz-Duo Ulrich Gumpert und Günter Baby Sommer. Und natürlich Biermann selbst.

Nicht alles auf der Platte wirkt gelungen, jedenfalls für diejenigen, die Biermanns Originalsound lieben und schätzen. Aber die neuen Fassungen, teils im Hiphop-Stil, zeigen, dass nicht nur seine Texte, sondern auch seine Musik selbst junge Künstler, die mit der DDR-Geschichte nichts zu tun haben, inspirieren. Bei einem Konzert zur Veröffentlichung des Albums im Hamburger Thalia-Theater kokettierte Biermann: »Ich habe nichts damit zu tun.« Dabei hat seine jetzige Frau, die Sängerin Pamela Biermann, die Neuinterpretationen angeregt. Und so variierte er am Ende ein Gedicht von Heinrich Heine: »Andere Zeiten. Andere Vögel singen meine alten Lieder. Mir gefällt es. Denn mir wachsen andere Ohren.«

Wolf Biermann Re:Imagined: Lieder für jetzt! Label Clouds Hill

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2024-1/2025