Nach fünf Jahren lohnt sich ein Rückblick auf die Arbeit des Ausschusses für Kultur und Medien im Europäischen Parlament. Barbara Haack sprach mit der Vorsitzenden über Meilensteine und Hoffnungen für die Zukunft.
Barbara Haack: So kurz vor der Europa-Wahl sind Sie sicher gut beschäftigt.
Sabine Verheyen: Das ist aber auch eine schöne Zeit, weil man mit sehr vielen Menschen in Kontakt kommt und miteinander redet. Das ist etwas, das wir auch außerhalb von Wahlkampfzeiten viel häufiger bräuchten: einen politischen Diskurs – mit Respekt voreinander auch bei unterschiedlichen Meinungen. Ich habe das Gefühl, dass das in den letzten Jahren deutlich verloren gegangen ist. Ich denke, dass das viel mit Social Media zu tun hat, mit der Art, wie Algorithmen aufgebaut sind, sodass Vielfalt, auch Meinungsvielfalt, nicht mehr gewährleistet ist. Die Reflexion über die eigene Position und über die des anderen findet in dem Maße nicht mehr statt, wie das früher der Fall gewesen ist.
Welche Rolle können Kunstund Kultur in diesem Zusammenhang spielen?
Wenn man der Gefährdung der Demokratie von außen und von innen begegnen will, sind Bildung und Kultur unendlich wichtig. Das haben wir in den letzten Jahren immer mehr vernachlässigt – ob das kulturelle oder politische Bildung in den Schulen ist, oder ob es Lernen an informellen Lernorten ist. Es gibt zwar theoretisch jede Menge Angebote, aber wenn man sich anschaut, wie viele daran wirklich partizipieren, dann haben wir eine ganz große Zahl von Menschen, die gar nicht mehr in den Diskurs eingebunden sind.
Dabei haben die unterschiedlichen Kulturformen Möglichkeiten, nicht nur mit Worten, sondern auch über andere Kommunikationsmittel einen demokratischen Diskurs anzusteuern, auch gesellschaftliche Probleme, unterschiedliche Meinungen und Positionen aufzudecken.
Gelingt das in der Praxis?
Zum Teil ja! Wenn ich an manchen Poetry Slam denke, wo ja gesellschaftliche Themen aufgegriffen werden, oder an bestimmte Songtexte: Da findet durchaus Reflexion statt. Viele Menschen konsumieren Kunst und Kultur heute allerdings nur noch individuell. Ich denke an die Menschen, die mit dem Handy in der Hand und mit schallabwehrenden Kopfhörern durch die Gegend laufen. Die Relation zur Umwelt findet dann nicht mehr statt. Ich glaube, wir brauchen wieder mehr Räume – das ist in der Coronazeit ein bisschen verloren gegangen –, wo wir wieder gemeinsam Kunst und Kultur erleben, wo auch gemeinsam die Gesellschaft hinterfragt oder bestätigt wird. Ich glaube, dass wir auch viel zu wenig wahrnehmen, welches Glück wir haben, in einer Region wie der Europäischen Union zu leben, wo künstlerische Freiheit, wo Meinungsfreiheit, wo Medienfreiheit noch einen Stellenwert haben. Ich weiß, dass das teilweise auch unter Attacke war, wenn ich an Polen oder Ungarn denke.
Rechtssysteme, die Unabhängigkeit der Kunst und der Medien und die Unabhängigkeit der Bildung sind die ersten Dinge, die überall dort eingeschränkt werden, wo einseitige Machtansprüche geltend gemacht werden. Da merkt man dann, wie auch darüber Einfluss auf Gesellschaft genommen werden kann. Deshalb sind Unabhängigkeit und Vielfalt im kulturellen Bereich so ungeheuer wichtig, um demokratische Grundprinzipien zu vermitteln.
Sie haben die Medien angesprochen: Wie sehen Sie die Entwicklung der letzten Jahre und die aktuelle Situation, wenn man den »Dreiklang« aus Freiheit der Medien – Verantwortung der Medien – Kontrolle der Medien, z. B. im Bereich großer Plattformen oder Messenger-Diensten anschaut?
Wir beobachten schon seit längerer Zeit schrittchenweise den Verfall von Medienfreiheit. Medienschaffende sind immer stärker unter Attacke. Das ist auch in Europa ein Problem, nicht nur in Polen oder Ungarn. Medien müssen die Freiheit haben, geschützt unbequem zu sein. Aber diese Freiheit bedeutet natürlich auch Verantwortung. Eine Medienlandschaft als wichtiges Element in der Demokratie funktioniert nur, wenn sie vielfältig ist, wenn wir ein breites Spektrum unabhängiger Medien haben, unterschiedliche Angebote, die die unterschiedlichen Blickwinkel und Sichtweisen reflektieren und spiegeln. Mit dem Media Freedom Act haben wir jetzt die Rahmenbedingungen für Medienschaffende und Media-Outlets so gesetzt, dass eine größere Unabhängigkeit für die redaktionelle Arbeit da ist.
Plattformen haben eine große Macht über das, was zugänglich ist und was nicht. Das, was in den Algorithmen der Plattformen promotet wird, kommt nach vorne, hat Erfolg, und das, was über die Algorithmen nicht in den Feed hineinkommt, hat kaum Chancen, wirklich hochzukommen. Plattformen haben auch eine Verantwortung, Zugänglichkeit und Vielfalt zu ermöglichen. Im Moment haben wir erst einmal über den DSA (Digital Services Act) eine Verantwortung für die Plattformen gesetzlich festgelegt. Und in den Media Freedom Act haben wir noch einmal einen Sonderparagrafen reingepackt, sodass die Medienschaffenden die Möglichkeit haben, gegenüber den Medienplattformen Einspruch einzulegen, wenn Inhalte einfach aus dem Netz herausgenommen werden.
Das Thema Künstliche Intelligenz spielt auch für Kreative eine wichtige Rolle, insbesondere auch in Fragen des Urheberrechts. Wie bewerten Sie das auf europäischer Ebene? Es gibt den AI Act, der aber – laut dem Urteil vieler Akteure im Kulturbereich – lediglich ein erster Schritt sein kann.
Ich sehe das ganz genauso. Ich glaube, dass der AI Act ein wichtiger Schritt ist. Künstliche Intelligenz wird auf der einen Seite als Riesenchance gesehen, neue Dinge zu machen und Möglichkeiten zu eröffnen. Auf der anderen Seite muss man aber immer auch die Risiken betrachten. Es ist wichtig, dass wir bei der Künstlichen Intelligenz immer noch den Menschen im Mittelpunkt sehen und dass wir Transparenz darüber haben, wo Künstliche Intelligenz eingesetzt wird. Es geht auch darum, auf welcher Datenbasis eine Künstliche Intelligenz arbeitet. Man muss hier aufpassen, dass die urheberrechtlichen Fragen geklärt sind. Für mich ist auch wichtig, dass KI nicht echte menschliche Kreativität, also »NI« wie Natürliche Intelligenz ersetzen darf. Fähig, wirklich genuin Neues zu erzeugen, ist nur der Mensch.
Wenn Sie zurückblicken auf die letzten fünf Jahre: Gibt es ein besonderes Highlight, einen besonderen Meilenstein in der Kulturpolitik, die Sie, der Ausschuss, das Parlament erreicht haben?
Zum einen waren wir sehr glücklich, dass wir – gegen alle Unkenrufe – fast eine Verdoppelung im Creative Europe Programm durchsetzen konnten. Am Anfang der Legislaturperiode hatten wir die Diskussion mit den Mitgliedstaaten, die aufgrund der Finanz- und Wirtschaftslage eigentlich in diesem Bereich sogar kürzen wollten.
Ein wichtiger Schritt war auch, dass es uns gelungen ist, dass Kultur und Kulturprojekte in die anderen Förderprogramme stärker implementiert werden können. Eine kleine Träne vergieße ich darüber, dass wir keinen verpflichtenden Anteil der Gesamtsumme für Kultur festlegen konnten. Aber dass es überhaupt möglich ist, ist schon ein Riesenschritt vorwärts.
Wir haben auch geschafft, den Aspekt der Inklusion in den Programmen stärker zu verankern. Es ist uns außerdem gelungen, einen Bericht zum Thema »Status of the artist« zu machen, zur Situation von Künstlerinnen und Künstlern. Wir haben eben nicht in jedem europäischen Land eine Künstlersozialkasse. In vielen Ländern haben wir gar nichts in der Richtung. Ich halte es für wichtig, dass wir uns auch auf europäischer Ebene Gedanken machen, wie wir den Mitgliedstaaten die Hausaufgaben mit auf den Weg geben können, für eine bessere strukturelle Absicherung zu sorgen.
Wichtig war mir auch, den Zugang zu Kultur nach Corona wieder zu verbessern, und natürlich, dass wir es auch geschafft haben, in der Coronazeit ganz gezielt Kulturförderung und Förderung für Kulturschaffende zu bekommen.
Wie funktioniert die parteiübergreifende Zusammenarbeit im Ausschuss für Kultur und Bildung? Ist das anders als in anderen Ausschüssen?
Wir haben schon eine gute Kultur des Miteinanders, obwohl es auch da natürlich in einzelnen Punkten heftige Diskussionen gibt. Es gibt politische Unterschiede und unterschiedliche Schwerpunktsetzungen. Im Großen und Ganzen sind wir uns allerdings im Kulturausschuss einig, dass Kultur wichtig ist. Gestritten wird dann nur über Details oder Wege zum Ziel. Insofern haben wir in unserem Ausschuss einen gemeinsamen Kampf denen gegenüber, die Kultur als »nice to have«, aber »not important« sehen. Ich glaube, dass das Verständnis füreinander auch über Kultur gerade in der heutigen Zeit enorm wichtig ist und uns auch helfen würde, europäischen Zusammenhalt, die europäische Idee stärker zu verankern.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich würde mich freuen, wenn der Kultursektor, also die Kultur und die Kultur- und Kreativwirtschaft, auch in Zukunft gemeinsam steht. Gerade in der Kultur sind die einzelnen Bereiche so unterschiedlich und divers ausgestaltet und ausgerichtet, dass sie oft nicht als Ganzes wahrgenommen werden. Am Ende geht es darum, die Grundprinzipien und die Aufmerksamkeit für die Bedeutung von Kultur deutlich zu machen und aufzuzeigen: Kultur ist auf der einen Seite ein Wirtschaftsgut. Sie ist aber auch ein essenzielles und existenzielles Gut für die Gesellschaft, für das menschliche Zusammenleben und die Demokratie.
Vielen Dank.