Bereits 2018 trat die Revision der Audiovisuellen Mediendiensterichtlinie (AVMD-Richtlinie) in Kraft. Diese soll einen fairen Binnenmarkt für Rundfunkdienste gewährleisten, der mit den technologischen Entwicklungen Schritt hält, um einen für das digitale Zeitalter geeigneten Rechtsrahmen zu schaffen und dadurch die audiovisuelle Landschaft sicherer, gerechter und vielfältiger zu machen. Sie dient der Koordinierung der EU-weiten Rechtsvorschriften für alle audiovisuellen Medien, zu denen sowohl herkömmliche Fernsehsender als auch Videodienste auf Abruf gehören, und enthält grundlegende Schutzvorkehrungen in Bezug auf Inhalte, die auf Videoplattformen geteilt werden.

Obwohl die Umsetzungsfrist in nationales Recht bereits im September 2020 abgelaufen ist, geht diese in einigen Mitgliedstaaten nur schleppend voran. Vor allem Irland, Sitz der meisten großen in Europa aktiven Plattformen, tut sich mit der Implementierung der Richtlinie schwer. Die technische Entwicklung im Bereich der Online-Plattformen ist dagegen rasant, und neue Inhalte, Formate und Übertragungswege kommen auf den Markt. Eine späte Umsetzung gefährdet die Effizienz der in der Richtlinie enthaltenen Verbraucherschutzstandards und wirft die Frage der Aktualität der Regeln für Online-Plattformen auf.

Medien werden heute anders konsumiert als vor zehn oder zwanzig Jahren. Während für die Generation 45+ der traditionelle Rundfunk nach wie vor ein sehr mächtiges Kommunikationsinstrument darstellt, hat sich die jüngere Generation fast vollständig in der digitalen Welt eingerichtet. Da jedes Smartphone sowohl die Produktion als auch den Konsum von Videos ermöglicht, vollzieht sich ein Wandel vom typischen Konsumenten von Medieninhalten hin zur aktiven Beteiligung durch die Eigenproduktion von nutzergenerierten Videos und die Veröffentlichung und Weitergabe dieser Inhalte auf Video-Sharing-Plattformen. Hybrid-Angebote auf Plattformen wie YouTube oder Twitch lassen die Grenzen zwischen traditionellen Rundfunkangeboten und nutzergenerierten Videos weiter verschwimmen: So wurde das TV-Duell zwischen Frankreichs Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron und Marine Le Pen auf verschiedenen Kanälen von Twitch-Streamern gezeigt, die das Duell live kommentierten und den Zuschauern eine Diskussions- und Interaktionsplattform boten.

Mit der letzten Revision und der Erweiterung des sachlichen Geltungsbereichs hat die Audiovisuelle Mediendiensterichtlinie dieser Entwicklung regulatorisch Rechnung getragen und hat weitere Dienste wie Video-Sharing Plattformen in ihren Rechtsrahmen aufgenommen. Unterschiede in den Übertragungstechnologien sollten keine Rolle mehr spielen: Die Technologieneutralität ist eines der Grundprinzipien der Richtlinie. Der Regulierungsgrund ist viel eher abgeleitet aus dem Narrativ der Massenmedien: Das Potenzial des Mediums, eine deutliche Wirkung auf einen wesentlichen Teil der Allgemeinheit entfalten zu können. Dies gilt für Rundfunk ebenso wie für internetbasierte Dienste.

Leider ist die Richtlinie, wie gesagt, zwei Jahre nach Ablauf der Implementierungsfrist in vielen Mitgliedstaaten noch nicht vollständig umgesetzt. Irland steht hier im Fokus: Das Herkunftslandprinzip der AVMD-Richtlinie führt dazu, dass die meisten oder zumindest die größten in der EU tätigen Videosharing Plattformen unter irische Gerichtsbarkeit fallen: YouTube, Facebook, Instagram, Dailymotion und Twitter haben ihren EU-Hauptsitz in Irland. Irland hat zwar ein Implementierungsgesetz bei der Europäischen Kommission notifiziert. Allerdings sollen viele Details erst im Sekundärrecht geregelt werden, ausgegeben von der neu eingerichteten Medienkommission, die aber, Stand heute, noch nicht operativ ist. Eine vollständige Implementierung ist dementsprechend noch in ferner Zukunft.

Probleme ergeben sich auch hierzulande, jedoch aus anderen Gründen; nämlich aus der Tatsache, dass die Implementierung der neuen Vorschriften aus der AVMD-Richtlinie zwar erfolgt ist, jedoch die Liberalisierungen aus der Richtlinie nicht vollständig übernommen wurden. Das massenmediale Narrativ, das nach wie vor die Grundlage der AVMD-Richtlinie bildet, entspringt einer traditionellen Rundfunkmentalität. Jedoch ist die letzte Revision der AVMD-Richtlinie deutlich vom Kriterium der Fernsehähnlichkeit abgewichen. Viele nationale Umsetzungsvorschriften wie die deutschen oder österreichischen sind allerdings nach wie vor von der Vorstellung geprägt, dass Form und Inhalt eines Programms mit Form und Inhalt von Fernsehsendungen vergleichbar sein müssen. Dies führt leider dazu, dass internetbasierte Dienste oft nach Normen reguliert werden, die ihre spezifischen Merkmale und die Spezifikationen der Online-Umgebung nicht berücksichtigen. Ein Beispiel ist der Streit um Rundfunklizenzen von Streamern auf Twitch.

Eine bessere Einhaltung der Umsetzungsfristen durch die Mitgliedstaaten würde das Gesamtniveau der Kohärenz in der Union erhöhen, weil mögliche Probleme früher erkannt und Gegenmaßnahmen ergriffen werden können. Die Kommission muss früher handeln und Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Bei einer vollständigen Umsetzung der Vorschriften sollten alle Aktualisierungen des überarbeiteten Europäischen Rechts berücksichtigt werden, auch die Liberalisierungen und Änderungen der Definitionen. Insbesondere die deutschen Rechtsvorschriften stützen sich immer noch auf das rundfunkähnliche Kriterium, das vom europäischen Gesetzgeber abgeschafft wurde, um sicherzustellen, dass die Anwendung des sachlichen Geltungsbereichs tatsächlich dynamischer und flexibler ist. Wenn solche Änderungen jedoch nicht ausreichend umgesetzt werden, kann die Absicht des europäischen Gesetzgebers, mehr Flexibilität zu ermöglichen, nicht in vollem Umfang zum Tragen kommen.

Seit der Revision der Richtlinie 2018 sind bereits vier Jahre ins Land gezogen. Seitdem haben sich wieder neue Formen und Formate audiovisueller Medien entwickelt. Der Medienmarkt ist sehr dynamisch, und die Entwicklung lässt sich nicht zuverlässig vorhersagen – insbesondere im Hinblick auf die Geschwindigkeit der Entwicklungen auf Video-Sharing-Plattformen. Neue horizontale Instrumente zur Regulierung von Plattformen sind verabschiedet worden, noch bevor die Implementierung der AVMD-Regeln in vielen Mitgliedsstaaten abgeschlossen wurde, wie erst kürzlich der Digital Services Act (DSA). Klar ist: Die Mitgliedstaaten müssen dringend angehalten werden, Richtlinien fristgerecht umzusetzen, um die Effizienz der Vorschriften überhaupt möglich zu machen. Sonst werden die medienspezifischen regulatorischen Instrumente von horizontalen, unspezifischen Vorschriften überholt, bevor sie überhaupt an den Start gehen konnten.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2022.