»Haltung zeigen. Demokratie verteidigen« lautete der Titel einer Tagung, die der Landschaftsverband Westfalen-Lippe am 14. und 15. Oktober in Dortmund unter anderem mit dem Deutschen Kulturrat als Kooperationspartner veranstaltete. Barbara Rüschoff-Parzinger gibt im Interview Auskunft über Anlass und Wirkung der Tagung.

 

Barbara Haack: Woher kam der Impuls zu dieser Tagung?

Barbara Rüschoff-Parzinger: Wir veranstalten 2024 ein Themenjahr zum Thema Postkolonialismus. Wir wollen damit grundsätzlich aufzeigen, welche Machtstrukturen, welche Handelswege, welche etablierten Strukturen es heute nach dem Kolonialismus noch gibt. Wie wirken sich diese aus, und wie betrifft das auch Menschen im ländlichen Raum? Wie betrifft uns das alle, ohne dass wir es wissen? Es war uns wichtig, deutlich zu machen, dass sich postkoloniale Strukturen bis heute ins Tiefste hinein, in die Sprache, das Essen, in Verhaltensweisen auswirken.

 

Wie haben Sie das umgesetzt?

Es gibt insgesamt 22 Projekte. Bei der Vorbereitung der zentralen Ankerausstellung im LWL-Museum Zeche Zollern stellte sich die Frage: Sollen Nichtbetroffene eine Ausstellung über Betroffene machen? Schwierig! Also wollten wir Personen, die besonders von Rassismus betroffen sind, einbeziehen. Wir haben verschiedene Kooperationspartner darum gebeten, bei der Ausstellung intensiv mitzuarbeiten. Aus diesem Austausch entstand die Idee, in der sogenannten Ausstellungswerkstatt das Format »safer space« einzuführen.

 

Wie sah dieser »safer space« konkret aus?

Wir haben für Menschen, die von Rassismus betroffen sein könnten, einen Raum im Museum vorgesehen. Dieser Bereich sollte samstags für vier Stunden Black and People of Color vorbehalten sein. Wir haben unsere Besuchenden darum gebeten, uns dabei zu unterstützen, den »safer space« in diesem sehr eingeschränkten Zeitraum zu respektieren – ohne das genauer zu definieren oder zu kontrollieren. Das Konzept basierte auf Respekt und Verständnis. Das hat lange wunderbar funktioniert, bis die AfD einen shitstorm ausgelöst hat. »Antenne Frei.de« hat in diesem »safer space« und im Museum einen Film gedreht, ins Internet gestellt und das Ganze als »Rassismus gegen Weiße« kommuniziert.

Dann ging der shitstorm los, mit heftigsten persönlichen Angriffen. Die Mitarbeitenden des Museums wurden mit Namen ins Netz gestellt und verbal bedroht. Ich habe deshalb Kontakt zum Deutschen Kulturrat aufgenommen und ihn und andere um Stellungnahmen gebeten. Man kann so einen »safer space« selbstverständlich auch kritisch betrachten. So ist die Idee entstanden, offen darüber zu diskutieren.

Als der Deutsche Kulturrat aufgetreten ist, war der shitstorm sehr schnell vorbei. Auch die Berichterstattung hat sich grundlegend verändert.

 

Was wollten Sie mit der Tagung erreichen?

Der shitstorm hat mir in vielen Bereichen die Augen geöffnet. Ich habe gelernt, dass wir vorbereitet sein müssen.

 

Die Augen geöffnet – wofür?

Dafür, dass Kultureinrichtungen bereits Zielscheibe sind. Und dass Kultureinrichtungen, wenn sie ihre Kunstfreiheit erhalten wollen, wehrhaft sein müssen, Instrumente an die Hand bekommen und sich vernetzen müssen.

Die Art und Weise, wie wir diesen shitstorm gemanagt haben, wird jetzt bundesweit als vorbildlich angesehen. Wir haben erst einmal alle Mitarbeitenden geschult: Wie gehen sie mit Extremsituationen von links, von rechts um? Wie können sie angemessen darauf reagieren? Wie können sie Ruhe bewahren? Wie sind die Meldewege? Wie müssen wir im Netz agieren? All das haben wir erarbeitet, und dieses Wissen wollten wir weitergeben.

Es geht nicht immer nur um die großen Kultureinrichtungen. Es geht auch um viele Einrichtungen in ländlichen Bereichen, wo das Ehrenamt ausdünnt und Strukturen wegbrechen. Wo sich extreme Tendenzen etablieren, wo eine große Unsicherheit herrscht, wie damit umzugehen ist. Was können wir noch machen? Was trauen wir uns?

 

Gibt es – neben dem shitstorm – in Ihrem Umfeld andere Beispiele, an denen Sie merken, dass es diesen Druck auf Museen gibt?

Ja, wir hatten in Hagen aktuell einen extrem rassistischen shitstorm. Wir sind immer mit der Polizei eng verbunden. Wir sind auch mit dem Staatsschutz in Verbindung. Daran sieht man, dass das alles nicht harmlos ist. Meine Sorge ist, dass aus einer Verunsicherung heraus demokratische Politik schon fragt, ob bestimmte Themen überhaupt noch behandelt werden sollen.

Wir müssen weiterhin die Möglichkeit haben, schwierige, gesellschaftspolitisch relevante Themen zu besprechen und auch in Ausstellungen zu behandeln. Wenn wir das nicht machen, sind wir Blümchentapete. Wichtig ist: Der gesellschaftliche Diskurs kann und sollte nicht nur, aber auch in Museen stattfinden.

 

Gibt es konkrete Ideen, wie Museen agieren werden?

Wir werden ein großes Projekt auf den Weg bringen, um genau das pilothaft zu testen: Wie können Museen ihre Relevanz erweitern? Wie können sie einen Beitrag leisten, um faktenbasiert aufzuklären? Um ein Ort zu sein, der nicht im Verdacht steht, dass er politisch getriggert ist, egal von welcher Partei, sondern ein Museum, das als neutraler Ort Themen verhandelt.

Wir verlernen gerade, in den Diskurs zu gehen, mehrere Meinungen stehenzulassen. Da können Kunst und Kultur helfen, Diskussionsräume zu schaffen und Diskussionen zuzulassen: Aushalten, nicht verurteilen! Ich habe in dem Diskurs sehr viel gelernt und meine Sichtweisen verändert. Das müssen wir wieder lernen. Das waren auch Themen für unsere Tagung »Haltung zeigen«.

 

Wie lautet das Fazit der Tagung?

Die Tagung hat gezeigt, dass Museen eine ganz wichtige Rolle im gesellschaftspolitischen Diskurs zukommt: Einerseits genießen Museen einen großen Vertrauensvorschuss – das zeigt eine aktuelle Studie des Instituts für Museumsforschung. Andererseits werden sie als aktive Orte der Demokratie verstanden mit großem Potenzial, die gesellschaftliche Zusammengehörigkeit zu stärken. Deutlich wurde aber auch, wie hoch der Druck auf Kultureinrichtungen ist, die sich mit vermeintlich kritischen Themen auseinandersetzen. Der Balanceakt zwischen unbequemen Themen und der Angst vor Instrumentalisierung bis hin zum shitstorm ist sehr real, gleichzeitig fühlen sich viele Häuser dafür nicht bereit. Die Schlussfolgerung darf aber nicht sein – und das zog sich durch die gesamte Tagung –, dass bestimmte Themen aus Unsicherheit nicht auf dem Programm stehen. Um dieser Unsicherheit zu begegnen, wurden eine stärkere Vernetzung des Kulturbereichs, kollegialer Austausch und die Weitergabe von Strategien und Learnings gewünscht, was auch der Grundgedanke der Tagung war. Mein persönliches Fazit lautet: Museen sind zwar neutrale Orte, können und sollen – mit Blick auf das Grundgesetz und die dort verankerten Werte – aber Haltung zeigen.

 

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2024.