Bereits in den 1980er Jahren schwappte die amerikanische Hip-Hop-Bewegung nach Europa über. Damit fand auch Rap, als zentrale Kulturpraxis des Hip-Hop, in Deutschland Anhänger. Durch selbst organisierte Veranstaltungen in Jugendzentren oder Gemeindehäusern und eine aktive Vernetzung von Hip-Hop-Anhängern etablierte sich im Verlauf der 1990er Jahre Hip-Hop zur dominanten Jugendkultur. Ab Anfang der 2000er Jahre entwickelte sich das Sub-Genre Gangsta-Rap zur bis heute kommerziell erfolgreichsten Sparte des deutschsprachigen Rap. Der Gangsta-Rap lässt sich weniger musikalisch, vielmehr über die in den Texten verhandelten Erzählungen von anderen Spielarten des Rap abgrenzen. Im Gangsta-Rap lässt sich seit längerer Zeit beobachten, dass ein männlichkeitsfokussierter Körperkult und autoritäre Machtfantasien zentrale Motive der Selbstinszenierung der hauptsächlich männlichen Künstler bilden. Dies führte in der jüngeren Vergangenheit zu kleineren Skandalen, die partiell auch im Interesse der Interpreten gelegen haben dürften, weil sie die Selbstinszenierung als gesellschaftliche Outlaws und Tabubrecher bestätigten. Im Frühjahr 2018 löste die Verleihung des Musikpreises ECHO an die beiden Gangsta-Rapper Kollegah und Farid Bang eine breite Debatte über antisemitische Inhalte im deutschsprachigen Gangsta-Rap aus. Dabei wurde deutlich, dass antisemitische Motive in keinem anderen Genre populärer Musik so offen in Erscheinung treten. Die Kritik wurde von der überwiegenden Mehrheit der Genre-Vertreter abgewehrt: Übertreibung sei ein Stilmittel des Rap, man dürfe das lyrische Ich nicht mit der Realperson identifizieren, zudem würden die Jugendlichen die Texte nicht verstehen, oder umgekehrt, die Jugendlichen würden sehr wohl verstehen, dass es sich um Inszenierungen handelt.

Da bislang keine belastbaren Daten über den Zusammenhang von Gangsta-Rap-Konsum und menschenfeindlichen Einstellungsmustern seiner Hörer vorliegen, haben wir mit unseren Kollegen, Ullrich Bauer, Baris Ertugrul und Vanessa Walter, und finanziert durch die Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die Studie »Die Suszeptibilität von Jugendlichen für Antisemitismus im Gangsta-Rap und Möglichkeiten der Prävention« durchgeführt. Durch Einzelinterviews und Gruppengespräche sowie einer regionalen Befragung von 500 Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen wurden mögliche Korrelationen zwischen Gangsta-Rap-Konsum und antisemitischen, frauenfeindlichen und rassistischen Einstellungen ermittelt.

Zentrale Ergebnisse

Die Ergebnisse der quantitativen Befragung deuten darauf hin, dass Gangsta-Rap-Konsumenten sowohl antisemitischer als auch frauenfeindlicher eingestellt sind als Nicht-Hörer. In der Gruppe der sehr antisemitischen Jugendlichen hören 81,4 Prozent gerne oder sehr gerne Gangsta-Rap, in der Gruppe der nicht antisemitischen Jugendlichen sind dies nur 48,9 Prozent. Die Zahlen bestätigen die Affinität der Gangsta-Rap-Hörer zu antisemitischen Einstellungen. Dass fast die Hälfte der nicht antisemitischen Jugendlichen Gangsta-Rap hört, zeigt zugleich, dass wir es nicht mit einfachen Wirkzusammenhängen, sondern mit komplexen Wechselwirkungen bei Jugendlichen zu tun haben, deren Haltungen mitunter diffus und widersprüchlich sind.

Die Fähigkeit von Jugendlichen, Antisemitismus zu erkennen, ist nur schwach ausgebildet. Die Unsicherheit im Umgang mit den kruden Ideen, die Rapper in ihren Liedern, vor allem aber über die professionell bedienten Social-Media-Kanäle verbreiten, bestätigt sich in der qualitativen Untersuchung. Hier zeigt sich, dass die Selbstinszenierung der Rapper als Gesellschaftskritiker häufig ernst genommen wird. Sowohl die Gangsta-Rapper als auch das Genre wird als sozial- und gesellschaftskritisch wahrgenommen. 44 Prozent der Befragten sind der Auffassung, dass im Gangsta-Rap »Menschen mit viel Geld und Macht kritisiert« werden, 43 Prozent, dass darin »Missstände der Welt angesprochen werden«.

Der Großteil der Interviewten empfand die Inhalte von Texten und die im Genre populären Interviewformate als Anregung zum Nachdenken und als Anlass, bestehendes Wissen zugunsten der verschwörungsideologischen Aussagen zu hinterfragen. Zwar werden in der Auseinandersetzung mit spezifischen Verschwörungserzählungen besonders unplausible Erzählungen wie etwa die der flachen Erde, die sogenannte Flat-Earth-Theory, eher abgelehnt. So reagiert ein 14-jähriger männlicher Befragter auf Ausschnitte aus einem Videointerview von Leon Lovelock mit Kianush: »Ab dem Zeitpunkt ›Erde flach‹, das glaube ich nicht richtig. Was er davor gesagt hat, fand ich schlau und richtig. Ich dachte aber dann, was labert er da.« Bemerkenswert ist hier, dass der Jugendliche sich dabei auf das Gespräch der beiden über den islamistischen Anschlag auf das World Trade Center bezieht: 9/11, so die beiden Rapper, sei nicht das gewesen, wonach es offiziell aussieht. Vielmehr würden Vorfälle dieser Art von Regierungen inszeniert, zumindest hätte es so etwas schon vorher gegeben, bestätigen sich die beiden wechselseitig. »Die Leute, die das verantworten, das sind für mich keine Menschen mehr«, so Leon Lovelock, der hier wohlgemerkt nicht die islamistischen Attentäter meint, sondern jene Amerikaner, die er als Drahtzieher der Anschläge ausmacht. Es sind solche Erzählungen, die der 14-Jährige als »schlau« und »richtig« qualifiziert.

Handlungsempfehlungen

Mit Blick auf unsere Forschungsergebnisse zum Zusammenhang von antisemitischen Einstellungsmustern und Gangsta-Rap-Konsum muss davon ausgegangen werden, dass sinnvolle Präventionsmaßnahmen differenziert Zielgruppen adressieren. Dabei muss die tiefe Verankerung antisemitischer Codierungen im Lebensalltag berücksichtigt werden. Daher sollten Präventionsmaßnahmen nicht nur auf die Vermittlung von Wissen setzen, sondern auch die häufig im Kontext von Antisemitismus mobilisierten Emotionen reflektieren. Ein zentraler Aspekt erfolgreicher Prävention ist die Förderung von Medienkompetenz – und insbesondere die Kompetenz im Umgang mit sozialen Medien. Dies erfordert die Fortbildung des Lehrpersonals, das dazu befähigt werden muss, die Funktionsweisen von sozialen Medien und deren lebensweltliche Bedeutung für Kinder und Jugendliche zu kennen. Darüber hinaus muss auf Ebene der Lehrkräfte die Fähigkeit gestärkt werden, Antisemitismus zu identifizieren und ihm im Kontext Schule in Form von Prävention, Intervention und notfalls Repression adäquat begegnen zu können. Auf gesellschaftlicher Ebene wäre vor allem eine Diskussion über die antisemitischen, homophoben, frauenverachtenden und gewaltverherrlichenden Texte und Social-Media-Inhalte notwendig, die durchaus mit den Künstlern, aber auch deren Labels und den Streamingplattformen zu führen ist.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2021-01/2022.