Als die Russische Föderation am 24. Februar dieses Jahres ihre Invasion gegen das Nachbarland startete, wurden in der Ukraine viele kalt erwischt, darunter auch Kulturinstitutionen wie Archive, Bibliotheken, Galerien, Museen. In den Städten des Nordostens, Ostens und Südostens, aber auch in der Hauptstadt Kiew, die sofort zum Ziel russischer Bombardements wurden, konnten die Sammlungen auf die Schnelle weder evakuiert noch durch ordentlich durchgeführte Schutzmaßnahmen vor Ort gesichert werden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mussten vor allem um ihr eigenes Leben fürchten. Daher blieben sie entweder im Versteck oder retteten sich bei erster Gelegenheit durch Flucht in die noch sicheren Ortschaften im Hinterland oder gar über die EU-Grenze – darunter viele nach Deutschland. Sehr oft kamen Stromausfälle und der Ausfall von Heizungen hinzu.

In dieser schwierigen und unübersichtlichen Situation gingen sehr viele meiner verbliebenen Kolleginnen und Kollegen – vor allem in Tschernihiw, Sumy, Charkiw, Kiew, Odessa – ihrer Pflicht mutig nach und vollbrachten bei der Sicherung bzw. Rettung von Kunstwerken und Exponaten wahrhafte Heldentaten. Denn sie wussten nur zu gut, dass sonst den ukrainischen Kulturgütern das traurige Los zuteilwerden könnte, vernichtet oder geraubt zu werden. Dass dieses Schreckszenario absolut realistisch war – und für viele Museen in den Regionen Donbass, Saporischschja und Cherson leider immer noch ist – beweisen die inzwischen von den russischen Barbaren vernichteten bzw. ausgeraubten Museen in Tschernihiw, Mariupol oder Melitopol.

Auch die Museen in den westukrainischen Städten wie z. B. Lwiw/Lemberg, Luzk oder Tscherniwzi/Czernowitz sahen mit dem Ausbruch des Krieges ihrer Zukunft mit Angst und Verzweiflung entgegen, nicht nur weil sie sich ebenfalls in Reichweite russischer Raketen und Marschflugkörper befanden, sondern auch, weil sie angesichts mangelnder Unterstützung und Koordination seitens des Kulturministeriums oder lokaler Behörden gleichermaßen nur auf sich selbst gestellt waren.

Ein weiteres Problem, das sich der überwiegenden Mehrheit von Museen, Archiven und Bibliotheken der Ukraine in dieser Notsituation stellte, war der völlige Mangel an Verpackungsmaterial, Feuerlöschgeräten, feuersicheren Kisten, Schränken usw. – Dinge, die schon zu Friedenszeiten in der Ukraine häufig fehlten und die sich nur wenige Museen leisten können. Genau wie die ukrainische Armee, die auf Waffen- und Munitionslieferungen der ausländischen Partner angewiesen ist, benötigen die Kulturinstitutionen der Ukraine bei der Rettung ihrer Kulturgüter die Hilfe von ausländischen Partnern. Die großangelegten Hilfsinitiativen, welche in mehreren EU-Ländern inzwischen in Gang gekommen sind, bestärken uns in der Hoffnung, dass das ukrainische Kulturerbe, welches zweifellos zum gesamteuropäischen Kulturerbe gehört, im Wesentlichen gerettet werden kann.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2022.