Lebt nicht wie wir.
Lebt ohne Furcht.

Mit diesen beiden Sätzen endet das berühmte Gedicht »Postkarte an junge Menschen« von Walter Bauer. Mich hat dieser Text in meiner Jugend elektrisiert. Er war für mich mitentscheidend, den Dienst an der Waffe zu verweigern und stattdessen Zivildienst zu leisten. Die 1980er Jahre haben mich politisch sozialisiert. »Frieden schaffen ohne Waffen« war das Motto.

Und jetzt, wieder Krieg in Europa. Brutal, unmenschlich, dumm, wie alle Kriege. Aber dieser Angriff Russlands auf die Ukraine ist auch eine Zeitenwende. Viele Fragen stellen sich. Waren wir naiv, zu glauben, man könnte Frieden ohne Waffen erreichen? Waren wir naiv, als wir glaubten, dass durch Annäherung, durch Gespräche, durch Kontakte, durch Freundschaften ein Wandel zum Besseren erreicht werden kann?

Am 27. Februar, an einem Sonntag, gab Bundeskanzler Olaf Scholz bei einer Sondersitzung des Bundestages bekannt, dass als eine Reaktion auf den Krieg in der Ukraine ein Sondervermögen Bundeswehr von 100 Milliarden Euro eingerichtet wird und mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investiert werden wird. Das amtliche Protokoll des Deutschen Bundestages verzeichnet penibel die Reaktion der Abgeordneten: »Anhaltender Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der AfD – Abgeordnete der SPD, der CDU/CSU und der FDP erheben sich.« Standing Ovations? Mich hat das sprachlos gemacht.

Das Leid der Menschen in der Ukraine ist unermesslich, die Brutalität der Angreifer monströs. Wie können wir diesem Wahnsinn Einhalt gebieten?

Die Aufrüstung der Bundeswehr wird dazu wohl nicht beitragen können, denn sie wird erst in Jahren abgeschlossen sein. Möglicherweise wird die NATO doch noch in den Krieg direkt eingreifen, mit unabsehbaren Folgen. Vielleicht werden unsere Sanktionen doch Wirkung zeigen, aber sicher ist, wir werden irgendwann wieder miteinander reden müssen. Der Kulturbereich, die engen Beziehungen von Künstlerinnen und Künstlern, von Kulturverantwortlichen aller künstlerischen Bereiche in die Ukraine, aber auch nach Russland sind eine Chance. Wir dürfen diese Beziehungen jetzt nicht abreißen lassen.

Ja, ich will auch weiterhin meinen Glauben an das Gute im Menschen behalten. Frieden in der Welt ist möglich, eine Welt ohne Waffen ist möglich, eine Welt ohne Furcht ist möglich. Trotz alledem. Ist das naiv?

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2022.