Im Jahr 1989 erlebte die DDR mit der Friedlichen Revolution und der anschließenden Deutschen Einheit 1990 einen bedeutenden Wandel, der nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa und darüber hinaus beeinflusste. Die Revolution in der DDR ist Teil einer mitteleuropäischen Bewegung, die ihren Anfang in Polen und Ungarn nahm und sich anschließend auf die DDR und die Tschechoslowakei ausdehnte. Bereits zuvor gab es in den baltischen Staaten eine umfassende gesellschaftliche Bewegung, die auf die Unabhängigkeit ihrer Nationen abzielte. Obwohl jeder dieser Umbrüche eine eigene, lange Vorgeschichte und spezifische Entwicklung aufwies, sollten sie im Kontext der dynamischen Ereignisse von 1989 betrachtet werden.
Der Wille, nicht mehr durch Grenzen am Reisen außerhalb der sozialistischen Staaten gehindert zu werden, frei zu sein, die sich verschlechternden materiellen Lebensbedingungen, die latente unterschwellige Angst, nicht alles sagen zu dürfen, und zum Teil katastrophale Umweltbedingungen waren einige der Gründe, die schließlich dazu führten, dass am 9. Oktober 1989 viel mehr Menschen als sonst an vielen Orten der DDR auf die Straße gingen. Natürlich waren wir ermutigt durch die Grenzöffnung in Ungarn und die Ausreisegenehmigung für die Flüchtlinge in der Prager Botschaft. Und wir hofften auf eine friedliche Lösung. Diese Hoffnung speiste sich aus der Glasnost-Politik von Michael Gorbatschow.
Ein wichtiger Schritt zur Demokratisierung fing deshalb in der Sowjetunion selbst an: Mit Glasnost und Perestroika wurden zwei bedeutende politische Konzepte unter der Führung von Michail Gorbatschow in den 1980er Jahren eingeführt. Zusammen trugen Glasnost und Perestroika dazu bei, die politischen und wirtschaftlichen Strukturen der Sowjetunion zu reformieren und führten letztendlich zum Zerfall der Sowjetunion im Jahr 1991. Aber eben auch zur Ansage aus Moskau, dass die Panzer in den Kasernen bleiben sollten. Die Ereignisse in den osteuropäischen Ländern verliefen dabei unterschiedlich. Noch heute gibt es unterschiedliche Bewertungen der Ereignisse.
Das gilt auch für Deutschland. In der westdeutschen Erzählung gilt immer noch das Handeln von Helmut Kohl als ausschlaggebend für die Deutsche Einheit. Zur Wahrheit gehört aber, dass ohne den Druck der mutigen Menschen in Ostdeutschland, die auf die Straße gingen und Reformen forderten, nie ein geeintes Deutschland hätte entstehen können. Daher bestehe ich auch darauf, dass es kein »Mauerfall« war, sondern ein »Einreißen der Mauer«.
Außerdem wird die Zeit der Einigung bis heute verklärt dargestellt. Im November 1989, als die Mauer eingerissen wurde, existierte noch keine anerkannte Regierung der DDR, die im Namen der Ostdeutschen Verhandlungen führen konnte. Zunächst war es notwendig, friedliche Gespräche mit den damaligen Verantwortlichen am Zentralen Runden Tisch zu führen, um eine Grundlage für echte demokratische Wahlen zu schaffen. Die Etablierung einer Demokratie war somit eine wesentliche Voraussetzung für die Wiedervereinigung. Der Prozess der Deutschen Einheit hing von der Selbstdemokratisierung der Ostdeutschen ab, die 1989 eine tatsächlich demokratische DDR hervorbrachten. Nur diese konnte schließlich legitimierte Verhandlungen über die Deutsche Einheit führen.
Die neu gewählte Volkskammer und die demokratische Regierung der DDR standen vor enormen Herausforderungen. Sie mussten die Gespräche zur Deutschen Einheit vorbereiten und im Sinne ihrer Bürger führen. Gleichzeitig war es erforderlich, die kommunistischen Strukturen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft der DDR zu reformieren und zu demokratisieren. Der Zentrale Runde Tisch sowie zahlreiche regionale Runde Tische hatten bereits vorsichtige Schritte wie die Entmachtung der Staatssicherheit unternommen. Dazu gehörten die Aufarbeitung der Vergangenheit sowie die Zugänglichkeit zu Akten der Staatssicherheit, welche nach vielen Widerständen im Westen gelang.
Der Prozess zur Deutschen Einheit war aber weit mehr. Er musste grundlegend und strategisch so gestaltet werden, dass er mit den bestehenden Strukturen der Bundesrepublik Deutschland in allen Lebensbereichen vereinbar war. Eine Aufgabe, die das gesamte Leben, Arbeiten, Wohnen, Schule, Ausbildung, Währung, Kranken- und Rentenversicherungen und vieles mehr betraf.
Die Erzählung über die verhandelte Einheit, in der die Ostdeutschen als aktive Akteure agieren, bleibt bis heute weitestgehend unerzählt. Es ist wichtiger denn je, den Prozess der Deutschen Einheit als einen Selbstbestimmungs- und Verhandlungsprozess der Ostdeutschen zu betrachten und ernst zu nehmen. Eine tiefere Analyse dieser Verhandlungen im Kontext der dynamischen Entwicklungen ermöglicht ein differenzierteres Urteil über den Einigungsprozess, einschließlich seiner Erfolge und Mängel. Nur so können wir auch heute noch verbreitete, vereinfachte Bewertungen hinterfragen. Es ist entscheidend für das Selbstverständnis der ehemaligen DDR-Bürger zu erkennen, dass die Friedliche Revolution und die Deutsche Einheit nicht einfach ein Schicksal waren, das über sie kam, sondern dass sie selbst aktive Teilnehmer in diesem bedeutenden Prozess für ein vereintes Deutschland und Europa waren.
Für die heutige Gesellschaft ist zudem das geplante »Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation« in Halle (Saale) von außerordentlicher Bedeutung. In einem umfassenden Diskurs sollen insbesondere für die jüngeren Generationen die oft komplexen Entwicklungen und Veränderungen in Ostdeutschland seit 1989 differenziert dargestellt werden, um sie als grundlegende und zukunftsorientierte Erfahrungen für ganz Deutschland sichtbar zu machen. Dabei werden auch vergleichbare Veränderungen in anderen Ländern mit kommunistischer Vergangenheit betrachtet werden müssen sowie der Aufbau eines engen Dialogs, insbesondere mit den mittel- und osteuropäischen Staaten. Das Zukunftszentrum schafft einen dauerhaften Raum für den Austausch zwischen Ost und West sowie zwischen den verschiedenen Generationen. Wir müssen aus den Erfahrungen der Transformationsjahre wichtige Erkenntnisse für die Zukunft eines vereinten Deutschlands und Europas ableiten.