Zwei Jahre nach dem Brexit: Wie ist die Situation in Kultur und Bildung in Großbritannien? Wie kann die künftige bilaterale Zusammenarbeit zwischen dem Vereinigten Königreich und Deutschland gelingen? Sandra van Lente fragt beim Direktor des British Council in Deutschland nach.

Sandra van Lente: Vor etwa zwei Jahren hat das Vereinigte Königreich die EU verlassen. Welche Auswirkungen hatte das auf die Kulturbranche?

Paul Smith: Ich sage ganz offen, dass es aktuell noch ein paar Schwierigkeiten gibt und einige Aspekte, die wir erst klären müssen. Kulturschaffende in beiden Ländern müssen informiert werden, was unter den neuen Bedingungen alles zu beachten ist. Und dann gibt es am Anfang natürlich viele technische, taktische und logistische Fragen. Im Kulturbereich stellt sich z. B. die Frage, wie Tourneen organisiert werden können.

Ganz grundsätzlich versuchen wir, insbesondere hier beim British Council, den Brexit so irrelevant wie möglich zu machen. Unsere Länder haben schon immer starke Wirtschaftsbeziehungen in Kunst und Kultur unterhalten und wir sind uns in vielen Dingen sehr ähnlich. Ich denke, es gibt eine Entschlossenheit, dass trotz der kurzfristigen Schwierigkeiten die Beziehungen zwischen unseren Ländern und Kulturbranchen nicht nur aufrechterhalten, sondern sogar noch ausgebaut werden sollten. Wir sagen es immer wieder und meinen das auch so: Wir haben die EU verlassen, aber nicht Europa.

Wie gestaltet sich der Austausch mit britischen Kulturschaffenden?

Der British Council ist permanent in Kontakt mit vielen Kulturschaffenden in Großbritannien und in den etwa 120 Ländern, in denen wir vertreten sind. Vielleicht darf ich hier daran erinnern, dass wir – ähnlich wie das Goethe-Institut – zwar offizielle Repräsentanten für Großbritannien sind, aber nicht Teil der Regierung. Wir tragen keine Verantwortung für politische Entscheidungen; wir möchten eine hilfreiche Brücke sein zwischen den Kulturschaffenden in beiden Ländern.

Wir haben eine Webseite, auf der sich Kulturschaffende über den aktuellen Stand der Dinge informieren können: Wie kann ich z. B. von Deutschland nach Großbritannien touren? Was sind die aktuellen Visumsregelungen? Was muss ich beim Transport von Equipment beachten? Wir sind nicht die Entscheidungsträger, aber wir sind die Interessensvertretung, die die Regierung dahingehend berät, was in ihrem besten Interesse und dem der Künstlerinnen und Künstler liegt.

Wir wollen starke und nachhaltige Beziehungen und Netzwerke zwischen Kulturschaffenden in unseren Ländern aufbauen.

Gibt es Sparten, die für die Fortführung des kulturellen Austauschs und der wirtschaftlichen Beziehungen gute Strategien entwickelt haben? Was können wir von ihnen lernen?

Kulturschaffende haben ein großes Interesse daran, ein breites Publikum zu erreichen – landesweit und international – und sie sind fest entschlossen, das zu erreichen. Gerade letzte Woche habe ich ein Stück im HAU gesehen. Eine Performance von Gob Squad – ein britisch-deutsches Kollektiv mit Sitz in Nottingham und Berlin, das es schon seit fast 30 Jahren gibt, und noch immer eine wichtige Stimme ist. Ihre Kombination von britischen und deutschen Perspektiven ist ein Aspekt, der sie so besonders macht.

Und das alles funktioniert trotz der aktuellen Schwierigkeiten und vor allem auch trotz des Schadens, den wir durch Corona erlitten haben.

Darum sind wir mehr denn je entschlossen, unsere Beziehungen nicht nur weiter zu pflegen, sondern sogar noch zu erweitern und neue Netzwerke zu knüpfen, ganz so wie es viele Kulturschaffende in beiden Ländern wünschen.

Ein gutes Beispiel dafür ist unser neues Programm, das wir mit dem Fonds Soziokultur aufgelegt haben: »Cultural Bridges«. In kurzer Zeit und mit begrenzten Mitteln haben wir ein neues Programm geschaffen, in dem sich Kulturschaffende in Deutschland und Großbritannien mit einem gemeinsamen Projekt bewerben können, das in beiden Ländern funktioniert. Die Gewinner-Organisationen wurden ausgewählt und haben Fördergelder gewonnen, um gemeinsame Projekte zu starten. Es gibt bereits sieben Teams in Deutschland und sieben Teams in Großbritannien, die darüber gefördert werden und zusammenarbeiten.

Die deutsche Seite der Finanzierung übernimmt der Fonds Soziokultur und in Großbritannien sind es der British Council und alle vier Arts Councils, also in Schottland, Nordirland, England und Wales. Und ich sage Ihnen eins: Diese vier Arts Councils haben noch nie ein internationales Projekt miteinander auf die Beine gestellt! Noch nie! Aber sie haben diese besondere Chance erkannt und wollen auf diese Art bilaterale Kooperationen zwischen unseren Ländern anstoßen. Solche Möglichkeiten wollen wir nun verstärkt schaffen.

Jacks Thomas vermutete in der Politik & Kultur 5/2018, dass dem British Council nach dem Brexit nun eine noch wichtigere Rolle zukommen werde. Hat sich das bestätigt? Inwiefern hat sich die Arbeit des British Council verändert?

Ich denke, dass sich mit Blick auf die deutsche Kulturbranche zwei Dinge geändert haben. Einmal, wie eingangs erwähnt, noch entschlossener zu handeln und langfristig neue Kooperationsmöglichkeiten zu schaffen. Das sind nicht nur schöne Worte, das meinen wir so.

Und zum Zweiten organisieren wir in Deutschland immer weniger eigene Projekte. Eine der Ausnahmen ist das British Council Literaturseminar, das wir seit über 35 Jahren organisieren, und das sich dieses Jahr vom 24. bis 26. Februar mit Literatur aus Nordirland auseinandersetzt.

Wohin stecken wir also nun unsere Energie, Zeit und Geld? Drei Worte, die ich in diesem Zusammenhang gerne benutze, sind: Vermittlung, Vernetzung, Kommunikation. In unserer neuen Rolle vernetzen wir eher deutsche und britische Organisationen, helfen ihnen Partner, Projekte und Orte zu finden. Mit unserer neuen Strategie hoffen wir, auch neue Zielgruppen zu erreichen und unser Publikum zu vergrößern.

Dabei wollen wir auch proaktiv zu den großen Fragen unserer Zeit arbeiten, die die Kunst- und Kulturbranche beeinflussen. Ein Bereich, in dem der British Council sehr aktiv ist und der uns sehr wichtig ist, ist Inklusion, der Umgang mit Behinderungen. In einem großen Projekt arbeiten wir insbesondere mit Kampnagel in Hamburg zusammen und überlegen, wie wir Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten besser einbeziehen können. Wir haben in den letzten sechs Monaten einen wegweisenden Report – den einzigen internationalen Überblicksbericht – über Behinderungen in der Kulturbranche, eine Bestandsaufnahme und Chancen für die europäische Kulturbranche veröffentlicht. Es handelt sich um eine Bestandsaufnahme und listet Chancen für die europäische Kulturbranche. Wir sind da führend, bringen das Thema auf die Agenda und sind Fürsprecher und Vorkämpfer.

Was müsste passieren, damit wieder mehr und einfacherer Austausch stattfinden kann?

Öffentliche Mittel, um Kulturschaffenden mehr zu ermöglichen, sind natürlich eine wichtige Maßnahme. Und internationaler Austausch sollte mit eingeschlossen sein, nicht nur die Kultur im eigenen Land. Hierbei geht es nicht um Diplomatie, sondern eine kulturelle Verständigung, die über die Kunst und Kultur wesentlich facettenreicher stattfinden kann als über andere Austauschmöglichkeiten.

Eine großartige Sache, die Deutschland und Großbritannien gemeinsam haben, ist, dass wir uns einer Vereinnahmung der Kunst durch die Politik verwehren.

Das zeigt sich exemplarisch an zwei Institutionen, die es eben weltweit nur in diesen beiden Ländern gibt: das Goethe-Institut, für das ich den größten Respekt hege, und der British Council. Sie sind die einzigen offiziellen Kulturvertretungen ihrer Länder, die nicht der jeweiligen Regierung unterstehen und inhaltlich unabhängig sind.

Die Reise-, Auftritts- und Kooperationsmöglichkeiten vor Ort waren oder sind teilweise noch wegen Corona eingeschränkt. Verdeckt die aktuelle pandemische Lage die eigentlichen Auswirkungen des Brexits?

Das kann man so sehen. In einer Zeit, in der der Brexit Reisen, Papierkram und Auftritte komplizierter hätte machen können, waren wir plötzlich auch mit der Pandemie konfrontiert. Ich denke aber nicht, dass es irgendjemand als Ausrede nutzt.

Uns ist klar, dass wir eine konstruktive Lösung finden müssen, wie wir in Zukunft touren und zusammenarbeiten können. Und aktuell sieht es ja auch so aus, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen in unseren beiden Ländern, dass wieder mehr möglich sein wird. Es bleibt einiges zu tun.

Sie erwähnten die sogenannte »Cultural Convention«, das Europäische Kulturabkommen. Was können Sie uns über dessen Neuauflage sagen? Was sind ihre Hoffnungen daran?

Seit 1958 gab es das Europäische Kulturabkommen und eine Gruppe von acht Vertretern, die die kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich stärken sollten; allerdings hatte sich diese Gruppe seit 1993 nicht mehr getroffen.

Britische Regierungsvertreter und die damalige Staatsministerin für Internationale Kulturpolitik im Auswärtigen Amt, Michelle Müntefering, regten die Anknüpfung an das Abkommen an, um einen konstruktiven Weg nach vorne zu beschreiten. Und Angela Merkel und Boris Johnson verständigten sich in einer gemeinsamen Pressekonferenz auf die Wiederbelebung des Kulturabkommens. Durch den Regierungswechsel in Deutschland hat sich der Prozess etwas verzögert, aber ich hoffe, dass wir noch in diesem Kalenderjahr ein neues Kulturabkommen haben werden.

Nun sind solche Abkommen oft sehr vage gehalten. Wir wünschen uns aber, dass dieses Abkommen mehr sein wird als schöne Worte. Wir wünschen uns ein Gremium mit ganz unterschiedlichen Expertinnen und Experten, die, wenn sie auch keine Fördermittel verteilen können, doch viele und vielfältige Kooperations- und Austauschprogramme initiieren und Rahmenbedingungen schaffen können.

Durch diese Treffen wird deutlich werden, was es schon alles an produktiven Programmen gab und gibt und auf welchen Reichtum wir aufbauen können. Das könnten wir dann ausweiten. Und wir könnten neue Partner finden, beispielsweise in Unternehmen oder Stiftungen, die an der Stärkung unserer Beziehungen mitwirken wollen. Ich hoffe, dass das neue Kulturabkommen bald ein bedeutender Schritt in diese Richtung sein wird.

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2022.